Angelika Neuwirth hat für die Entstehung des koranischen
Begriffs von Gerechtigkeit ein schönes Bild. In der Sure 90 "Die
Stadt", in der es eindrückliche Bilder von sozialer Gerechtigkeit gibt,
Bilder, die unmittelbar dem Alten Testament entnommen sein könnten, wird
zunächst auf die menschliche Schöpfung Bezug genommen (Q 90: 8-9)
Haben wir ihm nicht zwei Augen eingesetzt
und eine Zunge und zwei Lippen?
Frau Neuwirth führt aus, dass es in einer anderen
Koranstelle (Q 82:7) heißt, Gott habe den Menschen "erschaffen, fein
gebildet und ins Gleichgewicht gebracht". Das arabische Wort für
Gleichgewicht (addala) ist das Stammwort für das spätere Wort für Gerechtigkeit
(adl). Die Symmetrie der menschlichen Ausformung, das schöne Gleichgewicht, ist das Urbild für
Gerechtigkeit, ganz ähnlich wie das Bild der ebenfalls symmetrischen Waage.
Was ist Gerechtigkeit? Die fragliche Koranstelle fährt fort
(Q 90:13-16)
Die Losbindung eines Nackens
oder die Speisung am Tag der Hungersnot
einer Waise aus der Verwandtschaft
oder eines Armen, der im Staub liegt.
Dies ähnelt einer bekannten Stelle aus Jesaja
(Jes 58:6-7)
Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast,
lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast!
Brich dem Hungrigen dein Brot
und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!
Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn,
und entziehe dich nicht deinem Fleisch und Blut.
Den Christen wird beim Lesen bewusst, dass auch die
endzeitliche Stelle aus Matthäus 25 auf Jesaja Bezug nimmt. Hier trennt der
Menschensohn die Schafe von den Blöcken, je nachdem ob sie die Hungernden
gespeist, die Durstigen getränkt und die Gefangenen besucht haben. Am Ende sagt
er (Mt 25:40)
was ihr an einen meiner geringsten Brüder getan habt,
das habt ihr mir getan.
Mir gefallen diese Parallelstellen in Koran, Altem und Neuem Testament, wie einem überhaupt alles das gefällt, was symmetrisch ist. Es ist –
daran erinnert uns Sure 90 – ein Grundprinzip göttlicher Schöpfung.
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