In Angelika Neuwirths neuem Buch wird die Geschichte der
islamischen Aneignung der Abrahamsgestalt erzählt. Diese Aneignung ist
geistreich und ungewöhnlich und in der Bewertung von Frau Neuwirth "revolutionär".
Die Entwicklung des neuen Abrahamsbildes der Muslime vollzieht sich in
mehreren Stufen. Der durch Mohammed eingeleitete Rückkehr zum Monotheismus
beginnt in Mekka und hat als eins seiner Zentren die im Koran siebenmal
wiederholte Geschichte, wonach Abraham in seiner Heimatstadt die alten tönernen
Götzen als Machwerk erkennt, sie entlarvt und sie zerstört. Abraham begegnet den Gläubigen als jemand, der eigene kritische Gedanken entwickelt und dann mit Witz und Tatkraft in die
Geschichte eingreift. Anders als beim Abraham der Bibel erfährt der Leser des Korans nichts von desssen Vertrauen in den Gottesruf, der Abraham aus seiner Heimat fort und in ein neues Land führt.
Nach der Vertreibung der jungen islamischen Gemeinde aus
Mekka kommt diese in Medina mit anderen Glaubensrichtungen in unmittelbare Berührung, vornehmlich mit Juden. Hier erfährt sie neue Geschichten von Abraham
und übernimmt Teile davon in den Koran. Bei dieser Übernahme wird aber jeweils das
Besondere am Charakter Abrahams anders gedeutet als bei den Juden.
Entsprechend ist die Tradition, sich auf Abraham zu gründen,
im Koran allen Menschen offen. Dies ähnelt erstaunlich einem Gedanken, den Paulus im vierten
Kapitel des Römerbriefs entwickelt. Hier wird Abrahams abstrakter Glaube als etwas geschildert, das ihn zum
Vater eines Glaubens macht, der allen Menschen möglich ist, nicht nur Abrahams
leiblichen Nachkommen, den Juden.
Schließlich entwickelt Mohammed nach Ansicht von Frau Neuwirth in einem
dritten Schritt aus einer lokalen Tradition, die in einem großen gemeinsamen
Opferfest gipfelte, die Rituale der Pilgerfahrt zum Hause Abrahams in Mekka, ebenfalls in einem
Opferfest endend. So bindet er – den Juden und ihrem heiligen Land entsprechend – den
Glauben an einen einzigen zentralen Ort*.
Im Unterschied zur lokalen Tradition erkennt Mohammed allerdings,
dass bezüglich der Opfertiere "weder der Tiere Fleisch noch ihr Blut zu
Gott gelangen wird, sondern einzig die Gottesfurcht von euch" (Q 22:37).
Das Ende des traditionellen Opferkultes, das sich schon in der Bibel abzeichnet, wenn die
alten Propheten sagen "Ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer, an
der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer" (Hosea 6,6) dieses Ende
wird hier in einer geistigen Umgebung vollzogen, die laut Neuwirth den gesamten
Raum der Spätantike umfasste. Auch die Griechen und Römer seien von der
Verinnerlichung der Opfertradition damals durchdrungen gewesen.
Ich würde sagen: es ist Abrahams Teppich, auf dem wir alle als Mitglieder der drei Religionen des Buches stehen.
Mein eigenes Bild von Abraham bleibt durch das Alte und Neue
Testament geprägt. Es ist nicht das Bild des Korans. Aber mein Respekt vor dem
Bild des Korans ist durch das Buch von Frau Neuwirth enorm gewachsen.
* an diesem Ort fließt allerdings kein Milch und kein Honig
wie im verheißenen Land der Juden, es ist das steinerne Tal von Mekka, „in dem
kein Getreide wächst, damit sie das Gebet verrichten“. (Q 14:37)
1 Kommentar:
Interessant, dass Sie den Koran erforschen und es auf Deutsch lesen.
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