Sonntag, 16. September 2018

Krummacher, beten Sie!


Heilig-Geist-Kirche in unserem Ferienort Werder,
Fontane schreibt über sie:
„Die Munifizienz (Freigebigkeit) Friedrich Wilhelms IV.,
 die hier überall an der Havel … neue Kirchen …
entstehen ließ..."
Auf den Spuren der preußischen Könige haben wir in unserem Urlaub an der Havel vielfach auch Zeugnisse ihrer Frömmigkeit gefunden. Ob es eine wahre oder nur eine vorgespielte Frömmigkeit war, will ich nicht beurteilen. Wichtig erscheint mir zu sein, dass sie sich bis weit in die wilhelminischen Zeiten hinein aus einer besonderen Quelle gespeist hat: der Gegnerschaft zu Napoleon.

Der Franzose hatte im Jahre 1807 ganz Preußen überrollt und sich im Berliner Stadtschloss breitgemacht. Dem fromm und bescheiden lebenden König Friedrich Wilhelm III. blieb nur die Wahl, mit seiner Frau und seiner vielköpfigen Familie in das ferne Ostpreußen zu fliehen. Die Erinnerung daran blieb dem König und seinen Söhnen sicherlich tief eingebrannt. Der spätere Wilhelm I. erlebte als 9jähriger die Flucht über die Kurische Nehrung in Schnee und Eis, welche die Gesundheit seiner schönen Mutter Luise zerstörte, die 1810 starb. Auch wenn Napoleon wenig später bereits geschlagen wurde, blieb die Erinnerung an Unterdrückung und Leid – und am Ende der Stolz, das Joch abgeschüttelt zu haben.

Napoleon hatte eine Modernität in die Welt gebracht, die nach dem Geschmack der Könige und sicherlich auch nach dem Geschmack vieler Bürger zu sehr von seinem Atheismus geprägt war, um auch für deutsche Herzen attraktiv zu sein. Vielleicht ist der das ganze 19. Jahrhundert durchziehende Widerstand der preußischen Könige gegen eine parlamentarische Monarchie auch von daher zu verstehen.

Die Königin Luise hat ihn als „ein moralisches Ungeheuer“ bezeichnet. Diese Beurteilung blieb bestehen, auch wenn die Königin nach einem persönlichen Treffen mit Napoleon von seiner kultivierten und höflichen Person überrascht war. In den Legenden, die sich um ihr Leben und ihren frühen Tod ranken, ist niemand innerlich so stark im Widerstand gegen Napoleon gewesen wie sie.

Luise
Am Ende des Jahrhunderts war sie im Charlottenburger Mausoleum vereint mit dem Franzosenbezwinger von 1871, ihrem Sohn Wilhelm. In den lebendigen Marmorbildern wird besonders Luises große Schönheit sinnlich erfahrbar - ein letztes Mal und für die Ewigkeit.

Wilhelm – seit 1871 Kaiser Wilhelm I. – holte 1874 den frommen Pfarrer Adolf Stöcker als Hofprediger nach Berlin. Dieser hob in einem Antrittsvortrag* drei historische Ereignisse als Verdienste des deutschen Volkes hervor:

– die protestantische Reformation
– den Pietismus
– die Freiheitskriege gegen die Franzosen

Man versteht diesen Dreiklang heute nicht mehr, weil uns die Freiheitskriege als ein immer kleiner werdender Punkt in der Geschichte erscheinen. Die Reformation dagegen ist nach wie vor gegenwärtig, und der Pietismus in schwächerer Weise auch.

Wilhelm
Der Dreiklang war aber noch sehr unmittelbar gegenwärtig im Wuppertal des Jahres 1833, als dort der von dem alten Dichter Goethe und dem jungen Sozialisten Engels respektvoll, wenn auch distanziert beurteilte Erweckungsprediger Krummacher den Kronprinzen Friedrich Wilhelm IV. zu Besuch hatte. Er empfing ihn im festlich geschmückten Elberfeld mit einer donnernd evangelisch-pietistisch-freiheitskämpferischen Predigt.

Die Rede entfaltete in hymnischen Worten die Bestimmung der Deutschen, den besagten Dreiklang in der Welt Geltung zu verschaffen. Der Prediger war von seinen Gedanken so ergriffen, dass er abends beim Festbankett noch einmal zu einer zweiten Predigt anhub, die aber recht bald vom Kronprinzen abgebrochen wurde, der sicherlich auch mit Rücksicht auf seine katholische Frau befahl: "Krummacher, beten Sie!"

In den Jahren danach kamen mit der Königin Augusta, die am liberalen Weimarer Hof erzogen worden war, und dann noch in viel stärker Maße mit der Kronprinzessin Victoria, die zu Hause bei ihrer Mutter, der Königin von England, eine funktionierende Monarchie mit einem starken Parlament kennengelernt hatte, zwei starke Vertreterinnen einer modernen Demokratie. Gegen ihre Männer durchgesetzt haben sich allerdings beide nicht. Sie hatten letztlich in Bismarck einen zu starken Gegner.

Am Anfang der Geschichte stand nach meiner Überzeugung Napoleon – den wollte man sich, in welcher Form auch immer, nicht noch einmal ins Land holen und blieb deshalb lieber bei dem Königtum, das sich mehr auf die Gnade Gottes als auf die Zustimmung des Volkes stützen wollte.

Ganz im Hintergrund spielte vielleicht sogar noch die aufgeklärte Gestalt Friedrichs des Großen, der 1786 gestorben war, eine Rolle. An dessen Hof waren ja durchaus auch moderne Gedanken erlaubt gewesen. Aber niemand von seinen Nachfolgern hat ihn so recht beerben wollen. Der Neffe und Nachfolger Friedrich Wilhelm II. hat sich von der knausrigen und alles Weibliche ablehnenden Art des Onkels abgewandt und hat ein Leben in Saus und Braus geführt. Sein Sohn Friedrich Wilhelm III. hat den lockeren Lebensstil zwar wieder zurückgedreht, aber zur aufgeklärten Liberalität des Großonkels zurückkehren wollte auch er nicht. Seinen Sohn Friedrich Wilhelm IV. finden wir unter der Kanzel von Krummacher in Elberfeld. Er wird dessen Worten sicherlich dem Grunde nach zugestimmt haben.

Krummacher hätte nur kürzer reden sollen, soviel steht fest.


* zitiert nach "Vom Pietismus zum Kommunismus, Die Jugendentwicklung von Friedrich Engels", Karl Kupisch, 1953


3 Kommentare:

Nasserqadi1988 hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Nasserqadi1988 hat gesagt…

Ich habe diesen Blog übersetzt, es ist sehr interessant! Tatsächlich habe ich über den deutschen Einigungsprozess im 19. Jahrhundert von Bismarck gelesen ... Es war eine sehr interessante Geschichte. Ich denke, Bismarck war sehr schlau, allianz mit dem österreichischen Königreich gegen das dänische Königreich einzugehen, und dann begann er auch einen Krieg gegen Österreich, um die nördlichen Gebiete zu erobern, weil er das Österreich für die Stabilität des deutsches Königreich als Problem gefunden hat. Ich soll beim nächsten Mal über Wilhelm lesen.

Cepunkt hat gesagt…

Doch wir verstehen den Dreiklang und die Freiheitskriege. Hier, südlich von Berlin steht das Denkmal der Schlacht in Großbeeren. Wir haben Napoleon besiegt! Und dies feiern wir jedes Jahr, jedes Jahr wird die Schlacht in historischen Kostümen aufwendig nachgestellt. Wohl im August. Mannigfach zu sehen bei yt "Schlacht von Großbeeren" in die Suchmaschine eingeben. https://www.youtube.com/results?search_query=schlacht+von+Gro%C3%9Fbeeren
Über die Religiosität: Lutheraner waren wir. Aber der Staat hatte die Hoheit über die Religion und so wurden die Reformierten (Calvinisten etc.) aus Staatsraison integriert, eingegliedert in die ev. Kirche, welches ich noch heute bedauere.