Freitag, 7. Februar 2020

Amen

Kirche in Pfrondorf
In der Dorfkirche von Pfrondorf bei Tübingen habe ich Ende der sechziger Jahre häufiger die Predigten des Pfarrers Heinrich Buhr (1912-2001) gehört, der ein Freund meines Tübinger Onkels war. Mein Onkel, obzwar Baptist, nahm mich zu den Pfrondorfer Gottesdiensten öfters einmal mit. Pfarrer Buhr hatte in Freiburg Philosophie studiert und dort bei Heidegger promoviert. Danach war er jedoch zur Theologie gewechselt und war ein Zeit seines Lebens umstrittener.Pfarrer geworden. 

Heidegger und Hölderlin

Buhr hatte von Heidegger die Liebe zum Dichter Hölderlin übernommen und ein kleines Buch über Hölderlins "Friedensfeier" geschrieben, in dem er die christlichen Wurzeln von Hölderlin gegen all das Griechische, was ihm seine Interpreten angehängt haben, verteidigt hat.

Ein weiteres Buch, das sich ebenfalls mit Hölderlin beschäftigte und den Titel "Zur Theologie des Geistes" trug, war 1960 erschienen und hatte Buhr wegen einiger geistiger Freizügigkeiten viel kirchlichen Ärger eingebracht. Die Pfarrstelle in dem kleinen Pfrondorf bei Tübingen bedeutete wohl so etwas wie eine Strafversetzung für ihn.

Dogmen

In seinem Buch über die Theologie des Geistes hat er ein Kapitel über den Sinn von Dogmen geschrieben, das ich jetzt – ein wenig im Bannkreis von Heidegger und Hölderlin – noch einmal gelesen habe.

Für mich sehr überzeugend wendet sich Buhr gegen ein Verständnis von Dogmen, das den Gläubigen verpflichtet, eine bestimmte Lehre als Glaubenswahrheit anzuerkennen, auch wenn dies dem Verstand Schwierigkeiten bereitet.

Für Buhr gibt es dagegen eine andere und bessere Wahrheit, auf die man „setzt“, nicht weil sie vom Himmel gefallen oder aus dem Vatikan gekommen ist, sondern weil man sich in einem Kreis von glaubenden Menschen von ihrer Richtigkeit und Lebenskraft überzeugt hat und zusammen mit diesen gleichgesinnten Menschen ein lautes "So ist es. Amen" dazu gesagt hat.

Do I hear an Amen?

Nirgendwo habe ich dieses Amen kräftiger gehört als in den Gottesdiensten der schwarzen Christen in den USA. Hier gibt es die Tradition, dass die Zuhörer die Predigten mit einem beständigen Strom von bestätigenden Worten und Lauten begleiten. „Amen“ ist dabei eines der häufigsten Worte und wird gerne vom Prediger bewusst gefordert, etwa wenn er nach einer kritischen Stelle die Zuhörer mit einem "Do I hear an Amen?" dazu auffordert, nun auch bewusst zustimmend „Amen“ zu sagen.

Oft kommt das große Amen erst ganz zum Schluss, dann nämlich, wenn die Predigt in einem emotional aufwühlenden Lied endet. Ich hörte neulich einen Gottesdienst aus der First Corinthians Baptist Church in Harlem / New York, in welchem der Pastor auf das begründete Vertrauen in die Treue Gottes hinarbeitete. Warum sollte man dieses Vertrauen haben? Die Antwort blieb bis zum Schluss offen. Sie wurde dann überraschenderweise in einem Lied gegeben, das der Pastor freihändig anstimmte und das von der Güte und Treue Gottes handelte. Immer und immer wurde es wiederholt, bis ein großes "Amen" darüber im Raum stand.

Mir ist noch einmal deutlich geworden, was die besondere Bedeutung der schwarzen Gospelsongs ist. Man singt in ihnen ein "So ist es. Amen", so wie es Heinrich Buhr in seinem Buch beschrieben hat. Das ist ihre Kraft, ihr besonderer Reiz und ihre weltumspannende Wirkung.

Wir sollten uns öfter auf ein Amen einigen, am besten singend.

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