Franz Karl Hiemer 1792: Hölderlin |
Vielleicht stellt man sich Friedrich Hölderlin am besten als den schönen 22
jährigen Jüngling vor, den das Pastellbild des Malers Hiemer zeigt, und nicht
als den geistig verwirrten älteren Menschen, der in der zweiten Hälfte seines
Lebens 36 Jahre auf die Betreuung des Schreinermeisters Zimmer im Tübinger Turm
angewiesen war.
Schon seine Mutter muss eine sehr schöne Frau gewesen sein, die nach dem
frühen Tod von Hölderlins Vater als "die schöne Witwe" bezeichnet
wurde. Auch ihr zweiter Mann verstarb nach wenigen Ehejahren. Sie war durch die
wirtschaftlichen Erfolge ihrer Ehemänner und durch eigene Erbschaft eine
vermögende Frau und konnte über ihr ganzes Leben ihren Sohn finanziell unterstützen.
Das war immer dann notwendig, wenn er wieder eine der nur schmal besoldeten
Stellen als Hauslehrer oder Bibliothekar verloren hatte, und natürlich
besonders, wenn der Ertrag aus seinen Schriften ausblieb - was häufig der Fall
war.
Später hat man seine Geisteskrankheit, die mit 35 Jahren erstmals offen
aufgetreten ist, als nur vorgetäuscht zu erklären versucht. Auch wenn offenbar
der größte Teil der Forscher die Krankheit für echt hält, bleibt ein gewisser
Restverdacht, dass Hölderlin tief an der offenkundigen Differenz zwischen
seinem genialen Talent und der oft nur sehr zwiespältigen Anerkennung, die ihm
die Öffentlichkeit gab, gelitten hat, und dass er am Ende aus der Realität
geflohen ist.
Mit Hegel und Schelling hatte er sich als 20-jähriger im Wohnheim der Tübinger
Theologiestudenten, dem "Stift", ein Zimmer geteilt. Er war sich mit
den beiden in dem festen Willen einig, niemals ein Amt als Pastor antreten zu
wollen.
Hölderlin hat sich immer wieder um die Unterstützung des 11 Jahre
älteren Friedrich Schiller bemüht, ohne dabei allerdings einen durchschlagenden
Erfolg zu haben. Schiller hat verschiedenen Gedichten Hölderlins zum Druck
verholfen und einmal auch Goethe einige seiner Gedichte gezeigt. Der hat ein
wenig herablassend empfohlen, „Hölterlein“, wie er ihn falsch bezeichnete, solle
kürzer und konkreter dichten. Viel Anerkennung war nicht in dem, was er über
den jungen Kollegen schrieb.
Man kann Goethes Rat verstehen, wenn man heute viele der langen Gedichte
liest, kann aber gleichzeitig auch verstehen, dass sich die Genialität der
Hölderlinschen Wortreihung nur dem erschließt, der die Gedichte von innen
kennt, mit ihnen ringt, in ihnen wohnt. Ganz kann das wohl nur der Dichter
selbst.
Mich erstaunen immer wieder die kunstvollen Hölderlin-Sätze, deren Kraft überhöht
wird, indem einzelne Satzteile weit auseinander gestellt werden, mit
Zwischenbemerkungen gefüllt.
In einem seiner berühmtesten Gedichte würde der erste Satz schlicht und
schmucklos und fast unlogisch lauten
Das Land hängt in den See
Aber Hölderlin benutzt diese Grundaussage nur wie eine Rankhilfe, um die
sich die Worte winden, die dann die ganze Schönheit des Satzes ausmachen:
Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See
Das Gedicht entstand 1804, es heißt Hälfte des Lebens und
besteht aus zwei Strophen, von denen die erste den Sommer und die zweite den
Winter beschreibt. Man denkt an die beiden Hälften von Hölderlins Leben, die
man auch als Sommer und Winter ansehen kann, auch wenn die erste, noch nicht
von der Krankheit überschattete Hälfte nicht immer sommerlich war – so wie die
zweite, kranke Hälfte durchaus auch helle Phasen hatte.
Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.
Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.
Ein Interpret dieses Gedichtes hat einmal geschrieben, die letzten Zeilen
könnte man heute in einer modernen Fußgängerzone nacherleben, wenn an einem
winterlichen Abend die Werbefahnen der Kaufhäuser über leeren Straßen flattern.
Hölderlin ist möglicherweise einer der modernsten Dichter aus der Gruppe
der Klassiker. Der Philosoph Heidegger hat ihn über alles geschätzt und
prophezeit, dass Hölderlin „den Deutschen noch bevorsteht.“
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