Samstag, 18. Januar 2020

Hölderlin

Franz Karl Hiemer 1792:
Hölderlin
Vielleicht stellt man sich Friedrich Hölderlin am besten als den schönen 22 jährigen Jüngling vor, den das Pastellbild des Malers Hiemer zeigt, und nicht als den geistig verwirrten älteren Menschen, der in der zweiten Hälfte seines Lebens 36 Jahre auf die Betreuung des Schreinermeisters Zimmer im Tübinger Turm angewiesen war.

Schon seine Mutter muss eine sehr schöne Frau gewesen sein, die nach dem frühen Tod von Hölderlins Vater als "die schöne Witwe" bezeichnet wurde. Auch ihr zweiter Mann verstarb nach wenigen Ehejahren. Sie war durch die wirtschaftlichen Erfolge ihrer Ehemänner und durch eigene Erbschaft eine vermögende Frau und konnte über ihr ganzes Leben ihren Sohn finanziell unterstützen. Das war immer dann notwendig, wenn er wieder eine der nur schmal besoldeten Stellen als Hauslehrer oder Bibliothekar verloren hatte, und natürlich besonders, wenn der Ertrag aus seinen Schriften ausblieb - was häufig der Fall war.

Später hat man seine Geisteskrankheit, die mit 35 Jahren erstmals offen aufgetreten ist, als nur vorgetäuscht zu erklären versucht. Auch wenn offenbar der größte Teil der Forscher die Krankheit für echt hält, bleibt ein gewisser Restverdacht, dass Hölderlin tief an der offenkundigen Differenz zwischen seinem genialen Talent und der oft nur sehr zwiespältigen Anerkennung, die ihm die Öffentlichkeit gab, gelitten hat, und dass er am Ende aus der Realität geflohen ist.

Mit Hegel und Schelling hatte er sich als 20-jähriger im Wohnheim der Tübinger Theologiestudenten, dem "Stift", ein Zimmer geteilt. Er war sich mit den beiden in dem festen Willen einig, niemals ein Amt als Pastor antreten zu wollen.

Hölderlin hat sich immer wieder um die Unterstützung des 11 Jahre älteren Friedrich Schiller bemüht, ohne dabei allerdings einen durchschlagenden Erfolg zu haben. Schiller hat verschiedenen Gedichten Hölderlins zum Druck verholfen und einmal auch Goethe einige seiner Gedichte gezeigt. Der hat ein wenig herablassend empfohlen, „Hölterlein“, wie er ihn falsch bezeichnete, solle kürzer und konkreter dichten. Viel Anerkennung war nicht in dem, was er über den jungen Kollegen schrieb.

Man kann Goethes Rat verstehen, wenn man heute viele der langen Gedichte liest, kann aber gleichzeitig auch verstehen, dass sich die Genialität der Hölderlinschen Wortreihung nur dem erschließt, der die Gedichte von innen kennt, mit ihnen ringt, in ihnen wohnt. Ganz kann das wohl nur der Dichter selbst.

Mich erstaunen immer wieder die kunstvollen Hölderlin-Sätze, deren Kraft überhöht wird, indem einzelne Satzteile weit auseinander gestellt werden, mit Zwischenbemerkungen gefüllt.

In einem seiner berühmtesten Gedichte würde der erste Satz schlicht und schmucklos und fast unlogisch lauten 

Das Land hängt in den See

Aber Hölderlin benutzt diese Grundaussage nur wie eine Rankhilfe, um die sich die Worte winden, die dann die ganze Schönheit des Satzes ausmachen:

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See

Das Gedicht entstand 1804, es heißt Hälfte des Lebens und besteht aus zwei Strophen, von denen die erste den Sommer und die zweite den Winter beschreibt. Man denkt an die beiden Hälften von Hölderlins Leben, die man auch als Sommer und Winter ansehen kann, auch wenn die erste, noch nicht von der Krankheit überschattete Hälfte nicht immer sommerlich war – so wie die zweite, kranke Hälfte durchaus auch helle Phasen hatte.

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

Ein Interpret dieses Gedichtes hat einmal geschrieben, die letzten Zeilen könnte man heute in einer modernen Fußgängerzone nacherleben, wenn an einem winterlichen Abend die Werbefahnen der Kaufhäuser über leeren Straßen flattern. 

Hölderlin ist möglicherweise einer der modernsten Dichter aus der Gruppe der Klassiker. Der Philosoph Heidegger hat ihn über alles geschätzt und prophezeit, dass Hölderlin „den Deutschen noch bevorsteht.“

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