Bei dem Schriftsteller Walter Kempowski fand ich die witzige Bemerkung, dass er zwar an Gott glaube, „aber nicht den ganzen Tag“. Sein schreibender Kollege John Updike hat die Idee vom sich verändernden Glauben etwas ausführlicher dargelegt. Für ihn ist der Glaube an den Bereich des hellen Tages gebunden, an den Lebensoptimismus und die Freude am Schreiben. Das alles verliert sich im Dunkel der Nacht.
"In the morning light one can write breezily, without the slightest acceleration of one’s pulse, about what one cannot contemplate in the dark without turning in panic to God. In the dark one truly feels that immense sliding, the turning of the vast earth into darkness and eternal cold, taking with it all the furniture and scenery, and the bright distractions and warm touches, of our lives." *
Unter dem Eindruck dieser Ungewissheit sollten wir vielleicht den Glauben aus dem Bereich des Wissens, Erkennens und Wollens herausnehmen, in dem seit der Aufklärung die Menschen einen festen Satz von unveränderlichen inneren Gewissheiten gewonnen haben. „Ich denke, also bin ich.“ Das setzt eine feste, unveränderliche Tätigkeit unseres Selbst voraus, welche auch den Charakter des Glaubens bestimmt. Der aufgeklärte Glaube sagt: „ich weiß, woran ich glaube, ich weiß, was fest besteht.“
Glauben und Wissen sind fest miteinander verbunden, und man sollte deshalb eigentlich gegen John Updike sagen dürfen: das Wissen geht in der Nacht nicht verloren, also auch nicht der Glaube, jedenfalls nicht der rechte Glaube.
Wenn ich das wenige, was ich von Heidegger verstanden habe, richtig deute, dann ist aber auch er skeptisch gegenüber dem hohen Stolz des „ich denke, also bin ich.“ Ihm hält er entgegen, dass unsere Existenz lange vor unserem Denken beginnt und tief dadurch bestimmt wird, dass sie in eine Reihe von vorgegebenen Dingen hinein „geworfen“ ist.
Kann man deshalb vom harten Gewissheiten–Glauben der Aufklärung wegkommen und an seine Stelle einen weicheren Gestimmtheits-Glauben setzen? Dieser andere Glaube wäre tatsächlich in der Art von Kempowski nicht den ganzen Tag derselbe und würde erklären, warum Updike sich bei manchen dunklen Nachtgedanken in Panik zu Gott wendet. Gott wäre dann keine lichtvolle Instanz, die immer nur sagt, deine Nachtgedanken irren, sondern ein verständnisvoller Partner, der unsere Zweifel versteht, selbst unsere Zweifel an seiner Existenz.
Mir helfen neuerdings solche Gedanken, die auch erst gekommen sind, nachdem die Schlaflosigkeit des zunehmenden Alters zu einem Problem geworden ist. Ich habe lange gefragt, was der Unterschied zwischen meinem verzagten Ich von morgens um vier Uhr und der gleichen, nun aber optimistischen Person von morgens um zehn Uhr ist. Die Antwort ist, dass wir wohl alle Menschen der Stimmungen sind, und die neue Erkenntnis besteht darin, dass unser Glaube die Schwankungen dieser Stimmungen mitmacht. und sie sogar trägt.
* "Im Morgenlicht kann man ohne die geringste Beschleunigung des Pulses luftig darüber schreiben, was man im Dunkeln nicht bedenken kann, ohne sich in Panik zu Gott zu wenden. Im Dunkeln spürt man wirklich dieses unermessliche Gleiten, das Verwandeln der riesigen Erde in Dunkelheit und ewige Kälte, die alle Möblierungen und Inszenierungen und die hellen Ablenkungen und warmen Berührungen unseres Lebens mit sich wegnimmt."
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