Samstag, 22. April 2023

Meine Lehmpfuhl-Familie

August Lehmpfuhl
(1852 bis 1931)
Bei dem großen Familientreffen waren erstaunlich viele Leute aus der Sippe Bohle vertreten. Zwei der Töchter des Stammvaters August Lehmpfuhl hatten zwei Brüder, Friedrich und Erwin Bohle, geheiratet, so dass man in der zweiten Generation überwiegend weiterhin  Lehmpfuhl hieß oder aber Bohle, wie meine Großmutter. Eine weitere Tochter hatte einen Ostfriesen namens Harm Buttjes geheiratet, den Namen Buttjes gab es also als Drittes auch noch.

Die auf dem Familientreffen versammelten Verwandten waren überwiegend aus der vierten, fünften und sechsten Generation nach August Lehmpfuhl. Von der dritten Generation, der Generation meiner Mutter, lebt niemand mehr.

Wir trafen uns in der Baptistengemeinde im Berliner Ortsteil Weißensee, deren Kapelle 1910 noch unter der Ältestenschaft von August Lehmpfuhl gebaut worden war. Am Abend saßen wir in der „Brotfabrik“, in der August tatsächlich Brot gebacken, aber auch in einer Sonntagschule die örtlichen Kinder im christlichen Glauben unterrichtet hatte. Weil auch der nachfolgende Besitzer des Gebäudes viel für die Kinder des Viertels getan hatte, wurde das Gebäude erhalten und schon zu DDR-Zeiten in ein Kulturzentrum umgewandelt.

Die Brotfabrik in Berlin-Weißensee
Über den Urgroßvater, an den hier mit Bild und Gedenktafel erinnert wird, wurde viel Lobendes
berichtet. Er muss ein großzügiger und gastfreundlicher Mensch gewesen sein, ein Ältester seiner Gemeinde, ein community leader. Nach meinem Geschmack wurde seine Wirksamkeit ein wenig zu sehr auf die Vermittlung von schulischem  Wissen gelegt (Lesen und Schreiben soll er den Kindern beigebracht haben) und weniger auf seine Bemühungen, den Kindern den Glauben an Jesus Christus näher zu bringen.

Schön war auf jeden Fall die Erinnerung an seine fromme Mutter, die mit einem dem Alkohol verfallenen Schuster aus Köpenick neun Kinder in die Welt gesetzt hatte, als dieser Mann auf ungeklärte Weise allzu früh verstarb. Meine Großmutter Lina, jüngste Tochter des August Lehmpfuhl, hat uns erzählt, ihr Großvater sei im Suff vom Weg abgekommen und ertrunken oder erfroren, irgendwie.

Die mittellose Witwe war die erste in meiner Ahnenreihe, die sich einer Baptistengemeinde anschloss. Sie hat dort sicherlich auch materielle Unterstützung für sich und ihre unversorgten Kinder erfahren. Ihr Sohn August war beim Tod des Vaters erst sechs Jahre alt. Er wird die Christengemeinde als einen Sicherheit und Wärme bietenden Ort erlebt haben.

Viel später habe ich bei Charles Taylor gelesen, dass die großen christlichen Veränderungen, die "Revivals" in den angelsächsischen Ländern oft gerade von den Menschen getragen wurden, die dem wirtschaftlichen Untergang entkommen waren, weil sie eine dramatische Lebenswende vollzogen hatten. Sie lebten nach dieser Wende besonders streng, das betraf nicht nur den Umgang mit Alkohol, sondern auch das Kartenspielen, Tanzen und andere Vergnügungen.

Wenn diese Wende vollzogen war, konnte die nächste Generation mit viel weniger dramatischen Vorschriften ein ruhiges und sicheres Leben führen. Man konnte sich ab und zu ein Gläschen Wein leisten und auch gelegentlich einmal den sonntäglichen Kirchgang ausfallen lassen.

So war es auch mit den Nachkommen von August Lehmpfuhl. An diesem Wochenende waren Christen in den unterschiedlichsten Schattierungen vertreten. Baptisten waren weiterhin vorhanden, einige Verwandte hatten sich der großen evangelischen Kirche zugewandt, weil sie dort eine bessere Liberalität zu finden hofften, andere waren ganz ohne Glauben.

Allen war gemeinsam, dass sie offenbar weit von dem gefährlichen Leben entfernt waren, das der Schuster aus Köpenick, August Lehmpfuhls Vater, geführt hatte. Der radikale Schritt der Mutter in ein bewusst christliches Leben hinein hatte die Nachkommenschaft geschützt.

Christopher Lehmpfuhl
Ganz zum Schluss des Treffens konnte man sich an dem frischen Glanz erfreuen, den einer aus der vierten Generation dem Namen Lehmpfuhl verliehen hatte, Christopher Lehmpfuhl. Er ist 1972 geboren, ein weit über die Grenzen Deutschlands bekannter Maler mit einem gewaltigen Talent, die Bilder einzufangen, welche das Licht aus Städten und Landschaften hervorzaubert. In seinem Atelier klang das Treffen schließlich aus, und besonders die Kinder der sechsten und siebten Generation hatten Freude daran, in Christophers Werkstätten nun ihrerseits die schönsten bunten Bilder zu malen.


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