August Lehmpfuhl (1852 bis 1931) |
Die auf dem Familientreffen versammelten Verwandten waren
überwiegend aus der vierten, fünften und sechsten Generation nach August
Lehmpfuhl. Von der dritten Generation, der Generation meiner Mutter, lebt niemand
mehr.
Wir trafen uns in der Baptistengemeinde im Berliner Ortsteil Weißensee, deren Kapelle 1910 noch unter der Ältestenschaft von August Lehmpfuhl gebaut
worden war. Am Abend saßen wir in der „Brotfabrik“, in der August tatsächlich
Brot gebacken, aber auch in einer Sonntagschule die örtlichen Kinder im christlichen
Glauben unterrichtet hatte. Weil auch der nachfolgende Besitzer des Gebäudes
viel für die Kinder des Viertels getan hatte, wurde das Gebäude erhalten und schon
zu DDR-Zeiten in ein Kulturzentrum umgewandelt.
Die Brotfabrik in Berlin-Weißensee |
berichtet. Er muss ein großzügiger und gastfreundlicher Mensch gewesen sein, ein Ältester seiner Gemeinde, ein community leader. Nach meinem Geschmack wurde seine Wirksamkeit ein wenig zu sehr auf die Vermittlung von schulischem Wissen gelegt (Lesen und Schreiben soll er den Kindern beigebracht haben) und weniger auf seine Bemühungen, den Kindern den Glauben an Jesus Christus näher zu bringen.
Schön war auf jeden Fall die Erinnerung an seine fromme
Mutter, die mit einem dem Alkohol verfallenen Schuster aus Köpenick neun Kinder
in die Welt gesetzt hatte, als dieser Mann auf ungeklärte Weise allzu früh
verstarb. Meine Großmutter Lina, jüngste Tochter des August Lehmpfuhl, hat uns
erzählt, ihr Großvater sei im Suff vom Weg abgekommen und ertrunken oder
erfroren, irgendwie.
Die mittellose Witwe war die erste in meiner Ahnenreihe, die
sich einer Baptistengemeinde anschloss. Sie hat dort sicherlich auch materielle
Unterstützung für sich und ihre unversorgten Kinder erfahren. Ihr Sohn August
war beim Tod des Vaters erst sechs Jahre alt. Er wird die Christengemeinde als
einen Sicherheit und Wärme bietenden Ort erlebt haben.
Viel später habe ich bei Charles Taylor gelesen, dass die
großen christlichen Veränderungen, die "Revivals" in den
angelsächsischen Ländern oft gerade von den Menschen getragen wurden, die dem
wirtschaftlichen Untergang entkommen waren, weil sie eine dramatische
Lebenswende vollzogen hatten. Sie lebten nach dieser Wende besonders streng,
das betraf nicht nur den Umgang mit Alkohol, sondern auch das Kartenspielen,
Tanzen und andere Vergnügungen.
Wenn diese Wende vollzogen war, konnte die nächste
Generation mit viel weniger dramatischen Vorschriften ein ruhiges und sicheres
Leben führen. Man konnte sich ab und zu ein Gläschen Wein leisten und auch
gelegentlich einmal den sonntäglichen Kirchgang ausfallen lassen.
So war es auch mit den Nachkommen von August Lehmpfuhl. An
diesem Wochenende waren Christen in den unterschiedlichsten Schattierungen
vertreten. Baptisten waren weiterhin vorhanden, einige Verwandte hatten
sich der großen evangelischen Kirche zugewandt, weil sie dort eine bessere
Liberalität zu finden hofften, andere waren ganz ohne Glauben.
Allen war gemeinsam, dass sie offenbar weit von dem
gefährlichen Leben entfernt waren, das der Schuster aus Köpenick, August
Lehmpfuhls Vater, geführt hatte. Der radikale Schritt der Mutter in ein bewusst
christliches Leben hinein hatte die Nachkommenschaft geschützt.
Christopher Lehmpfuhl |
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