Donnerstag, 27. April 2023

Selle Berg het Belche gheiße

Das Röttler Schloss bei Lörrach
Der russische Dichter Turgenew (1813 - 1883), der sehr gut Deutsch sprach, hat noch einmal Unterricht genommen, um auch Alemannisch lesen zu können. Er wollte die in diesem Dialekt verfassten Gedichte von Johann Peter Hebel (1760 -1826) verstehen lernen. Von diesen Gedichten möchte ich heute eines vorstellen.

Es hat den Titel „Die Vergänglichkeit“ und spielt des Nachts auf der Landstraße, die aus dem Schwarzwald hinaus in Richtung Basel führt. Dort sind zwei Bauern unterwegs, Vater und Sohn, und sprechen angesichts des gespenstisch über ihnen stehenden Röttler Schlossruine über die Zukunftsperspektiven ihres eigenen Hauses und schließlich über die Perspektiven der ganzen Welt.

Alles wird eines Tages vergehen, sagte der Vater, wird als Ruine dastehen, wie die auch heute noch vorhandenen Reste des  Röttler Schlosses. Durch das Gespräch im alemannischen Dialekt und die Tatsache, dass die beiden auf einem Ochsenkarren sitzen und ihre Tiere mit lauten Rufen lenken müssen, erscheinen die finsteren Perspektiven in einem gewissermaßen abgemilderten Licht.

Am Ende erklärt der Vater dem Sohn, dass auch dieser eines Tages alt sein wird und von der Erde weg muss und dass er dann auf sie zurücksehen wird von einem fremden Stern. Er schaut von dort herab auf die verbrannte und unbewohnte Erde und sagt

Lueg, dört isch 'd’Erde gsi, und selle Berg
het Belche gheiße! Nit gar wit dervo
isch Wisleth gsi, dört hani au scho glebt

Schau, dort ist die Erde gewesen und dort der Berg
hieß Belchen! Nicht weit davon
ist Wieslet gewesen, dort habe ich auch schon gelebt

Und dann

und Stiere g’wettet, Holz go Basel g’füehrt,
und broochet, Matte g’raust, und Liecht-Spöh’ g’macht,

und Stiere eingespannt, Holz nach Basel gefahren,
und gepflügt, Wassergräben gezogen und Holzspäne gemacht 

und sagt am Schluss, dass er auf der Erde allerhand Spiele getrieben hat („g’vätterlet")

und g’vätterlet, bis an mi selig End,
und möcht iez nümme hi.

Dieses Loslassen der Erde, dieser letzte Abschied "und möchte jetzt nicht mehr hin“ ist für einen älteren Menschen wie mich ergreifend. Ja, so möchte ich auch auf einmal auf mein Leben zurückschauen können, froh über die guten Erinnerungen, aber auch entfernt genug, um nicht zurück zu wollen.

Das letzte Wort gilt dann den Ochsen, die den Wagen ziehen: nach links, Laubi, März!

Hüst, Laubi, März!

Noch sind wir hier auf der Erde beschäftigt.



Das ganze Gedicht kann man im Internet nachlesen. Eine Übersetzung und die Schilderung eines Besuches auf dem Röttler Schloss ist in einem Buch von Arnold Stadler zu finden „Johann Peter Hebel, Die Vergänglichkeit“.






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