Freitag, 30. Juni 2023

Ein Traum

Als unsere Kinder noch kleiner waren, viele Jahre ist es her, hatte ich eines Nachts einen besonderen Traum. Ich saß in einem Boot am Ufer des Mittelmeers und hatte einen schönen Ausblick auf eine an den Berghängen aufsteigende kleine Stadt - das nebenstehende Bild aus dem Internet gibt den Eindruck in etwa wieder. 

In meinem Boot saß ein dunkelhaariger Einheimischer, mit dem ich ein Weißbrot teilte, eine Art Baguette, indem ich es in der Mitte zerbrach und die Hälfte an ihn weitergab. Zu meiner Überraschung reichte der Fremde mir von der für ihn abgebrochenen Hälfte wiederum eine Hälfte zurück. Das war überaus freundlich und wirkte auf mich wie die besondere Form eines christlichen Abendmahls.

Ich beschloss, nun meinerseits von dem mir angebotenen Viertel die Hälfte an den Fremden zurückzugeben. Ich tat es und erhielt wenig später erneut die Hälfte meiner Gabe von dem Mann zurück. 

Während der ganzen Zeit fuhr das Boot in ruhiger Fahrt einen großen Kreis, so dass ich die Stadt am Hang von verschiedenen Seiten sehen konnte. Es war ein Anblick voller Friede und Ruhe – und die Freundlichkeit des Fremden, der so großzügig und selbstlos mit mir teilte, machte das Ganze perfekt.

Begleitet wurde das alles von einer Stimme, die einen Abschnitt aus dem Propheten Jeremia las. Dieser Abschnitt war mir damals - ich bin mir da immer noch sicher - noch unbekannt, ich habe ihn später nachgeschlagen und dann unzählige Male in meinem Leben gelesen. Für mich ist es eine der schönsten Stellen der Bibel.

Aus Kapitel 31,31-34:

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, mein Bund, den sie gebrochen haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und ich will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein. Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

Heute kann ich sagen, dass mir die Fremdlinge vom Mittelmeer tatsächlich begegnet sind. Zuletzt in der Form eines Palästinensers, den ich als strengen Moslem kenne und gleichzeitig als einen Menschen, der die Frömmigkeit eines Christen versteht. Er hat als Fremdenführer in seiner Heimat viele christliche Gruppen zwischen Nazareth und Betlehem begleitet und ihnen seine Heimat im historischen Samaria gezeigt.

Nun haben ihn italienische Katholiken, die ganz offenkundig seine Sensibilität für den christlichen Glauben erkannt haben, nach Italien eingeladen, wo er über seine Erfahrungen sprechen soll. Als ich ihm gratulierte, schrieb er zurück

„Please remember that you were the first christian who showed me good understanding of my faith and introduced me to your german turk brothers.
Honestly I learned a lot from you.
Today I am proud I will stand on the italian stage to talk about my experience.
God bless you dearest brother “


Samstag, 3. Juni 2023

War Kennedy Berliner?

Man schiebe es bitte nicht auf mein Alter und die damit einhergehende Auflösung bestimmter Gehirnzellen, wenn ich in der letzten Zeit mehr und mehr den Eindruck habe, dass die strenge Logik des gesprochenen und geschriebenen Wortes nicht ausreicht, um der uns umgebenden Wirklichkeit gerecht zu werden.

Wir merken das vielleicht am ehesten bei der Wirkung von Liedern. Sie sprechen uns in Bereichen an, die wir vielleicht etwas zu einfach als „tiefere Ebene“ bezeichnen. Richtig ist aber, dass wir in Liedern bereit sind, Worte zu benutzen, die wir ohne Einbettung in die Musik gar nicht sagen würden. Das ist immer wieder bei religiösen Liedern der Fall, wie etwa bei dem Marienlied, dass ich im Altenberger Dom gehört habe, und dass mich alten, in der Wolle gefärbten Protestanten trotz meines Unverständnisses für Marienverehrung tief ergriffen hat.

Ähnliches ist auch oft in Worten spürbar, die durch ihre besondere Deklamation unser Herz ansprechen.

So hätte bei der berühmten Kennedy Rede – „ich bin ein Berliner“ – wohl niemand daran gedacht, man könne in der Woche darauf Kennedy wegen eines alltäglichen Berliner Problems ansprechen? Die Müllabfuhr streikt, die U-Bahn hat Ausfälle etc. – konnte man damit zu Kennedy gehen? Natürlich nicht! 

Aber man hat dem Präsidenten die existenzielle Solidarität mit Berlin gerne geglaubt – auch wenn sie einer kritischen Analyse nicht standgehalten hätte.

Auch große Werke der Weltliteratur lassen sich „historisch-kritisch“ nicht bestätigen. Die Schlacht bei Borodino, so wie in Tolstois "Krieg und Frieden" beschrieben, hat möglicherweise nicht so stattgefunden. Die persönlichen Details in der Familiengeschichte der Buddenbrooks sind zwar in den Geschichten der Familie Mann nachzuverfolgen, eine genaue Untersuchung würde aber herausstellen, dass Dichtung und Wahrheit weit auseinander klaffen..

Ich erlebe den Unterschied zwischen historischer Kritik und liedhafter, rhetorischer Abbildung derzeit besonders deutlich beim Betrachten von „The Chosen“, einer Netflix-Serie, die in 24 Folgen die biblischen Berichte von Jesus nacherzählt. Viele der Szenen sind – ganz ähnlich wie bei Tolstoi und Thomas Mann– frei erfunden und werden auch zu Beginn der Serie als solche angekündigt. Sie sind aber sehr plausibel gestaltet und machen den Gang der Handlung lebendig, viel lebendiger als der Bericht in den Evangelien. Man hat kein Problem, sich diese Szenen anzusehen und zu sagen "so könnte es gewesen sein".

Problematisch dagegen ist eigenartigerweise die Wiedergabe von Szenen, die genau nach der Bibel erzählt werden, die aber ein Wunder enthalten. Am schönsten ist das vielleicht in der Szene zu sehen, in der Jesus bei der Hochzeit zu Kana Wasser in Wein verwandelt. Mit einer ganz langsamen Gebärde reicht er mit der Hand in einen Wasserkrug, und wenn die Hand zurückkommt, tropft kostbarer roter Wein von ihr herab.

Der erstaunliche Effekt auf einen modernen, historisch-kritisch denkenden Menschen ist der, dass man dieses Wunder in die allgemeine Erzählung einbettet und am Ende mit der verblüffendes Erkenntnis herauskommt, dass es eigentlich so gewesen sein muss. Ohne dieses Wunder, und auch ohne die vielen anderen Wunder, die man sieht, macht die ganze Jesusgeschichte wenig Sinn. So denkt man jedenfalls am Ende.

Die Frage ist also, ob die Wunder nicht doch so geschehen sind, wie sie in der Bibel berichtet werden. Natürlich widerspricht das unserem modernen Denken. Aber will ich lieber an den Wundertäter Jesus glauben oder will ich mich auf mein modernes Denken verlassen? 

War Kennedy Berliner? Natürlich war er es!