Samstag, 3. Juni 2023

War Kennedy Berliner?

Man schiebe es bitte nicht auf mein Alter und die damit einhergehende Auflösung bestimmter Gehirnzellen, wenn ich in der letzten Zeit mehr und mehr den Eindruck habe, dass die strenge Logik des gesprochenen und geschriebenen Wortes nicht ausreicht, um der uns umgebenden Wirklichkeit gerecht zu werden.

Wir merken das vielleicht am ehesten bei der Wirkung von Liedern. Sie sprechen uns in Bereichen an, die wir vielleicht etwas zu einfach als „tiefere Ebene“ bezeichnen. Richtig ist aber, dass wir in Liedern bereit sind, Worte zu benutzen, die wir ohne Einbettung in die Musik gar nicht sagen würden. Das ist immer wieder bei religiösen Liedern der Fall, wie etwa bei dem Marienlied, dass ich im Altenberger Dom gehört habe, und dass mich alten, in der Wolle gefärbten Protestanten trotz meines Unverständnisses für Marienverehrung tief ergriffen hat.

Ähnliches ist auch oft in Worten spürbar, die durch ihre besondere Deklamation unser Herz ansprechen.

So hätte bei der berühmten Kennedy Rede – „ich bin ein Berliner“ – wohl niemand daran gedacht, man könne in der Woche darauf Kennedy wegen eines alltäglichen Berliner Problems ansprechen? Die Müllabfuhr streikt, die U-Bahn hat Ausfälle etc. – konnte man damit zu Kennedy gehen? Natürlich nicht! 

Aber man hat dem Präsidenten die existenzielle Solidarität mit Berlin gerne geglaubt – auch wenn sie einer kritischen Analyse nicht standgehalten hätte.

Auch große Werke der Weltliteratur lassen sich „historisch-kritisch“ nicht bestätigen. Die Schlacht bei Borodino, so wie in Tolstois "Krieg und Frieden" beschrieben, hat möglicherweise nicht so stattgefunden. Die persönlichen Details in der Familiengeschichte der Buddenbrooks sind zwar in den Geschichten der Familie Mann nachzuverfolgen, eine genaue Untersuchung würde aber herausstellen, dass Dichtung und Wahrheit weit auseinander klaffen..

Ich erlebe den Unterschied zwischen historischer Kritik und liedhafter, rhetorischer Abbildung derzeit besonders deutlich beim Betrachten von „The Chosen“, einer Netflix-Serie, die in 24 Folgen die biblischen Berichte von Jesus nacherzählt. Viele der Szenen sind – ganz ähnlich wie bei Tolstoi und Thomas Mann– frei erfunden und werden auch zu Beginn der Serie als solche angekündigt. Sie sind aber sehr plausibel gestaltet und machen den Gang der Handlung lebendig, viel lebendiger als der Bericht in den Evangelien. Man hat kein Problem, sich diese Szenen anzusehen und zu sagen "so könnte es gewesen sein".

Problematisch dagegen ist eigenartigerweise die Wiedergabe von Szenen, die genau nach der Bibel erzählt werden, die aber ein Wunder enthalten. Am schönsten ist das vielleicht in der Szene zu sehen, in der Jesus bei der Hochzeit zu Kana Wasser in Wein verwandelt. Mit einer ganz langsamen Gebärde reicht er mit der Hand in einen Wasserkrug, und wenn die Hand zurückkommt, tropft kostbarer roter Wein von ihr herab.

Der erstaunliche Effekt auf einen modernen, historisch-kritisch denkenden Menschen ist der, dass man dieses Wunder in die allgemeine Erzählung einbettet und am Ende mit der verblüffendes Erkenntnis herauskommt, dass es eigentlich so gewesen sein muss. Ohne dieses Wunder, und auch ohne die vielen anderen Wunder, die man sieht, macht die ganze Jesusgeschichte wenig Sinn. So denkt man jedenfalls am Ende.

Die Frage ist also, ob die Wunder nicht doch so geschehen sind, wie sie in der Bibel berichtet werden. Natürlich widerspricht das unserem modernen Denken. Aber will ich lieber an den Wundertäter Jesus glauben oder will ich mich auf mein modernes Denken verlassen? 

War Kennedy Berliner? Natürlich war er es!

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