Mittwoch, 10. September 2025

Meine beiden Großväter in Gestapohaft


Erwin Bohle 1897 - 1957
Adolf Runkel 1889 - 1961
Im Jahr 1942 waren meine beiden Großväter für mehrere Wochen in Gestapohaft. Sie hatten eine gemeinsame Aktion unternommen, welche die Aufmerksamkeit der Gestapo erregte. Die beiden hatten einen Brief des gefeierten Luftkämpfers Werner Mölders im Büro des einen – Adolf Runkel – vervielfältigt und in der Baptistengemeinde des anderen – Erwin Bohle – verteilt. Die Aktion sollte das Ziel haben, so erinnerte sich mein Vater, den an den verschiedenen Fronten als Soldaten eingesetzten Söhnen der Gemeinde Mut zu machen, ihren Glauben auch als gute Soldaten und als gute Deutsche zu leben.

Der hoch dekorierte und von den Nazis gefeierte Werner Mölders hatte an einen Freund geschrieben, dass er auch im Krieg an seinem Glauben festhalte und den spottenden ungläubigen „Lebensbejahenden“ ein Beispiel gebe, wie die vermeintlich „lebensverneinenden Katholiken“ im Kampf "seelische Stärke" bewiesen. Die Gestapo hatte diesen Absatz als Kritik am nationalsozialistischen Regime angesehen und im ganzen Reichsgebiet versucht, die Verbreitung dieses Briefes zu verhindern.

Was die Gestapo wusste, die Großväter allerdings nicht, war, dass der Brief eine Fälschung war. Für die Gestapo war es leicht, dies herauszufinden, weil der Adressat des Briefes gar nicht existierte. Zwar hatte Mölders einen ähnlichen Brief geschrieben, der seinen katholischen Glauben bestätigte, der aber die kritische Passage nicht enthielt. Beide Briefe sind im Internet dokumentiert. Mölders war zum Zeitpunkt der Verteilaktion bereits einige Monate tot, nachdem er im November 1941 als Passagier eines Linienfluges bei dessen Absturz nahe Breslau ums Leben gekommen war.

Die ganze Geschichte der Fälschung ist erst viele Jahre nach dem Krieg herausgekommen, als ein Offizier des britischen Geheimdienstes seine Lebenserinnerungen aufgeschrieben hatte. Das geschah in den sechziger Jahren, da waren die beiden Großväter bereits verstorben.

Sie haben bis zum Ende ihres Lebens geglaubt, eine gute Sache vertreten und der deutschen Wehrfähigkeit eher genutzt als geschadet zu haben. Dass sie dafür in Untersuchungshaft genommen wurden, haben sie als großes Unrecht empfunden und haben zusammen mit ihren Angehörigen alles in ihrer Macht Stehende getan, um wieder frei zu kommen. Für den mütterlichen Großvater Erwin Bohle hat seine Frau Lina gekämpft, sie hat sich in den Zug nach Berlin gesetzt, um dort bei dem Gauleiter Wilhelm Bohle vorzusprechen, einem hohen Funktionär in der Nazihierarchie und entfernten Verwandten. Er hat ihr offenbar geholfen, denn in den Akten, die viele Jahre später mein Onkel Manfred Bohle eingesehen hat, steht ein Eintrag, dass der Großvater auf Anweisung von Berlin freigelassen worden sei.

Der andere Großvater kam ebenfalls frei, nachdem sein Bruder Gustav, Mitgesellschafter in der Bauunternehmung der Familie, eine hohe Summe hinterlegt und darauf verwiesen hatte, dass sein Bruder ein dem nationalsozialistischen Denken durchaus nahestehender Mann war. In der Tat war er schon vor dem Jahr 1933 Parteimitglied der NSDAP geworden.

Dass die beiden Männer sich nach dem Krieg über einen gemeinsamen Enkel - für beide der erste - freuen würden, nämlich mich, war 1942 noch nicht abzusehen. Die beiden gehörten unterschiedlichen Freikirchen an, von denen die von Großvater Adolf etwa ab 1938 verboten war, weil sie einige Auflagen der Nationalsozialisten nicht erfüllen wollte. Die Freikirche von Großvater Erwin, die Baptisten, deren Pastor er war (damals sagte man „Prediger“), konnte dagegen die Zeit des Dritten Reiches von den Nazis unbehelligt überleben, war dabei in gewisser Weise auch ein Refugium für Leute von Adolfs verbotener „Versammlung“ und hatte Zulauf von dort. Mein Vater hatte auf die eine oder andere Art und Weise Freunde unter den Baptisten gefunden und hatte 1944 Erwins Tochter Sigrid einen Heiratsantrag gemacht, war damals allerdings von ihr abgewiesen worden.

Erst nach dem Krieg konnte mein Vater den Heiratsantrag wiederholen und wurde erhört, wohl auch deshalb, weil ein Mitbewerber um die Hand meiner Mutter in den letzten Kriegstagen gefallen war.

Die beiden haben schließlich im Januar 1948 geheiratet, ein Jahr später wurde ich geboren, zur Freude auch von Adolf und Erwin.

 

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