Vielleicht würde ich als amerikanischer Bürger Barack Obama nicht einmal wählen, aber ich verehre ihn trotzdem als einen, der die Veränderungen dieser Welt besser versteht als manche andere. Daß man herumreist und sich von unterwegs mit der Botschaft an seine Leute wendet „seht her, auch bei den anderen finden meine Worte Gehör“, das werden ihm noch viele nachmachen. Es ist eine zutiefst sinnvolle und sinnstiftende Aktion.
Obama liest das Internet. Er vermittelt nach meinem Eindruck sehr klar, daß über die Blog-Sphäre einzelne Gesichter deutlicher hervortreten, daß Einzelschicksale greifbarer und damit auch besser in politische Handlungen integrierbar werden.
Ich will unten ein paar Beispiele liefern - etwa wie aus „den Japanern“ ein Mann Namens Hiromiti wird und wie statt des namenlosen „Indiojungen aus Peru*“ ein Herr Luis Miguel Huertas (linkes Foto, der Mann rechts) vor unseren Augen erscheint, wie er sich „Por la Paz y Democracia“ einsetzt.
Natürlich kann das Internet auch eine Enttäuschung sein, wenn man sieht, in welcher gigantischen Masse von Menschen man als Einzelner untergeht. Aber man bekommt doch auch einen Begriff davon, daß jeder Mensch sein eigenes Gesicht hat, seinen Wert.
Ich habe in schneller Folge auf das Feld „nächstes Blog“ über diesem Blog getippt, da kommen solche Blogs nach einem Zufallsverfahren heraus, die gerade frische Posts veröffentlich haben.
Hier eine Auswahl:
Trixie, Philippinen,13, die aus ihrem Schülerinnenleben erzählt.
Hiromiti aus Japan, der in seinen eigenen Schriftzeichen schreibt, die ich nicht lesen kann, aber neben schönen Eisbären-Bildern auch appetitliche Sushi-Fotos macht (siehe rechts).
Ein älteres australisches Ehepaar, das seit zwei Jahren mit dem Wohnwagen im Land unterwegs ist.
Renata Ribaldi, 27, eine Designerin, die in Spanisch aus Singapore berichtet.
Sarah Coincidence, die ein bißchen astrologisch aus der Gegend von Grenoble schreibt. Ob sie wirklich so heißt?
Mehre Australier, die ihre Restaurantbesuche penibel fotografieren und bewerten.
Charles Ben May, Schweden, der moderne Kunst ins Netz stellt.
Ein Ingenieur aus den USA, der allen erklärt, wie Turbinen funktionieren.
Sniffi, eine Studentin aus Finnland, die Lakritz und Eis zu „Lakritsatuutti“ kombiniert.
Tama-Chan, Bürofrau, ca. 25, die in Tokyo arbeitet, aber offenbar aus einem anderen Land (ich vermute Korea) kommt, „Excited for what God has for me here!“ ansonsten fremde Schriftzeichen.
Maria, 48, aus Lissabon, die nachdenkliche Worte und schöne Bilder ins Netz stellt.
Mumu, 32, Immobilien- „Assistante“ aus Frankreich, die ihre Eltern und Großeltern vorstellt und den noch neuen Blog schlicht „Ma Vie“ nennt.
Kid, 14jähriges Mädchen aus Finnland (das Lieblingsbuch ist jedenfalls „Älä usko älä toivo älä rakasta“, das ist doch Finnisch, oder?), fotografiert u.A. ihre Haustiere. „There is no one in the world that could replace you“, sagt sie ihnen.
Seb Per aus Frankreich , der amerikanische Städte fotografiert.
Ein Russe aus Ижевск, der verfallene Industriegelände fotografiert.
Espiga, ein Junge aus Spanien, der eine Fan-Seite für seinen Fußballclub betreibt.
Und noch andere;
Marianne aus Oslo lernt das Bergsteigen, indem sie sich mit anderen an großen Steinbrocken nach oben hangelt. "Kald Stein undar Fingra", ja, das verstehe ich auch.
Djoni aus der Türkei fotografiert Pflanzen. Schön.
Paty aus Brasilien, hat ein schönes rundes Gesäß und läßt sich deshalb gerne knapp bekleidet von hinten ablichten. Kinder und Jugendliche bitte hier nicht klicken.
Amir Hamza aus Malaysia schreibt so, daß man meint, es fast verstehen zu können „Sempat bergambar di Gua Silat“, das hört sich doch ganz vernünftig an!
Jonatan Moutinho, 45, CAD-Techniker aus Portugal ist auf Reisen in London und berichtet von „aventura por terras de sua majestade“
Die 1968er Absolventen der Mennonitenschule in Kalona, Iowa, haben sich wieder getroffen (Foto links). Lauter alte Leute. Wie ich.
Eine eher kommerzielle Seite berichtet über Filme, die nach indischem „Bollywood“ aussehen, aber wohl aus Sri Lanka und Malaysia kommen „Desiwood“.
Karla in Tschechien ist vor ein paar Wochen zur Welt gekommen und wir dieser jetzt präsentiert.
Jéssika Perereca (rechts), 16, mit Zahnspange, aus Brasilien will „Encontarar novos amigos“ und Harry Potter lesen.
Die Sluders in Kentucky haben eine Ferienbibelschule besucht und verlebten danach noch einen Küstenurlaub, der geringfügig von Quallen gestört wurde.
Antonella, 16, aus Argentinien, erzählt aus ihrem Leben.
„Mama de Chili“, 34, und ihr Mann in Kalifornien haben eine neue Küche bekommen. Das ist auch nötig, denn man erwartet ein Baby. Außerdem wurden der Katze „Chili“ fünf Zähne gezogen. Das arme Tier!
Luis Miguel Huertas wurde in San Juan de Miraflores (Peru) bei einer Parteiveranstaltung („Por la Paz y Democracia!“) in einem kleinen, geschmückten Raum vereidigt (?), er hebt jedenfalls feierlich die Hand. (Foto oben auf der Seite)
Die Bibliothek im früher ostpreußischen Allenstein (Olstynie in Polen) hat Tanzgruppen aus Mexiko, Brasilien und Portugal zu Besuch, siehe Foto.
Die Larsens in Kalifornien haben eine neue Garageneinfahrt und reparieren gerade das Dach ihres Hauses.
Viel Glück für euch alle, ihr meine fernen Nächsten!
* Es gab in den 60er Jahren einen Schlager "Der Indiojunge aus Peru, der will leben so wie du". Das haben alle gesungen, aber was konnte man sich unter diesem Jungen schon vorstellen? Mit dem Internet kommen diese Leute nah, und auch ihr spürbarer Wille, daß sie mit aller Kraft leben wollen "wie du".
Samstag, 26. Juli 2008
Blogs (II) – Wege zu meinen fernen Nächsten
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1 Kommentar:
Weltecholot der Blogger
In einer Fernsehsendung über den Tenor Plácido Domingo trällert dieser immer wieder kleine Beispielmelodien. Man reibt sich die Augen, wo ist der Schmelz dieser großen Stimme geblieben? Und dann springt er plötzlich in die volle Opernstimme, eine andere Welt, man ist erschrocken und auch verunsichert, war es in der Alltagswelt des Trällerns nicht vielleicht doch angenehmer? Bei einer gleichformatigen Sendung über Udo Lindenberg blieben uns Schwanken und Zweifel dieser Art erspart. Ebenso die Alten Meister der Malerei, gibt es nicht Augenblicke, in denen wir die Entwurfsskizzen den ausgeführten Altären vorziehen? Und auch hier ersparen uns die neuen Meister die Qual, zwischen Entwurfsfettfleck und Ausstellungsfettfleck liegt kein transcendental moment.
Kempowski arbeitet in drei Welten, der der fiktionalen Literatur, der der Tagebücher und der der „Fremdbücher“, kleine Befragungssammlungen wie Immer so durchgemogelt auf der einen und das monumentalen Echolot auf der anderen Seite, und doch befinden wir uns immer in der gleichen Welt des Walter Kempowski. Die Romane sind durchweg aus Momenten trivialer Bewußtseinsdurchgänge und scheiternder höherer Aspirationen gestaltet. Als Beispiel eine Szene aus den Hundstagen: Die Ehefrau des Dichters ist allein mit dem Auto auf Reisen, bei ihm fährt die Polizei auf den Hof, was anders kann sie wollen, als ihm den Unfalltod der geliebten Urlauberin mitzuteilen. Starr vor Entsetzen schweift das Bewußtsein gleichwohl sofort eitel ab und beginnt die Todesanzeige zu entwerfen, in der das Wort UNFASSBAR nicht fehlen darf. Die Tagebücher sind an der Oberfläche ganz ähnlich gestaltet, wenn natürlich im Hintergrund ganz anders montiert, und auch bei den Fremdbüchern kommt immer wieder Zweifel auf, ob die Klienten ganz allein und aus eigener Kraft immer so genial das Ziel verfehlen, und der Dichter nicht doch ein wenig nachhilft. Keineswegs aber befinden wir uns im Reich des Fettflecks. Im Tagebucheintag zum Mauerfall notiert der Dichter mit Bedauern, daß die Feiernden es nur zu Ein Tag so wunderschön wie heute und nicht zu Nun danket alle Gott gebracht haben. Der Choralspieler Kempowski ist auch in seiner Prosa immer anwesend.
Nun hat uns der Blogger mit seinem Weltecholot vor ähnlich diffizile Fragen gestellt.
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