Mittwoch, 6. August 2008

Eine Brücke für meine Großeltern







Über die neue Fußgängerbrücke im Bereich unseres Remscheider Bahnhofs würden sich meine Großeltern Adolf und Lieschen Runkel sicherlich sehr gefreut haben. Die Brücke verbindet den Südbezirk, in dem die Elternhäuser Runkel und Altena nebeneinander standen, mit der Innenstadt, in welcher das junge Paar nach seiner Hochzeit, kurz nach dem Ersten Weltkrieg das erste Haus bezog.

Der Weg von dort zurück zu den Eltern der beiden in der Rosenhügeler Straße, in welcher auch die 1898 von meinem Urgroßvater Christian gegründeten Baufirma lag und bis heute liegt, war durch die breiten Gleisanlagen des Remscheider Haupt- und Güterbahnhofs zerschnitten.

Hinter den Schienensträngen, die sich damals im Bahnhofsbereich auf zwölf Gleise und Nebengleise auffächerten, und hinter den großen Fabrikhallen der BSI (Bergische Stahlindustrie, jetzt Thyssen und einige andere) führte der Kern des Südbezirkes immer ein gewisses Schattendasein und ist traditionell mit seinen preiswerten Wohnungen ein bevorzugtes Ziel von Migranten. Um 1880 herum waren das die Wanderarbeiter aus dem Oberbergischen Land meines Urgroßvaters, heute sind es die Türken.

Die Eisenbahn kam 1868 nach Remscheid, der zunächst schienengleiche Überweg in den Südbezirk wurde später durch „die Unterführung" (Bild) ersetzt, eine Stahlbrücke, auf der die Schienen verlaufen und unter der die Autos und lange Jahre auch eine Straßenbahn durchfahren konnten. Man wurde nun etwas komfortabler an die Innenstadt angebunden, wenn auch finsterer.

Die Fußgänger hatten auf den schmalen Gehsteigen der Unterführung wenig verloren, für sie wurde etwa 50 Meter weiter westlich die"Fußgängerunterführung“ geschaffen, noch finsterer als die große Schwester nebenan, eine häßlich verflieste Tropfsteinhöhle, durch welche die Remscheider Frauen und Kinder immer nur mit Beklommenheit hindurch gingen.

Ich vermute, daß diese Fußgängerunterführung schon zu den Zeiten eingerichtet war, als meine Großeltern in der Weimarer Republik meine Urgroßeltern besuchten, seit 1920 zusammen mit meinem Vater. Der hat diese dunkle Höhle sicherlich unzählige Mal in seinem Leben durchquert.


Seit einigen Wochen nun ist die Höhle gesperrt, wird abgerissen oder aufgefüllt, wie auch immer, und wird durch die schöne neue Brücke überflüssig gemacht, die in wenigen Wochen dem Verkehr übergeben werden soll.

Besonders schön an der Brücke finde ich, daß sie nicht nur die wenigen Meter überquert, auf denen die restlichen zwei Gleise des komplett umgestalteten Bahnhofsgeländes verblieben sind, sondern daß sie hoch oben auf der einmal gewonnenen Höhe bleibt, sich dort verlängert, einige neue Geschäftshäuser erschließt und dann erst ganz am Ende der alten, jetzt überbauten Gleisanlagen über eine Rampe in den Südbezirk hinunter führt.


Auf der städtischen Seite soll eine breite Treppe, etwa dort, wo auf dem Foto rechts noch der Bagger steht, auf die Höhe der Brücke hinauf führen. Wenn ich einen älteren Zeitungsbericht richtig in Erinnerung habe, war für diese Treppe ein Wort im Gespräch, das an venetianisch anklang.


Im Hintergrund ist der Turm von St. Joseph zu sehen, er wurde vor einigen Monaten frisch angestrichen. Er steht schräg hinter dem "Zentralpunkt" gennanten Platz im Herzen des Südbezirkes. Ich habe bis in meine späten Lebensjahre hinein den Turm nie bewußt wahrgenommen, sei es wegen seiner nichtssagenden funktionalen Häßlichkeit, sei es, weil ich als Nachkomme vom Migranten immer noch mit zum Boden gesenkten Blick durch dieses Viertel gehe.

Spätestens beim ersten Gang über die venetianische Treppe auf die Brücke hinauf werde ich ihn erheben. Irgendwann kommt schleißlich jeder Migrant einmal an.

3 Kommentare:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Brücken bauen

Niemand sollte einen Kommentar schreiben, ohne zuvor Nabokows Pale Fire gelesen zu haben. Das Werk besteht aus einem mäßig langem Versepos und einer ordentlich langen Kommentierung eben dieses eigenwilligen Dichtwerks, und es ist völlig undenkbar, daß irgendwann noch einmal ein Kommentar geschrieben wird, der seinen Gegenstand so vollkommen, so lückenlos und so großartig und kunstvoll verfehlt wie dieser. Das macht Mut, im Schatten der ohnehin nicht erreichbaren Spitzenleistung kann man sich unbekümmert tummeln. Wenn man kommentierend seinem Gegenstand gerecht wird, gut, wenn nicht, ebenfalls gut, man ist bescheiden in der Spur des großen Meisters gewandert.

Brückenbau ist eine der großen Metaphern der Gegenwart, mit denen der Internationalisierung und Globalisierung auf die Sprünge geholfen werden soll. Großzügig wird den Menschen (bärndütsch: Möntschen) zugestanden, daß ihre Ängste angesichts des umwälzenden Geschehens nicht unberechtigt sind, aber genommen werden sollen sie ihnen trotzdem, da muß man auf der Hut sein. Angesichts einer venezianischen Brücke in Remscheid kann man sich aber ganz unbeschwert der Freude hingeben. Ganz so wie die Ponte di Rialto scheint sie freilich nicht auszufallen. Aber halt, es ist ja auch gar nicht die Brücke, sondern die Treppe, die venezianischen Flair haben soll. – Wahnsinn, da geh’n mer ooch hin!

spragofax hat gesagt…

Als nach Remscheid fahrender, die inzwischen verstorbene Oma Margarethe Pauline besuchender Wermelskirchener war mir der Turm schon immer aufgefallen und ist mir als Erinnerung an meinen Opa Steinbach eingeprägt, dessen Beerdigungsgottesdienst dort stattfand. Dass es sich um St. Johann handelt, lerne ich erst jetzt dazu...aber die Brücke ist bestimmt der Hit.
Vor einigen Jahren erschien übrigens in der Bergischen Morgenpost eine Foto-Reihe mit den häßlichsten Bahnhöfen im Bergische, soweit ich mich erinnere, war Remscheid Hbf ganz weit oben mit dabei...aber das nur am Rande.

Esther Runkel hat gesagt…

Finde ich originell und ziemlich schrill, den Aufgang zu einer Fußgängerüberführung in Remscheid in die Nähe zu Venedig zu bringen!
Nicht weniger schrill ist die Tankstellenphobie von Frau Schnobelsbergers Sohn, unter der er leidet, seitdem er sich vor Jahren im Tankschlauch verhedderte.

Ein Laokoon von Aral.
Quasi.