Eine Cousine fand vor kurzem beim Aufräumen diesen Brief aus dem Jahre 1947 und gab ihn mir. Mein Großvater Adolf Runkel hat ihn an den Justitiar des Remscheider Haus- und Grundbesitzervereines geschrieben. Er hieß Dr. Rudi Koppelmann, war etwa 40 Jahre alt und damals bereits seit 18 Monaten in französischer Kriegsgefangenschaft. Mein Opa, 1889 geboren und beim Schreiben etwas jünger als ich heute, beschreibt seine Lebensumstände selbst – zwei Söhne aus dem Krieg zurück, einer davon mit schweren Gesundheitsschäden, ein dritter noch in Gefangenschaft, die Wirtschaft in Trümmern. Er sitzt in einem kleinen Hilfsbüro im Keller einer anderen Firma, das eigene Büro ist durch Bomben zerstört.
In dieser Situation findet er bewegende Worte für den Glauben. Der Adressat des Briefes ist kein Christ oder ist es nur auf dem Papier. Er und der Opa haben viele Jahre lang regelmäßig gezecht, man war sich von daher vertraut, auch wenn man sich immer noch siezte. Mein Großvater war ein genußvoller Trinker, so hat es mir der alte Dr. Koppelmann selbst noch erzählt. Aber der Opa bekam offenbar Probleme damit. Einige Jahre vor dem Krieg begann er, abstinent zu leben, und hielt es bis zu seinem Tod durch. Er wurde 72 Jahre alt, auf dem Photo von 1949 ist er 60. Die letzten zwölf Lebensjahre hat er zusammen mit mir als seinem ältesten Enkel auf der Erde verbracht.
In seinem Brief klingt an, daß er bedauert, mit Dr. Koppelmann nicht schon früher über den Glauben gesprochen zu haben. Dem stand aber wohl der Wein entgegen, denn es redet sich mit vernebeltem Kopf nicht gut von Gott.
Der Opa sagt die Menschen sind ja an allem zuschanden geworden. Geld, Gut, Reichtum, Ehre und alles, was die Welt zu geben vermag, hat enttäuscht. Und fügt hinzu: Gott enttäuscht nie.
Remscheid, 14. Januar 1947
Lieber Rudi Koppelmann!
Ihr Brief hat mich sehr erfreut und ich hätte ihn gern handschriftlich beantwortetet, aber nun liegt er schon einige Wochen da und ich komme nicht dazu. So will ich nun, um Sie nicht länger warten zu lassen, auf diesem Wege antworten. Ihre liebe Frau habe ich durch Ihr Töchterchen sofort fernmündlich von der Ankunft Ihres Schreibens unterrichtet. Ich kann es verstehen, mit welcher Sehnsucht Sie den Augenblick Ihrer Rückkehr erwarten. Wenn man selbst Söhne jahrelang auf den Kriegsschauplätzen hatte, so kennt man etwas von den Empfindungen. Zwei Jungens sind ja zu Hause. Mein ältester Sohn war auch in russischer Kriegsgefangenschaft. Er kam im Juni vorigen Jahres zurück. Mein jüngster kam vor einigen Wochen aus französischer Kriegsgefangenschaft. Er hatte zuletzt als Bergmann in Douai gearbeitet. Er ist hoch aufgeschlossen; 1,86 m groß, und hat in den ersten sieben Monaten seiner Gefangenschaft sehr gelitten. Nun muss er stets liegen. Man kann nicht übersehen, wie die Sache ausläuft. Mein Sohn Hermann, mein zweiter, ist in russischer Kriegsgefangenschaft. Ich weiß nicht, wo er ist, vermute aber, dass er sich recht, recht weit im Osten befindet. Seit der Mitte des vorigen Jahres habe ich Nachricht von Ihnen. Er schreibt sehr glücklich. Er weiß sich in lebendiger Verbindung mit seinem Vater im Himmel und achtet deshalb weniger auf die täglichen Schwierigkeiten, die ihm begegnen. Unsere Verbindung über den Himmel ist auch recht enge. Sie kann durch Raum und Zeit gar nicht gestört werden. Wir wissen das bestimmt, dass der lebendigen Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat und alles in seiner starken Hand hält, auf ihn herab blickt und jeden seiner Seufzer hört. Das Wort Gottes sagt uns das im Saal 102, 19 und 20. Wir glauben an sein Wort. Es ist sehr tröstlich für seine Mutter, die Versicherung ihres Gottes zu hören dass der Herr aus dem Heiligtum und aus der Höhe auf die Erde herab blickt, um das Seufzen der Gefangenen zu hören. Er hat es gut mit uns vor, aber er weiß, dass die Dinge dieser Erde nie wahrhaft glücklich machen können. Deshalb zerschlägt er hier manches, damit der Blick zu ihm empor gerichtet wird. Fülle von Freunden ist vor seinem Angesicht. Psalm 16. Wenn wir uns nur mit den Dingen dieser Welt beschäftigen, dann haben wir keine Empfinden für das, was Gott für uns getan und für uns bereitet hat. Wir sind dann leider nur mit dem Diesseitigen beschäftigt, aber mein Sohn schreibt mir einmal: "Auch ohne Nachricht weiß ich euch sicher in unseres Gottes Hand. Das macht mich getrost und glücklich. Wie viel besitzen wie er durch den unerschütterlichen Glauben an unseren Vater im Himmel. Auch in den schwierigsten Augenblicken wandeln wir sicher über den Umständen dieser Zeit. Ich bin glücklich und getrost. Um mich braucht Ihr euch nicht zu sorgen. Auch um euch sorge ich mich nicht. Der die Vögel unter dem Himmel ernährt und kleidet, sollte der uns verlassen? Der Herr hatte in seiner Gnade nicht bis hierher wunderbar geführt. Er wird es auch weiter tun. Seid seiner Liebe anempfohlen." Und ein ander Mal schreibt er von herrlichen Erlebnissen, von Gottes Führungen und vom unerschütterlichen Vertrauen zu ihm, trotzdem er, nachdem er sechs Tage an seinen Endziel war, an Malaria mit Fieber von 41° und dann an Ruhr erkrankte. Trotzdem hält er fest an Gottes Güte." Ich habe seine Nähe," so schreibt er wieder, sehr verspürt!“ Ist das nicht schön? Wir haben früher viel zu wenig darüber gesprochen und ich weiß ja leider von so vielen Augenblicken, wo ich kein lebendiger Zeuge für all die herrlichen Dinge, die ich immer kannte, war. Da habe ich manches nachzuholen. Lieber Rudi, ich fühle mich Ihnen sehr verbunden. Die vielen Jahre gemeinsamer Arbeit haben uns nahe gebracht. Ich wünsche, dass auch sie den Vater im Himmel näher kennenlernen. Man muss dann mit Sünde und Schuld zu ihm kommen und sich Vergebung durch Jesu Blut schenken lassen Gott will, dass alle Menschen errettet werden. Haben Sie eine Bibel? Dann lesen Sie doch bitte mit viel Aufmerksamkeit darin. Ich tue es heute viel mehr als früher. Ich nehme gern Gelegenheit, alle Menschen, die mir begegnen, auf Gott hinzuweisen. Durch Gottes Güte habe ich viel Freimütigkeit dazu und die Menschen sind ja an allem zuschanden geworden. Geld, Gut, Reichtum, Ehre und alles, was die Welt zu geben vermag, hat enttäuscht. Gott enttäuscht nie, aber die Güter, die er schenkt, sind ganz anderer Natur. Aber sie machen das Herz froh und glücklich. Das habe ich erlebt in den Kriegsjahren, besonders in den letzten Jahren.
Nun muss ich Ihnen noch etwas erzählen von meiner Tätigkeit. Mit den täglichen Arbeiten der Geschäftsstelle des Haus- und Grundbesitzes gebe ich mich wenig ab. Ich überlasse alles Frau Krikke. Ich muss zusehen, dass ich bei den großen Fragen, die zu entscheiden sind, mitwirke. Das tue ich mit allen Kräften. Dr. Hesberg hat für den Verband einen besonderen Ausschuss für bauwirtschaftliche Fragen eingesetzt und mir den Vorsitz übertragen. In einer entscheidenden Sache der Baulenkung habe ich mitgearbeitet und Vorschläge für die Abänderung einer Verordnung gemacht, die verheerende Auswirkungen brachte. Meine Vorschläge sind geprüft und an das Zentralamt der Wirtschaft weitergeleitet worden. Ich bin auch Mitglied eines Ausschusses für Bau- und Wohnungsfragen der vereinigten Industrie- und Handelskammern für Nordrhein-Westfalen. Gleichzeitig halte ich die Verbindung mit den baugewerblichen Verbänden auch über den örtlichen Rahmen hinaus aufrecht, so daß Remscheid bei der Erledigung weitgehender Fragen in die Erscheinung tritt. Frau Krikke wird Sie über alles andere unterrichtet haben.
Über Aussichten, für Sie und Ihre Entlassung etwas tun zu können, kann ich wenig berichten. Ich habe aber gleich eine Besprechung an der Handelskammer und will es dort nochmals vortragen vielleicht treffe ich Herrn Wolf. Man hört aber wenig von solchen Sachen.
Wir müssen stille halten seinem Walten, wie schwer es oft auch sein mag. Ich wünsche von Herzen, dass Sie recht bald zu Ihrer Familie und in Ihren alten Arbeitskreis zurückkehren können, wenn ich auch weiß, dass Schwierigkeiten besonderer Art uns stets begleiten werden. Ihrer Frau und Ihrem Töchterchen geht es, soweit nicht das durch die wenigen Augenblicke, die wir uns sehen, beurteilen kann, gut. Sie warten so sehnlich, wie auch Sie warten Leben Sie wohl!
Mit vielen herzlichsten Grüßen in alter Verbundenheit
Ihr Adolf Runkel
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