Samstag, 30. Januar 2010

Schnee schüppen




Nachdem es gestern fast ununterbrochen geschneit hat, liegt in unserem Garten eine dicke Schneedecke, in die man knietief einsinkt, wenn man sich nach draußen wagt. Wir müssen mehrmals am Tag Schnee schaufeln, um die Wege freizuhalten.


An der Straße türmt sich das Geschüppte zu einem mannshohen Berg auf.

Das Wort Schüppen erinnert mich an unsere Hochzeit, die im Dezember 1973 ebenfalls bei tiefem Schnee stattfand. Damals hielt mein Onkel Adalbert Bohle uns eine Rede, in welcher er die Vorzüge der Familie pries, in die ich nun hinein heiratete. Er kannte Christianes Großvater Albert Werkshagen aus einer gemeinsamen Zeit in der Baptistengemeinde Derschlag (bei Gummersbach). Deren Mitglieder hatte der Onkel in jungen Jahren in zwei Gruppen aufgeteilt hatte: die Guten kamen nach ihrem Tod sofort in den Himmel, die Schlechten mußten oben zunächst noch eine Weile Schnee schüppen.

Opa Werkshagen gehörte zu denen, die nicht schüppen brauchten. Neben Christianes Schreibtisch hängt ein kleines Bild, das den frommen und liebenswürdigen Mann zeigt, der nach dem Tod seiner Frau noch viele Jahre im Haushalt von Christianes Eltern lebte, still und bescheiden, wie alle bezeugen, die sich an ihn erinnern. Er wurde am 25. Juli 1874 geboren und starb hochbetagt am 15. Juni 1968.



Freitag, 29. Januar 2010

Eine neue Schule




Meine türkischen Freunde haben eine Realschule eröffnet. Ich wünsche ihnen von Herzen Glück dazu.

Hier die Meldung aus der heutigen Westdeutschen Zeitung:




Montag, 18. Januar 2010

Neuer Philosoph des Internets: David Carr




David Carr ist mir in den letzten Tagen mit zwei bemerkenswerten Artikeln in der New York Times aufgefallen. In dem ersten Why Twitter Will Endure vom 1. Januar 2010 findet er für das Internet das schöne Bild eines anschwellenden Flusses, in dessen Datenstrom man ab und zu eine Tasse eintaucht (think of it as a river of data rushing past that I dip a cup into every once in a while) und prophezeit Twitter mit seiner Funktion als Tasse eine lange Lebenszeit.

Umgekehrt sieht er die vergleichbare Tassen-Funktion oder in diesem Bereich besser: Suchmaschinen-Funktion bei den Late-Night-Shows schwinden, deren berühmteste jetzt schließt (Jay Leno). Früher einmal sammelten solche Shows die Informationen des Tages und bereiteten sie auf. Heute sucht man sich die Informationen selbst zusammen: It’s Not Jay or Conan. It’s Us. vom heutigen 18.Januar 2010.




Samstag, 16. Januar 2010

Drei biblische Begriffe und ein Stück Black Gospel




חסד - chessed - Barmherzigkeit

Von Martin Buber stammt die schöne Übersetzung des Wortes chessed: er gibt es mit Huld wieder. Nur mit dieser Wortwahl läßt sich auch im Deutschen ausdrücken, daß sowohl Gott als auch der Mensch in gleicher Weise chessed üben können - Gott als der huldreiche Regent und der Mensch als der huldigende Treue, der Chassid. So wird die Kraft einer Bewegung von Gott zum Menschen hin in schöner Weise zurück übertragen in eine Bewegung vom Menschen zu Gott hin.

Natürlich lässt sich chessed auch weiterhin mit Barmherzigkeit übersetzen, Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, so schreibt Martin Luther das Ende von Psalm 23, die ersten Worte dieses Satzes lauten im Hebräischen tow we chessed. Das im Alten Testament sehr häufig vorkommende Wort chessed wird auch mit anderen Begriffen wie Gnade, Gefallen, Gefälligkeit etc. übersetzt. Aber nur als Huld ist es als etwas verständlich, was sowohl von Gott als auch vom Menschen ausgehen kann.

ברח - barach - segnen

Ein weiteres Begriffspaar entsteht aus dem Wort barach, segnen , wenn man es ebenfalls als eine Bewegung von Gott zum Menschen als auch als eine Rückbewegung vom Menschen zu Gott übersetzt. Im Deutschen ist es nicht vorstellbar, daß ein Mensch Gott segnet, weshalb etwa die Stelle Psalm 16,7 (äh-barech et JHWH aschär je-azani) nicht wörtlich mit ich segne JHWH, der mich beriet, sondern in der Regel mit ich lobe oder ich preise übersetzt wird.

In der alten englischen King James heißt es an dieser Stelle noch I will bless the Lord und man muß diese Zeile nur bei YouTube eingeben, um zu erfahren, wie populär diese alte Übersetzung, die auch in den neueren englischen Bibeln nicht mehr vorkommt, immer noch bei den schwarzen Gospelmusikern ist. Hier ein schönes, lebendiges Beispiel:



Auch in der Vulgata, der lateinischen Übersetzung, wird in Psalm 16,7 "benedicere" übersetzt. Hier hat Segen und Fluch die sinnfällige Urbedeutung von gut- und schlechtreden, und das Gutreden ist natürlich eine der Möglichkeiten des Menschen, sich an Gott zu wenden.

πιςτις - pistis - Glaube

Ein neues Begriffspaar ist mir jetzt in Norbert Baumerts Buch zum Galater- und Philipperbrief begegnet. In diesem Buch wird die These vertreten, daß auch das griechische Wort pistis, Glaube, eine Bewegung von Gott zum Menschen hin enthalten kann. Hierzu muß man es auf seine ursprüngliche griechische Bedeutung zurückführen, wo es offenbar stärker trauen und vertrauen bedeutet.

Außerdem muß man Stellen der Bibel wie etwa Galater 2,16, wo von pisteos Christou gesprochen wird, konsequent als Genitiv verstehen und also mit Glauben des Christus (statt Glauben an Christus, wie z.B. Luther es tut) oder besser noch Trauen des Christus übersetzen. Demnach würde Christus und Gott zunächst uns (ver)trauen (und damit nach Galater 2,16 rechtfertigen) und uns erst dann seinerseits auffordern, diesem Trauen mit unserem eigenen Trauen zu begegnen.

Mir gefällt diese Art der Übersetzung allein schon deshalb, weil sie die vielen Bedeutungserweiterungen, die das Wort Glauben in den 2000 Jahren nach Paulus mitgemacht hat, außer Acht läßt und uns wieder näher an die alte Urbedeutung von pistis herankommen läßt.

Vielleicht ist es ja für den einen oder anderen ein Weg zu einem neuen Vertrauen in Gott.



Samstag, 9. Januar 2010

Für alle Völker






(1) Für alle Völker - die Herrnhuter Losung ist heute dem verheißungsvollen 56. Kapitel des Propheten Jesaja entnommen, in dem vorausgesehen wird, daß die Stadt Jerusalem eines Tages ein Bethaus für alle Völker werden soll. Es dürfen sich dann auch die Verschnittenen dort versammeln, sagt Jesaja, bei denen man sich als Europäer wohl selbst einordnen muß. Die Verschnittenen sollen im Tempel eine Hand (yad) und einen Namen (schem) erhalten (Jesaja 56,5) – yad va schem, die Juden haben davon den Namen der Holocaust-Gedenkstätte abgeleitet.

Ich freue mich, solche weiten Worte an meinem Geburtstag lesen zu können. Ich habe im letzten Jahr ein wenig vom gemeinsamen Beten der Völker erlebt und hatte schon an meinem 50. Geburtstag, den ich in Jerusalem gefeiert habe, gesehen, wie die Vorausschau des Jesaja in Erfüllung gehen könnte.

Damals hatten wir am Tag vor meinem Geburtstag, der auch 1999 auf einen Samstag fiel, vom Ölberg herunter das große Freitagsgebet der Muslime auf dem Tempelplatz angeschaut. Es war der letzte Freitag im Ramadan, und die Polizei hatte rund um die nach Zehntausenden zählende Menge der Beter den Autoverkehr wie bei einem großen Fußballspiel umgeleitet. Beim Rückweg in die Stadt gerieten wir in eine große Schar spanischer Pilger, die mit ihren weißen Hüten betend nach Jerusalem einzogen, während die Muslime zurück in die östlichen Stadtteile unweit des Ölberges strömten.

Die Menschenmenge in den engen Gassen der Altstadt wurde immer dichter, oft stockte der Fußgängerverkehr – aber mitten im Gedränge der in zwei entgegengesetzte Richtungen schiebenden Menschen war eine in meiner Erinnerung ganz friedliche Ruhe. Sie wollte so gar nicht zu den Konflikten passen, die in dieser Stadt nach den Berichten der Presse täglich ausbrechen.

Am Abend zogen dann die Juden singend und tanzend zur Western Wall des alten Tempels, zur Klagemauer, um bei Sonnenuntergang den Sabbat zu beginnen. Oben vom Tempelplatz sang gleichzeitig der Muezzin. Auch hier verlief das Nebeneinander der Frommen vollkommen ohne Störung.

(2) Für alle Völker ist diese Notiz auch als Dankeschön gedacht, und zwar für die vielen Glückwünsche, die heute zu meinem Geburtstag bei mir ankommen sind – per Telefon, Mail, Facebook, Anrufbeantworter (der ausnahmsweise am Nachmittag und Abend lief, während wir mit einigen Leuten Musik gemacht haben) und per Post.

Ich bin sozial gesehen ein fauler Mensch, gehe kaum vor die Tür und habe eine lange Liste von Leuten, die ich unbedingt mal besuchen müßte. Als Ausgleich melde ich bei den meisten von ihnen zumindest einmal im Jahr zum Geburtstag. Das bringt mir wiederum sehr viele Rückmeldungen* zu meinem Geburtstag und läßt mich einen Tag lang in der Illusion leben, ich sei der beliebteste Mensch der Welt.

Dabei würde ich wahrscheinlich bei jedem Integrations-Test durchfallen, wenn man mich dort als Mehmet Öztürk anmelden und amtlich überprüfen würde. Danke also, daß Ihr mich trotzdem nicht vergessen habt!

*Nachtrag am 10.1.: Habe aus Interesse an den Medien, in die ich eingebunden bin, eine kleine Statistik gemacht: es waren mehr als 70 Nachrichten, wenn ich pro Brief (6), Mail (16), Facebook-Eintrag (13), Anrufbeantworter-Nachricht (11), Anruf (15) und Besucher (16) je eine "Nachricht" zähle. Ich fand die relativ gleichmäßige Verteilung interessant. Im nächsten Jahr kommt dann sicherlich Twitter hinzu.



Mittwoch, 6. Januar 2010

Töchter






Tochter Eva ist jetzt bei Mercedes Benz als Sängerin herausgekommen. Auf dem aktuellen „Mixed Tape“ von Mercedes-Benz TV ist eins ihrer selbstgetexteten und -komponierten Stücke zu hören Everyday. Ihre Band heißt Jagun.

„Mixed Tape“ ist eine Plattform für Nachwuchskünstler aus aller Welt. Mercedes stellt alle sechs Wochen jeweils zehn von ihnen vor. Evas Stück gehört zu einer Reihe, die sie in Kürze auch als CD herausbringen will. Vormerkungen für eine Lieferung nehme ich entgegen (über eMail an runkel at runkel de), den Preis kann ich allerdings noch nicht sagen.

Auch Tochter Carolin hat gute Nachrichten – sie zieht aktuell in ihrem Blog Bilanz über ein für sie erfreuliches Jahres 2009.

Der Vater freut sich mit.







Freitag, 1. Januar 2010

Der Weg des Trauens





Der Weg des Trauens ist der Titel eines neuen Buches des katholischen Theologen Norbert Baumert. Es ist der dritte Band seiner Serie Paulus neu gelesen und legt den Galater- und Philipperbrief aus.

Der zentrale Gedanke des Buches rührt an die Jahreslosung 2010 heran:

Euer Herz erschrecke nicht. Glaubt an Gott und glaubt an mich.
(Johannes-Evangelium 14,1)

Baumert übersetzt in den Paulusbriefen das hier zweimal benutzte Wort pisteuo, (zu pistis, das Vertrauen, der Glaube gehörend) durchgängig mit trauen, nicht wie in den meisten anderen Übersetzungen mit glauben. Für diese Wortwahl spricht, wenn ich die verschiedenen Kommentare und Nachschlagewerke richtig verstehe, daß es nicht nur eine mögliche Widergabe von pisteuo / pistis ist, sondern vermutlich die einzige, die dem Verständnis eines griechischen Zeitgenossen des Paulus wirklich entsprechen würde.

Im Vergleich mit Trauen hat sich unser Begriff von Glauben erst sehr viel später entwickelt und hat sich dann in den 2000 Jahren nach Paulus außerdem auch so weit verändert, daß er von dem schlichten Vertrauen, das in pisteuo gemeint ist, weit entfernt ist. Für uns ist Glauben ja vielfach ein bewußter intellektueller Akt, der uns einen gedanklichen Zugang zum Bereich des Göttlichen erschließen soll. Baumert liest dagegen aus dem Galaterbrief heraus, daß es hier nicht um das geistige Erkennen und Entscheiden, sondern um das innere Vertrauen des Menschen geht.

Als Besonderheit seiner Interpretation hebt er etwas Zweites heraus, daß sich nämlich das Vertrauen des Menschen auf ein anderes, dem menschlichen Vertrauen vorausgehendes Geschehen stützen kann: auch Gott vertraut, und zwar überraschenderweise dem Menschen.

So jedenfalls versteht Baumert die Stelle in Galater 2,16, in der es heißt, daß der Mensch gerechtgesprochen wird nicht aufgrund von Werken sondern dia pisteos Jesou Christou / durch das Trauen Jesu Christi. Er liest hier einen Genitiv (so wie es auch die Fußnote zu diesem Vers in der Elberfelder Bibel tut), also nicht Trauen auf Jesus und nicht Glauben an Jesus (wie bei Luther), sondern das Trauen Jesu, das also als erstes von Jesus ausgeht und erst als zweites im Trauen des Menschen seine Antwort findet.

Von diesem Grundgedanken aus entwickelt Baumert eine freundliche, im Frieden mit der jüdischen Tradition des Paulus stehende Auslegung. Er nimmt dem Galaterbrief, der häufig gegen den jüdischen Glauben und seine vermeintliche Fixierung auf kalte Gesetzlichkeit gewendet wird, jede antijüdische Spitze. Das alte mosaische Gesetz ist gut, mag es auch manchmal wie ein Kerker sein, mag es in der Konsequenz sogar das Todesurteil für alle Menschen enthalten. Jesus hat es nicht aufgehoben, er hat es erfüllt, und zwar in letzter Konsequenz dadurch, daß er das Todesurteil des Gesetzes stellvertretend für alle Menschen auf sich nahm.

Und er hat das, was dem Gesetz nicht möglich war und was mit der Herausgabe des Gesetzes auch nicht beabsichtigt war, für alle Menschen bewirkt: die Offenbarung von Gottes Barmherzigkeit und seiner Bereitschaft, die Sünden der Menschen zu vergeben. Schon im Alten Testament wird diese Bereitschaft in vielfältiger Weise ersehnt und erbeten, insofern ist die Bibel der Juden auch nicht kalt-gesetzlich.

In Jesus kommt die Bereitschaft zur Gnade allerdings erstmals in Vollkommenheit zum Durchbruch, und Paulus nennt diese Freundlicheit Gottes, wenn Baumert Recht hat, das Trauen.

Ich wünsche allen meinen lieben Lesern, daß sie die verschiedenen Wege des neuen Jahres und neuen Jahrzehntes in der zuversichtlichen Haltung des Trauens gehen können. Uns geht vom Himmel eine Zusage des Trauens voran, warum sollten wir da nicht mit unserem Vertrauen antworten?