Sonntag, 28. März 2010

Eine Predigt




In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen
(Johannes 14,2)

Eine mp3-Aufzeichnung findet sich auf der Homepage meiner Gemeinde.


1. Wo man aufatmen darf und hoffen

Ein jüdischer Schriftsteller muß 1938 vor den Nazis aus Österreich fliehen und geht nach Paris. Auch das wird von den Deutschen besetzt, 1940, und er flieht in den noch freien Teil Frankreichs, nach Süden. Weil aber auch dort die Verfolgung von Juden droht, versucht er, über die spanische Grenze und dann nach Portugal zu kommen, um von dort ein Schiff in die USA zu nehmen. Er findet die Grenze nach Spanien versperrt, kehrt mit seiner Frau um und landet inmitten von Tausenden von fliehenden Menschen im Ort Lourdes, dem auch damals schon berühmten Wallfahrtsort der Katholiken. Dort wird er freundlich aufgenommen, muß einige Wochen warten, bis die Ausreise am Ende schließlich doch ermöglicht wird, und lernt in dieser Zeit die Geschichte der Bernadette Soubirous kennen, dem Mädchen, das an diesem Ort im Jahre 1858 in verschiedenen Visionen die Maria gesehen hatte.

Er schreibt über die Zeit in Lourdes:

Eines Tages in meiner großen Bedrängnis legte ich ein Gelübde ab. Werde ich herausgeführt aus dieser verzweifelten Lage und darf die rettende Küste Amerikas erreichen […] dann will ich als erstes vor jeder anderen Arbeit das Lied von Bernadette singen, so gut ich es kann.

Der Dichter, Franz Werfel, entkommt nach Amerika, schreibt sein Buch, das er Das Lied von Bernadette nennt, es wird ein Erfolg, ein Film folgt, die Hauptdarstellerin Jennifer Jones bekommt den Oscar für ihre Darstellung der Bernadette, das Lied von Bernadette geht um die ganze Welt.

Ich habe das Buch vor etwa 20 Jahren gelesen, da war ich 40, und war von der jüdischen Herzensfrömmigkeit Werfels angetan, aber auch von der Person des Bauernmädchens Bernadette.

In besonderer Erinnerung ist mir eine Szene des Buches geblieben. Es wird erzählt, daß in dem Kloster, in das Bernadette später als Nonne aufgenommen wird, eine ihre Nonnenschwestern stirbt, und es heißt:

Der Tod im Kloster aber ist eine Art Richtfest der Seele, das die zünftigen Maurer und Zimmerleute feiern, wenn das Haus aufgestellt ist. Man hat mit unermüdlichem Fleiß gearbeitet für diesen einen einzigen Tag, wo man aufatmen darf und hoffen, dass die sichere Wohnung erbaut ist für immer. Ein Todestag im Kloster kann mit der Sensation festlicher Neugierde verbunden sein. Die Nonnen drängen sich gerne um die Sterbende zum inbrünstigen Gebet. Sie glauben, ihrer Schwester helfen zu können in den letzten Wehen. Sie fühlen sich als weise Frauen, als Hebammen der übernatürlichen Entbindung einer Seele in die andere Welt.
(S. 417)

Ich habe das damals mit einer gewissen Ergriffenheit gelesen und habe mir gewünscht, einmal so sterben zu können. Das klingt vielleicht vermessen, und es war damals ja auch noch eine lange Zeit hin. Aber ich habe es nie vergessen und bin darüber froh, daß die Erinnerung jetzt, wo ich 20 Jahre weiter bin, also auch 20 Jahre näher an meinem Tod, neu auflebt und eine innere Stimme zu reden beginnt und mir sagt: warum eigentlich nicht?

2. Forever young?

Warum nicht? Nun, da ist zunächst einmal die Anschauung der Welt, in der ich lebe, in der wir alle leben. Als ich jung war, kam mit der sogenannten 68er Generation eine neue Art von Jugendkult auf die Welt, der bis heute das geistige Klima bestimmt. Trau keinem über 30! wurde damals gesagt, und Bob Dylan sang Forever young. Das ließ sich natürlich nicht durchhalten, spätestens, wenn man selbst 30 Jahre alt wurde, musste man Mittel und Wege finden, auch ein Verhältnis zu den älteren Menschen aufzubauen, zu denen man nach und nach ja selbst gehörte. Trotzdem - man blieb dabei, dass die schönste Zeit des Lebens vor dem Zeitpunkt liegt, wo man 30 wird. Und dann kleidete man sich entsprechend und versuchte, bis ins hohe Alter einen jugendlichen Eindruck zu machen.

Gleichzeitig hörten die Kirchen auf, sich mit der Ewigkeit zu beschäftigen. Auch hier sollte das Leben gefeiert werden - jeder hat vermutlich schon einmal eine typische, zeitgemäße Predigt über die Hochzeit zu Kana gehört, in der Jesus als der Herr des Festes gefeiert wird. So ist die Stimmung, so war es 1968 und so ist es bis heute. Man kann ja aus dieser Hochzeitsgeschichte auch das Umgekehrte herauslesen: diese Welt ist ein Ort, an dem immer wieder der Wein ausgeht und es mit dem Feiern ein Ende hat. Aber das wollte und will niemand hören.

Ich habe dann, als ich 60 wurde, in der Bibel verstärkt nach Stellen gesucht, die etwas von der anderen Welt erzählen, der Welt, der man sich im Alter nähert und in die man nach seinem Tod eintritt. Und ich bin immer wieder zu dem Wort zurückgekehrt, das heute im Mittelpunkt dieser Predigt stehen soll. In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.

Dieses Wort ist mir allein schon deshalb lieb, weil es mich an meinen leiblichen Vater erinnert und an dessen Wohnungen, die er als Bauunternehmer selbst gebaut hatte und besaß. Es gehörte eine Zeit lang ganz selbstverständlich zum Leben meiner Familie, daß man immer wieder auf Wohnungen angesprochen wurde, in der Zeit, als die noch knapp waren. Es war etwas Besonderes, einen Vater zu haben, der viele Wohnungen sein eigen nennen konnte.

Dieses Wort im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen kann uns wie ein wunderbarer Leitstern durch alle Dunkelheiten unseres Lebens begleiten und am Ende auch durch unseren Tod, welcher ja auf uns alle wartet, jung und alt. Das Wort kann wie ein Schatz sein, wie eine Münze aus purem Gold. Die müssen wir allerdings blank polieren und tief in unsere Tasche stecken.

3. Das Zeugnis der Liebe

Wie kann das gehen, oder konkret gefragt: was kann uns in unserem Glauben sicher machen, daß am Ende unseres Lebens eine Wohnung bei Gott auf uns wartet? Was gibt es, das gewissermaßen die Worte von Jesus so unterstreicht, daß sie in unser Herz und in unseren Sinn eingeschrieben sind und stärker sind als alle unsere Zweifel und Bedenken?

Ich denke, daß uns hier zweierlei helfen kann. Das erste ist die große Offenbarung der Liebe Gottes, die wir in diesem Kapitel des Johannesevangeliums in einzigartiger Weise vorgestellt bekommen. Wir sehen Jesus vor uns, wie er in einer Geste der Niedrigkeit sich eine Schürze umbindet, sich niederkniet und seinen Jüngern die Füße wäscht. Was er ihnen mit diesem Zeichen sagen will und was er ihnen später auch mit Worten sagt ist und was er dann schließlich mit seinem Tod am Kreuz bezeugt, ist, daß Gottes tiefstes Wesen die Liebe ist.

Gott liebt die Welt, und der zentrale Sinn aller seiner Gebote besteht darin, daß diese Liebe in der Welt immer mehr Raum findet und daß die Menschen sich untereinander lieben. Ein neues Gebot gebe ich euch, sagt Jesus, daß ihr einander liebt. Man könnte jetzt einwenden, daß dieses Gebot ja schon früher in der Welt war, nämlich Gott zu lieben und seinen Nächsten wie sich selbst. Aber das neue besteht darin, daß Jesus sagt, so wie ich euch geliebt habe, so liebt euch untereinander. So wie er die Menschen liebt - ihnen die Füße waschend und wenig später ihnen in den Tod vorausgehend - so sind sie, so sind wir nie vorher und nie nachher geliebt worden. Das ist neu, diese Liebe ist in ihrer Stärke und Qualität einzigartig.

Es hat in der letzten Zeit häufiger die Diskussion gegeben, warum Jesus sterben mußte. Die Menschen von heute möchten gerne von der Vorstellung Abschied nehmen, daß sein Tod eine Art von Menschenopfer gewesen ist. Sie möchten, und man muß sicherlich dafür Verständnis haben, von der Vorstellung der alten Kirche Abstand nehmen, daß die Sünden der Menschen Gott in einem derartigen Maß zornig gemacht haben, daß ihn jetzt nur noch ein allerletztes großes Opfer wieder versöhnlich stimmen konnte. Wir möchten nicht an einen Gott glauben, dem wir uns als grausam vorzustellen hätten.

Nun sagt die Bibel allerdings, daß Jesus für unsere Sünden* gestorben ist. An einer anderen Stelle heißt es, daß er für uns zur Sünde gemacht wurde**. Die Bibel hat eine ganze Reihe von Begriffen, um seinen Tod zu erklären. Ich denke, wir sollten keinen davon gering achten, auch den nicht, der erst einmal nicht in unsere Vorstellungswelt passen will. Alle Begriffe gehören zusammen. Aber am Ende erscheint über allen Gedanken, die wir mit dem Tod von Jesus verbinden, ein großes helles und warmes Licht, das Licht der Liebe Gottes.

In allem, was wir auf Golgatha sehen, scheint dieses Licht der Liebe Gottes auf. Wir sollen verstehen, daß es die Macht der Liebe ist, die sich in Jesus offenbart, und wir sollen uns ihr hingeben, wie es in dem schönen Lied heißt, und am Ende unser ganzes Leben in diese Macht hineingeben und darauf vertrauen, daß sie uns durch unseren Tod hindurch trägt und den Weg zu dem Platz findet, von dem Jesus sagt, in meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.

Man kann über den Passionsfilm von Mel Gibson (2004) unterschiedliche Meinungen haben und besonders über die Person von Mel Gibson, aber es ist zumindest eine Szene darin, welche nach meinem Eindruck das Geschehen auf Golgatha vollkommen richtig deutet: in der Sekunde, wo ein Soldat dem schweren Hammer erhebt, um den Nagel durch die Handfläche von Jesus zu treiben, hält der Film an und geht zu der Szene zurück, über die wir heute sprechen***. Jesus sitzt in dieser letzten Runde mit seinen Jüngern zusammen, teilt Brot und Wein unter ihnen aus und sagt ihnen, daß er sie liebt****. Dann blendet der Film wieder vor, schlägt der Hammer zu, aber dann ist es gerade so, als ob er jetzt festmachen will, daß diese Liebe auf ewig gilt.

4. Das Zeugnis der Jünger

Es gibt noch etwas Zweites, was uns in unserer Hoffnung auf die Wohnungen in des Vaters Haus fest machen kann, und das ist das Zeugnis der Jünger. Nun ist das Zeugnis an dieser Stelle erst einmal alles andere als überzeugend. Ihr wißt den Weg, wohin ich gehe, sagt Jesus, aber Thomas sagt: wir wissen ihn nicht. Man muß den Thomas für diese Bemerkung segnen, denn sie veranlaßt Jesus, jetzt ganz ohne Vorwurf zu antworten und sein berühmtes Wort zu sagen: ich bin der Weg. Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater als nur durch mich.

Danke, Thomas, daß du gefragt hast! Ohne deine Frage hätten wir vielleicht nie diese lebensspendende Antwort, diese große Verheißung gehört. Aber das Spiel von Frage und Antwort, Zweifel und Gewißheit ist noch nicht zu Ende. Auch Philippus hat eine Frage, er möchte wissen, wie der Vater aussieht, dem diese vielen Wohnungen gehören. Und auch ihm gibt Jesus geduldig eine Antwort, auch wenn hier ein kleiner Vorwurf vorangestellt wird: so lange Zeit bin ich bei euch und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.

Ich denke, es ist uns erlaubt, uns in diesen Jüngern, die ganz in der Nähe von Jesus leben und trotzdem so wenig verstehen, wie in einem Spiegel wiederzuerkennen. Auch wir haben Fragen und Bedenken und Zweifel. Aber wir dürfen das mit den Jüngern zusammen überwinden. Sie sind ja nicht eine Truppe von Kleingläubigen geblieben. Die meisten von ihnen haben wenige Monate später bei dem Entstehen der jungen christlichen Gemeinde eine tragende, die Menschen stärkende Rolle gespielt. Einige von ihnen haben ebenso wie ihr Herr mit einem gewaltsamen Tod Gott verherrlicht, sind Märtyrer geworden.

Und wenn sie und ihre Schwestern und Brüder aus den neuen Gemeinden Verfolgung, Folter und Tod ertragen haben, dann werden sie in ihren Herzen dieses Wort getragen haben in meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. Sie werden mutig in den Tod gegangen sein, weil sie diese Wohnungen leibhaftig vor ihren Augen gesehen haben und wußten, daß jetzt die Stunde gekommen war, sie in Besitz zu nehmen, für immer.

So, mit dieser starken Hoffnung sind sie gestorben, und die Generationen nach ihnen ähnlich. Noch später sind dann viele sicherlich leichter gestorben als die Märtyrer der ersten Stunde. Und auch unsere Hoffnung ist es ja, daß unser Tod nicht gewaltsam sein wird, daß wir eines Tages in Frieden Abschied nehmen können von dieser schönen Welt. Aber ganz ohne Schmerzen wird es bei den meisten von uns nicht gehen, und da ist es gut mit dem Wort im Herzen auf den letzten Weg zu gehen in meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.

5. Schluß

So möchte ich leben, und so möchte ich sterben. Und ich weiß, daß viele von euch genauso denken wie ich. Ich hoffe, daß ich die Alten ermutigt und die Jungen nicht abgeschreckt habe mit diesen Gedanken. Auch wenn man erst 20 ist, lebt es sich besser in der Zuversicht, daß für alle Phasen meines Lebens gesorgt ist, auch für die letzte.

Und nun laßt uns in die Osterwoche gehen und uns freuen auf das Fest der Auferstehung, das auf uns wartet. Wir sind gerufen, als Kinder der Auferstehung zu leben, als Kinder eines neuen Lebens, als Kinder des Lichtes. Unser Herr hat unseren letzten und größten Feind, den Tod, besiegt. Und er wartet auf uns in den ewigen Wohnungen seines Vaters.

Amen.

* Gal 1,4: der sich selbst für unsre Sünden dahingegeben hat, dass er uns errette von dieser gegenwärtigen, bösen Welt nach dem Willen Gottes, unseres Vaters;
1Joh 2,2: Und er ist die Versöhnung für unsre Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt.

** 2Kor 5,21: Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.

*** im Gottesdienst wurde zuvor Johannes 13 und der Anfang von Johannes 14 gelesen, Fußwaschung und Abschiedreden Jesu.

**** deutsche Untertitel im Film: Ich kann nicht viel länger bei euch sein, meine Freunde, wohin ich gehe, dorthin könnt ihr nicht gelangen. Folgt meinem Gebot, wenn ich gegangen bin… Liebt einander. So wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.

1 Kommentar:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Da ich den Entwurf bereits gelesen hatte und gerade wieder unter Augenproblemen leide, habe ich mir die akustische Version gegönnt. Schön. Schön die Balance zwischen Nähe und Distanz zur Gegenwart. Schön die Art des Vortrags. Schön, daß man am Eingang zur Ewigkeit gesiezt wird. Schöner eigentlich als alle, insgesamt freilich wenigen, Worte zum Sonntag, die ich bislang, meistens im Autoradio, gehört habe.