Sieben Monate habe ich gebraucht, um mich durch das 573
Seiten starke Buch „Hegel“ des kanadischen Philosophen Charles Taylor zu arbeiten.
Am Ende steht der überwältigende Eindruck, dass sich in dem großen
Gedankengebäude Hegels, von dem ich längst nicht alles verstanden habe, die
ganze moderne Welt seit dem Jahre 1770, in dem Hegel geboren wurde,
unterbringen lässt.
Überall ist Hegel. Im Nachhinein betrachtet haben alle meine Lehrer in der Schule wie er gedacht, die Professoren an der Universität ebenso und viele kluge Schriftsteller deren Bücher ich gelesen habe. Sein Kernwerk ist die „Logik“, und wenn man ihr folgt, dann hat man ein robustes Skelett, an das sich die Realität von Welt, Natur und Geschichte ganz von selbst als Fleisch hinzufügt. Und alle haben sie an diesem Skelett ihre eigenen Gedanken festgemacht.
Natürlich schreibt Charles Taylor sein Buch (im Jahre
1975) aus einer kritischen Distanz zu Hegel und führt auf den letzten 35 Seiten
(„Hegel today") auf, warum seine Philosophie schon bald nach seinem Tod an
Einfluss verloren hat. Aber er steht deutlich selbst unter der Faszination, die von Hegels Klarheit der Gedanken ausgeht und schreibt darüber, was wir alles von ihm geerbt haben. Und
das ist für ihn vornehmlich die immerwährende Spannung zwischen der von Kant begründeten Forderung
nach Freiheit und der von Goethe und dem „Sturm und Drang“ geweckten
Sehnsucht nach Empfinden und Ausdruck. Taylor nennt dies expressivism. Nur Hegel hat aus beidem eine zumindest den Gesetzen der Logik standhaltende Synthese geschaffen.
Kant und Goethe führen den Leser wie Leitfiguren durch
das ganze Buch und erklären am Ende auch, welche Wege die Menschen nach Hegel
gefunden haben, um ihren bis heute unbedingten Willen nach Freiheit auszuleben und
dabei gleichzeitig expressivistisch der Einheit mit der Natur nachzustreben.
Taylor ist in seiner Kritik an der modernen Welt
ganz auf Hegels Seite, Er sieht dessen große Ideen heute in einer Welt von eher
zweitklassigen utilitaristischen Bewegungen verloren. Alle Dinge haben jetzt einen
Nutzen, aber nichts erklärt dem Menschen, was er ist oder was er sein könnte.
Hegel hat den hohlen Materialismus der Aufklärung schon früh kritisiert und sie
als Folge einer kalten Denkweise angesehen, die zwar zu einer präzisen
Anschauung der Dinge kommt, darüber aber deren Sinn und den Sinn für das Ganze
verliert.
Hegel Begriff von Sinn kommt im Ausdruck von
Geist oder Weltgeist zum Zuge. Der Geist sitzt inmitten der Welt, er ist
letztlich mit Gott identisch, und er bringt denkend die Welt aus sich hervor.
Er ist die Welt und ohne die Welt ist er nicht. So hat es Hegel gesagt und ist
bezichtigt worden, ein Atheist zu sein. Dem hat er aber zeitlebens
widersprochen. Er hat im Gegenteil gesagt, dass Aussagen wie die von
Schleiermacher, Religion sei Sinn und Geschmack für das Universum falsch
seien. Sie verlagerten das Zentrum der Welt in das eigene Gefühlsleben zurück
und wiesen Gott damit einen vollkommen falschen Platz zu.
Hegel hat eine Reihe von Ansätzen seiner philosophischen
Zeitgenossen abgelehnt, mit denen sich Dinge lediglich verstehbar machen
ließen. Verstand war zu wenig, Vernunft war der Zielpunkt zu dem man durchdringen musste. Die Vernunft
würde am Ende eine absolute Klarheit bringen, selbst über die inneren Gedanken
Gottes.
Das war niemals häretisch gedacht, im Gegenteil: es
zeugte von der tiefen Verbundenheit Gottes mit der Welt, dass er seinen
Geschöpfen Vernunft und Sprache mitgegeben hat, um mit ihnen zu kommunizieren
und mit ihnen die Welt zu gestalten.
Ich stelle mir Hegel nach den Beschreibungen seiner
Berliner Studenten als einen in seinem schwäbischen Dialekt langsam und
bedächtig vortragenden, oft nach Worten ringenden Professor vor. Er gewann
seine Erkenntnisse nur mit großer Mühe, so schien es, aber wenn er sie dann aufblitzen
ließ, vergaß man das Licht Zeit seines Lebens nie wieder. Im privaten Umgang war
er ein bürgerlicher, geselliger Mann. Er starb recht plötzlich, mit nur 61
Jahren, vielleicht an der Cholera, vielleicht aber auch an einem seit längerem
vorhandenen Magenleiden.
In seiner letzten Fußnote legt Taylor eine Spur
für alle die, die vielleicht doch noch einmal an Hegels Gedanken anschließen
möchten. Genialer noch als er habe diese Gedanken einer seiner Schulfreunde
ausgedrückt, mit dem er einige Jahre im Tübinger Stift verbracht hat. Genial und
ein wenig rätselhaft - der Schulfreund ist am Ende der eigenen Gedanken nicht
Herr geworden und in eine geistige Umnachtung gefallen, aus der er bis zu
seinem Tode nicht mehr herauskam. Der Freund war Friedrich Hölderlin.
Vielleicht sollte ich nochmal etwas von ihm lesen.
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