Donnerstag, 31. August 2017

Zwiebeltürme

Nauen in Brandenburg


Zwiebelturm der Sankt-Jacobi-Kirche in Nauen

Fern von Zuhause, auf dem Weg zum Schloss des Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, fand ich in Nauen einen Schlüssel zum Verständnis der Zwiebeltürme in meiner Bergischen Heimat. Am mächtigen Backsteinturm der zentralen Sankt-Jacobi-Kirche las ich auf einem Schild, dass dieser Turm den großen Stadtbrand von 1695 überstanden hatte und danach mit einem neuen „geschweiften barocken Aufsatz“ versehen wurde. Das verstand ich nicht sogleich und musste ein Stück vom Kirchturm weggehen um diesen besonderen Aufsatz sehen zu können. Es handelte sich zu meiner Überraschung um einen gewöhnlichen, wenn auch nicht ganz konventionell gestalteten Zwiebelturm.

Beim Nachforschen im Internet fand ich über die Geschichte der Zwiebeltürme heraus, dass Sie möglicherweise aus Italien stammen und dass sie an zwei Orten der Welt besonders prominent vorhanden sind, in Moskau und im Bergischen Land.

Mir war bis dahin nicht bewusst, dass die seit frühen Kindertagen vertrauten Türme meiner Heimat etwas Besonderes sind. Aber laut Wikipedia konzentriert sich ihr Vorkommen tatsächlich besonders auf den Raum um Remscheid herum. Die Türme in Wuppertal, Wermelskirchen, Sprockhövel und anderswo sind in einer Zeit entstanden, die man „Bergisches Barock“ nennt.

In Remscheid kommen die Türme nicht nur auf den ältesten Kirchen der drei Stadtteile vor, sondern auch auf dem relativ neuen Rathausturm aus dem Jahr 1905. Letzterer bestimmt in besonderer Weise die Silhouette der auf einem Berg liegenden Innenstadt von Remscheid und ist weit ins Land hinein sichtbar.

Auf dem Weg zur Schule bin ich viele Jahre am Rathaus mit seinem Turm entlang gegangen und habe ihn anfangs noch in der von Weltkriegsbomben zerstörten Form gesehen. Ich habe an die Bauzeit keine Erinnerung mehr, sehe aber noch deutlich den ausgebrannten Turm ohne das in den 50er Jahren erneuerte Dach mit seinem Zwiebelturm vor mir.

Manchmal überlege ich mir, wie wohl mein Denken durch das doppelte Vorhandensein eines Zwiebelturms geprägt worden ist, eines geistlichen und eines weltlichen gewissermaßen. Kirche und Stadt schmückten sich mit demselben Symbol – und beide waren mir gleichermaßen fremd. Für mich als in einer Freikirche geborenen und gleichzeitig unpolitisch erzogenen Menschen waren beide Symbole Teile einer fremden Macht, die nicht unmittelbar auf mich einwirkte. Zur alten Stadtkirche von 1750 ging ich nur einmal im Jahr zum Reformationsgottesdienst der Schule, zum Respekt gebietenden Rathaus hatten meine Eltern offenkundig keine Beziehung, ich also auch nicht.

In Nauen fand ich, dass die Remscheider Zwiebeltürme sehr viel schöner sind als derjenige von Nauen. Der Grund ist einfach - die Türme, auf denen die Zwiebeln stehen, sind in Remscheid beide schlanker als der Turm von Nauen, so dass die Zwiebeln jeweils deutlich über den Turmrändern zu sehen sind. In Nauen dagegen musste man die Zwiebel auf einen sehr breiteren Sockel setzen, weshalb man sie gewissermaßen fest aufgestoßen und nach unten ein wenig gequetscht hat. So sitzt sie eher wie eine brütende Henne als eine Zwiebel auf dem Turm und deckt mit ihren eigenartigen unteren Ausläufern die breite Dachfläche des Turmes vollständig ab.

Ich bin seit heute stolz, dass es in meinem heimatlichen Bergischen Land also eine eigene Art von Barock gegeben hat. Vielleicht hat Johann Sebastian Bach ja davon erfahren und hat kurz „Alle Achtung!“ gedacht, bevor er – Dux zuerst, dann Comes – an einer seiner berühmten Fugen weiterkomponiert hat. Er lebte bis 1750, im Jahre 1726 wurde die Stadtkirche von Remscheid eingeweiht.

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