Die Gastfreundschaft vergesst nicht!
Denn dadurch haben einige, ohne es zu wissen, Engel beherbergt. (Hebräer 13, 1 und 2)
Denn dadurch haben einige, ohne es zu wissen, Engel beherbergt. (Hebräer 13, 1 und 2)
Ich möchte
heute über Gastfreundschaft sprechen. Mein Wunsch und meine Hoffnung ist es, dass wir
am Ende gemeinsam nach Hause gehen und den Glauben an die Engel in unserem
Herzen befestigt haben, die uns immer wieder einmal erwarten, wenn wir Gäste
einladen.
Ich weiß
noch, dass meine fromme und gutherzige Mutter beim Hören dieses Wortes mit den
Augen rollte und irgendetwas sagte wie "ja ja, du sagst das immer
so".
Griechische Worte
Es hat mir
Freude gemacht, in der Vorbereitung auf diese Predigt einmal mehr über die
griechischen Worte zu erfahren, die im Original des Hebräerbriefes stehen. Es
sind zwei ähnliche Worte - philadelphia
für die Bruderliebe und philoxenia
für die Gastfreundschaft.
Wir kennen
die Silbe phil aus einer Reihe von
auch im Deutschen gebräuchlichen Worten. Der Philosoph liebt Sophia die
Weisheit, der Francophile liebt Frankreich und die Franzosen, und so liebt der
Mensch, der Philadelphia übt, den Bruder oder die Schwester, adelphos, das Wort bedeutet beides.
Was liebt
der, der Philoxenia übt? Er liebt xenos,
den Gast, den Fremden. Ich habe in der Vorbereitung versucht, im Lexikon, im
Internet und im Gespräch mit fachkundigen Leuten die Doppeldeutigkeit dieses
Wortes ein wenig aufzulösen. Es gibt ja einige Unterschiede zwischen Gästen und
Fremden. Warum hatten die alten Griechen nur ein einziges Wort dafür?
Ich muss gestehen,
dass ich es nicht weiß. Ich ahne wohl, dass hier ein Geheimnis verborgen ist,
das Geheimnis einer anderen Denkweise, die ein anderes Bild von Fremden und von
Gästen hat als wir.
Im fremden Land
Das Alte
Testament berichtet von einer Reihe von Schicksalen, in denen es um die
Auswanderung in ein fremdes Land geht. Ganz zu Anfang der Geschichte des Volkes
Israel steht die Erfahrung des Lebens in Ägypten, dem fremden Land schlechthin.
Und dann
gibt es die Geschichte der Ruth, die aus dem Ausland nach Israel geholt wird,
nachdem vorher eine israelische Familie aufgrund einer Hungersnot aus Bethlehem
auswandern musste, nach Moab. Nun kommt die Moabiterin mit Ihrer
Schwiegermutter zurück und hat ein schwieriges aber schließlich doch glückliches
Einleben in Israel.
In ihr ist
der fremde Engel sehr gut zu erkennen – sie wird am Ende sehr viel Segen für
das Volk Israel bringen, sie wird die Urgroßmutter des Königs David.
Auch der
verlorene Sohn, von dem Jesus erzählt, ist ein Fremder, ein Gast. Dass er sich
ein paar Pfennig mit dem Hüten von Schweinen verdienen darf, das spricht nicht
für eine hohe Gastfreundschaft seines Gastgebers, aber immerhin bekommt er
einen Platz zugewiesen.
Fremde und Gäste heute
An dieser
Stelle will ich kurz einfügen, dass ich über eine Sache nichts Sicheres reden kann:
über die Chancen, die Fremde und Gäste derzeit in unserem Land haben, hier
dauerhaft Heimat zu finden.
Es ist klar,
dass die vielen Fremden, die in den letzten Jahren in unser Land gekommen sind,
auf Dauer Einheimische werden wollen. Damit sind sie in einem gewissen
Zwischenzustand zwischen Fremden und Einheimischen. Ob sie wirklich Deutsche werden,
ob also unsere Bundeskanzlerin Recht behalten wird mit ihrem "wir schaffen
das", dazu habe ich keine prophetischen Erkenntnisse.
Ich bete
dafür, dass wir es schaffen, aber ich will denen nicht den Mund verbieten, die
ihre Skepsis zum Ausdruck bringen.
Was ich
allerdings zeugnishaft sagen kann, ist, dass ich unter den mittlerweile fast
200 Fremden, die in den letzten drei Jahren unsere Remscheider Gemeinde besucht
haben, immer wieder einmal den Eindruck gehabt habe, es seien Engel darunter. Jedenfalls
bin ich mir mit vielen hunderttausenden einheimischen Helfern, Christen und
Nichtchristen, Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und Motivation, darüber
einig, dass wir immer wieder in den Strömen von Flüchtlingen das Bild einzelner
Menschen vor Augen gehabt haben und gesehen haben, dass sie Geschöpfe Gottes
sind. Das macht sie noch nicht zu Engeln, aber es macht sie zum Gegenstand
unserer Liebe.
Es ist sehr
schön zu erleben, wenn man irgendwo erzählt, dass man eine Begegnung mit
Flüchtlingen gehabt hat und dann feststellt, der Gesprächspartner hat genau dasselbe
erlebt. Er hat auch "seinen" Syrer, seinen Iraner, seinen Afghanen.
Ob es jemals eine Geschichte geben wird, die alle diese einzelnen Begegnungen
erzählt, weiß ich nicht. Aber ich kann denen sagen, die skeptisch sind in Bezug
auf "wir schaffen das": es ist ein Glück, solchen Menschen zu
begegnen und Ihnen ein kleines bisschen auf dem Weg helfen zu können, hier bei
uns Wurzeln zu schlagen.
Tolstoi
Anrührend
ist die Geschichte, die viele von uns vielleicht als Bilderbuchgeschichte
kennen vom Schuster Martyn, die Tolstoi erzählt hat. Der Schuster hört im Traum
die Verheißung, dass am nächsten Tag Gott bei ihm zu Besuch kommen wird, und er
sitzt schon am frühen Morgen gespannt in seiner kleinen Schuster-Werkstatt und
späht auf seinem Kellerfenster hinaus auf die Straße, ob er irgendetwas
auffälliges bemerkt.
Aber es
geschieht nichts. Es geschieht nur das übliche, ein alter Nachbar in schlechten
Kleidern braucht etwas Wärme, er bekommt beim Schuster Martyn einen Tee und auch einen zweiten. Eine
Soldatenfrau mit ihrem Kind ist ungenügend gekleidet, auch hier hilft der
Schuster. Und ein Ladendieb und die von ihm bestohlene Händlerin streiten sich
vor dem Fenster des Schusters und werden entschädigt und versöhnt.
Nur Gott
kommt nicht, und der Schuster liegt sich am Abend etwas enttäuscht schlafen.
Aber dann
erscheinen ihm geisterhaft die Personen noch einmal, die er am Tag gesehen hat,
und eine innere Stimme sagt ihm: was du
einen meiner geringsten Brüder getan hast, das hast du mir getan. Vater
Martyn schlägt ergriffen seine Bibel auf und liest vom König des Weltgerichtes das Folgende:
Ich bin
hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und
ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich
aufgenommen.[...] Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann
haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? Oder durstig und
haben dir zu trinken gegeben? Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben
dich aufgenommen? [...] Und der König wird antworten und zu ihnen sagen:
Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten
Brüdern, das habt ihr mir getan.
Diese Jesus-Worte aus Matthäus 23 erklingen am Ende dieser Tolstoi-Geschichte. Sie sind ein weiteres großes und wichtiges Wort zur Gastfreundschaft
Ernst Jünger
Ich möchte
am Ende noch einmal auf die Skepsis meiner Mutter zurückgekommen von der ich am
Anfang erzählt habe. Man spürt die Wärme, die aus einer Geschichte wie der von
Tolstoi strömt, aber man kann sich auch dagegen wehren. Man kann sagen, dass es
nicht unserer Erfahrung entspricht, Engel in unseren Häusern zu haben.
Aber geht
dann nicht die Wärme verloren? Ist es uns nicht möglich, durch die
vordergründigen Tatsachen hindurch zu schauen und am Ende doch das zu sehen,
was Gott uns zeigen will? Im Hungrigen - Jesus? Im Bettler - das Ebenbild
Gottes? Im Flüchtling - den besonderen Menschen, den Gott uns in seinem ewigen
Plan vorstellen wollte?
Ich habe in
der Vorbereitung für diese Predigt überraschend ein Wort gefunden, das von
einem nicht besonders frommen Mann stammt. Der Schriftsteller Ernst Jünger,
eher bekannt für seine Tagebücher aus Kriegszeiten, hat an einer Stelle geschrieben:
Nicht
für die Gesellschaft da sein, sondern für den Nächsten, den einzelnen. Und was
für ihn tun? Das Göttliche in ihm erkennen. Dann ordnet sich alles andere, die
Gesellschaft auch.
Ob uns das
gelingen kann, Gott in unserem Nächsten zu sehen? Ob wir es überhaupt einmal
versuchen wollen?
Wir leben in
einer entzauberten Welt, sagt man. Aber es liegt ein geheimer Zauber über den Geschichten
der Bibel. Wir lesen, dass wir uns nicht mit dem zufrieden geben sollen, was
vor unseren Augen ist. Es gibt eine andere Welt, die sich öffnet, wenn wir
durch die Dinge hindurchsehen. Dann werden Fremde zu Boten Gottes und Gäste
werden zu Engeln. Ich möchte uns einladen, sich auf diese Realität einzulassen.
Amen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen