Sonntag, 29. März 2020

Erinnerungen in den Zeiten von Corona (III): Die Rattenburg


Oberhalb des Hauses meiner Großeltern lag das Ausflugsrestaurant „Rattenburg“. Es hatte den etwas unheimlich klingende Namen von einem in der Nähe gelegenen sumpfigen Wald, um den eine Volkssage kreiste.

An dieser Stelle habe, erzählt die Sage, vor Urzeiten eine stolze Burg gestanden, die aufgrund irgendwelcher Verfehlungen ihrer Bewohner mit einem Fluch belegt worden war. In dessen Folge versank sie mehr und mehr im Boden und war am Ende nicht mehr zu sehen. Tief unten lebten aber die Bewohner weiter – wenn ich es richtig in Erinnerung habe in der Form von Ratten. Daher der Name Rattenburg.

Das Gebiet gleich hinter dem Ausflugsrestaurant ist das Quellgebiet des Eifgenbaches. Der Boden ist hier an vielen Stellen gut mit Wasser gesättigt, deshalb also manchmal sogar sumpfig. Teile des Waldes wirken so, als ob sich niemand so recht  um sie kümmerte. Der Wald bringt an den nassen Stellen und mit seinen entsprechend oft vermoderten und umgestürzten Bäumen vermutlich wenig Ertrag.

Ich bin oft durch dieses Waldstück gegangen und habe mir vorgestellt, wie es wäre, in einer finsteren Nacht entlang der Moderstämme gehen zu müssen. Ein unangenehmer Gedanke! Früher haben die Menschen hier, so wird berichtet, allerlei Geister und Gelichter gesehen und haben das Gebiet gemieden. 

Mein 1961 gestorbener Großvater hat mit der Rattenburg die Erinnerung an eine eigenartige polizeiliche Vernehmung verbunden. Eines Tages kam ein Mann vom Geheimdienst und fragte den Opa, ob er der Besitzer eines schwarzen Mercedes sei, er sei damit in der Gegend der Rattenburg beobachtet worden.

Der Großvater konnte alles erklären – er wohnte ja in der Nähe und hatte auch einen schwarzen Mercedes – und erfuhr dann, dass der Geheimdienst auf der Spur des Vorsitzenden der verbotenen kommunistischen Partei, Max Reimann, war, von dem man offenbar wusste, dass er geheime Treffen in der Rattenburg organisierte.

Der Opa konnte die Verfassungsschützer davon überzeugen, dass er nicht der Gesuchte war, ist aber sicherlich ab dann immer mit einem gewissen Schaudern an dem Restaurant vorbeigefahren. Erst die Ratten, dann die Kommunisten – welch furchtbare Brut!

Ich habe damals mit einigem Erstaunen wahrgenommen, dass sich auch die Chefs proletarischer Parteien in der Auswahl ihrer Autos am Geschmack der besitzenden Schichten orientierten. Diese Erkenntnis war mir damals neu.


1 Kommentar:

Stefan hat gesagt…

Wir sind als Kinder auch häufig den Weg gefahren, mein Opa kam ursprünglich aus Struksfeld. Die Region Rattenburg galt auch bei uns als Ort größter Furcht und dürfe da auf keinen Fall aussteigen. Jahrzehnte später habe ich festgestellt wie dieses Bild über die Region in mir noch wach war und dann habe ich mal geraut ganz alleine dort spazieren zu gehen, und gehen wie schön es da ist, aber ganz drin in mir ist das seltsame Gefühl geblieben und würde da nie Nachts aussteigen.....