Sonntag, 12. Juli 2020

Hagia Sophia und Jerusalem

Als der römische Kaiser Justinian am 27. Dezember 537 die Hagia Sophia im damaligen Konstantinopel feierlich eröffnete, soll er über das Meer geblickt und in Richtung Jerusalem gesagt haben – „Salomon, ich habe dich übertroffen!“

Eigenartigerweise hat auch Erdoğan am Tag der erneuten Umwandlung in eine Moschee den Gedanken an Jerusalem ausgesprochen. Er sagte, dass die Auferstehung der Hagia Sophia ein Vorzeichen für die Befreiung der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem sei. Er verband also ebenso wie der Kaiser Justinian die Hagia Sophia mit dem Tempelbau in Jerusalem.

Allerdings sprach der Kaiser Justinian damals vermutlich in Richtung einer leeren Kultstätte, nachdem der Tempel Salomos im Jahre 70 von den Römern zerstört und – man weiß es nicht genau – durch eine römische Kultstätte ersetzt wurde. Als diese verfallen war, haben die Christen wenig Interesse an dem früheren Tempelberg gezeigt und den Platz zu einer Schutthalde verkommen lassen.

Erst als die Muslime im Jahre 638, also bereits kurze Zeit nach Entstehung ihrer Religion, den Tempelberg in Jerusalem eroberten und dort den Felsendom (692) und die angrenzende Al-Aqsa-Moschee (713) errichteten, wuchs nach und nach der Gedanke in den Christen, man müsse alles dafür einsetzen, Jerusalem wieder zu befreien.

Es folgten die Kreuzzüge, die aber an der Oberherrschaft der Muslime über Jerusalem immer nur kurzzeitig etwas ändern konnten.

Umgekehrt hatten es die Muslime auf Konstantinopel abgesehen. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, hat schon der Prophet Mohammed seine Nachfolger dazu aufgerufen, diese Perle der christlichen Herrschaft dem Islam zu unterwerfen.

Ein erster Versuch – die Belagerung Konstantinopels unter dem arabischen Heerführer Abū Ayyūb al-Ansārī ("Eyüp") im Jahre 674 – scheiterte, aber schon der Versuch trug Ayyub / Eyüp die Verehrung als "Fahnenträger des Propheten" ein. Die Hagia Sophia blieb bis 1453 in den Händen der Christen und wurde von den Muslimen als Modell eines Sakralbaus wahrgenommen. Sie begannen bereits sehr früh damit, ihre Kuppel-Moscheen der Hagia Sophia nachzubauen.

Konstantinopel / Istanbul wurde erst zu einem Zeitpunkt erobert, als nicht mehr die Araber, sondern die nach 1100 aus Zentralasien eingewanderten Osmanen zur beherrschenden Macht in Kleinasien und dem Balkan geworden waren – und nachdem eine technische Neuerung, der Guss überschwerer Kanonen, erstmals die Möglichkeit eröffnete, die gewaltigen Mauern der Stadt mürbe zu schießen.

Eigenartigerweise hatten die Kreuzzüge, die in der Zeit zwischen der ersten und der zweiten Belagerung Konstantinopels stattfanden, zum Teil eine deutliche schwächende Wirkung auf die Stadt. Die Kreuzfahrer erwiesen sich vielfach nicht als Verbündete, sondern als Gegner.

Die Eroberung von Konstantinopel und die Umwandlung einer der größten Kirchen der Christenheit in eine Moschee muss nach 1453 eine ganze Generation von Menschen unter die Urangst gestellt haben, die Eroberung des Abendlandes durch die Türken stehe unmittelbar bevor. Auch Luther hat diese Angst gekannt.

Zwar sind die Türken tatsächlich weiter nach Westen vorgedrungen, letztlich aber im Jahre 1717 durch Prinz Eugen endgültig gestoppt worden. Später begann dann der Verfall des osmanischen Reiches. Weite Teile des Balkans gingen verloren, Griechenland wurde im Jahre 1827 unabhängig.

Die Gründung der Türkei im Jahre 1923 durch Kemal Atatürk war ein entscheidender Schritt, diesen Verfall aufzuhalten und an die Stelle des Osmanen-Sultanats einen türkischen Nationalstaat zu setzen. Dazu zählten klare ethnische, sprachliche und örtliche Grenzen, zum Teil nach nicht immer rücksichtsvoll verlaufenen ethnischen Säuberungen.

Mit dem Ziel, die Türkei zu einem modernen, und das hieß für Atatürk: westlichen Staat zu machen, wurden viele Reformen durchgesetzt, darunter die Einführung des lateinischen Alphabetes - und die Neutralisierung der Hagia Sophia, die ihrer religiösen Funktion entkleidet und zu einem Museum gemacht wurde (1935).

Der islamische Charakter des Inneren wurde dabei nicht verändert, der Gebetsschrein in Richtung Mekka blieb erhalten, auch die großen runden Schrifttafeln mit den arabischen Worten für Allah, Mohammed und für verschiedene Kalifen blieben dominant an den Säulen erhalten. Wenn Erdoğan also am 24. Juli zum Gebet einlädt, müssen nur Teppiche ausgelegt werden, und die Moschee ist wieder komplett.

Unbekannt ist, was mit den christlichen Bildern geschehen soll, die nach 1453 überputzt wurden und für das Museum wieder freigelegt wurden. Ich vermute, dass man hier einen Kompromiss finden muss (etwa Vorhänge), um den Status als Weltkulturerbe nicht zu verlieren.

Die Hagia Sophia hat in ihrer Geschichte Kriege und Erdbeben überstanden und eben auch den Wechsel von Kirche zu Moschee zu Museum. Sie wird auch die neuerlichen Veränderungen überstehen und wird ein ewiges Zeugnis für den Glauben ihrer Erbauer sein – der Christen.

Wenn allerdings Erdoğan jetzt über das Mittelmeer schaut und sich die Al-Aqsa-Moschee als nächste Eroberung vornimmt, dann muss man Angst haben, dass die alte Eroberer–Mentalität der Osmanen wieder zu Tage tritt. Man könnte ja nach Jerusalem noch einmal versuchen, Wien zu erobern und noch weitere westlicher Orte.

Dass man solche Ängste wieder haben kann, schadet den friedlichen Türken in Deutschland. Sie sind keine Osmanen und wollen es auch nicht sein. Ich habe mich darüber gefreut, dass die erste Reaktion des Verbandes deutscher Türken eine Kritik an Erdoğans Entscheidung war. Sie werden empfunden haben, dass ein Stück der Liberalität verloren gegangen ist, die für alle europäischen Türken Lebensgrundlage ist.


1 Kommentar:

Stefan hat gesagt…

Danke, mal wieder wertvolle Impulse....