Freitag, 14. Januar 2022

Mein Onkel Adalbert

 

Heute vor 100 Jahren wurde mein Onkel Adalbert Bohle geboren, in Bergneustadt im Oberbergischen. Von allen meinen Verwandten hat er den größten Einfluss auf mein Leben gehabt, meine Eltern vielleicht ausgenommen. Ich sage vielleicht, weil mein Onkel dem Einfluss meines Vaters, dem ich mich oft zu entziehen versucht habe, etwas entgegengesetzt hat, das weder mein Vater noch meine Mutter, Adalberts jüngere Schwester, anzubieten hatten. Es war eine weltmännische Lebenskunst, die sich im Haus meiner Eltern nicht fand, die ich aber im Haus des Onkels wie ein offenes Buch studieren konnte.

Mein Onkel liebte die klassische Musik, spielte sie selbst auf dem Klavier und zog durch die ganze Welt, um die Konzerte seines Freundes, des Dirigenten Helmuth Rilling zu hören. Die Räume im Tübinger Haus des Onkels hingen voll mit Bildern, überwiegend von Arrigo Wittler gemalt, den er als junger Mann kennengelernt hatte und dem er über viele Jahre ein treuer Kunde war. Und schließlich war da das Universum seiner vielen Bücher, in dem ich frei herumstreifen durfte, was ich gerne genutzt habe.

Ohne seine Fürsprache hätte ich dem Plan meines Vaters folgend nach der zehnten Klasse, der "mittleren Reife", eine Maurerlehre beginnen sollen. Der Onkel sorgte für das Fortkommen bis zum Abitur und später, nach der Bundeswehr, für eine Möglichkeit, in Tübingen Betriebswirtschaft zu studieren. Dort war ich drei Semester lang jeden Mittag bei ihm und seiner Frau zu Gast und konnte lernen, meine Worte und meine Tischsitten auf gutem Niveau zu halten.

Wir haben uns später nie aus den Augen verloren und haben zwischen vielen Besuchen immer wieder miteinander telefoniert, wobei ich mich vom ehrfurchtsvollen Zuhörer nach und nach zu einem halbwegs gleichberechtigten Gesprächspartner entwickelt habe. Mein größter Erfolg war, ihm gelegentlich das Lesen von Romanen näherzubringen. Er hatte zunächst fest auf der Priorität der Sachbücher bestanden.

Von ihm übernommen habe ich ich einen Zugang zu Ernst Jünger, den er ebenfalls persönlich kannte, und der 1991 an einem Abend, den ich hier im Blog beschrieben habe, in seinem Haus zu Gast war. Der Onkel kommt mehrfach hier im Blog vor, so im Beitrag zum 60ten Geburtstag meiner Schwester Esther, die ich ebenso wie den Onkel zu den Enthusiasten zähle, denen ich auch ein Kapitel meines Buches "Unter Menschen" gewidmet habe. Eine seiner Maximen zum Abhalten einer erfolgreichen Rede findet sich hier.  

Übernommen habe ich auch seine Treue zum Glauben seiner Väter. Sein eigener Vater Erwin Bohle war Baptistenprediger in Remscheid, und er selbst ist bis zum Ende seine Lebens Baptist geblieben. Er ist von dem den Baptisten herzlich zugeneigten Tübinger Theologen Eberhard Jüngel im Mai 1998 beerdigt worden. Jüngel hat am Ende aus einem Lebensrückblick zitiert, den der Onkel noch selbst verfasst hatte. Mein Onkel sprach darin vom "großen Halleluja am Ende der Tage" und schloss mit den Worten "Dieses große Halleluja wird der nächste Gesang sein, den ich hören werde, ja in den ich vielleicht miteinstimmen darf."

Eberhard Jüngel hat seine Ansprache dann mit den Worten geschlossen "So Adalbert Bohle. Ihm geschehe, wie er geglaubt hat. Amen."

Ich habe das damals mit Ergriffenheit gehört und ein lautes "Amen!" dazu gesagt.


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