Dies ist die Mutter aller Mütter - meine Urgroßmutter Lina Bohle. Sie sitzt für mich im großen Kreis ihrer Familie ähnlich wie die Nabe in einem Rad.
Ihr Haus in Bergneustadt, in dem sie um das Jahr 1880 ein Geschäft gegründet hat, das erst vor wenigen Jahren aufgegeben wurde, ist das Stammhaus der großen Familie meiner Mutter.
Es ist von Anfang an ein matriarchalisch geführtes Haus gewesen, nachdem der Mann meiner Urgroßmutter, der mit seinem dunklen Augen ein wenig depressiv in die Welt schauende Emil Bohle schon 1913 verstarb und es seiner Frau überließ, die Geschäfte alleine weiter zu führen. Das hat sie noch 26 Jahre getan, hat sich dabei aber mehr und mehr der Hilfe ihrer Tochter Elise bedient, die beim Tod des Vaters 18 Jahre alt war. Sie war aus ähnlich hartem Holz geschnitzt wie ihre Mutter und wurde auch nach ihrer Hochzeit mit dem Friedrich Hahne (am unteren Rand der Todesanzeige aufgeführt) landauf landab weiterhin „das Bohlen Lieschen" gerufen.
Ich habe das Lieschen in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts noch häufig gesehen, weil mich meine Wege in den Nachbarort Wiedenest führten, wo meine Frau aufgewachsen ist.
Als ich um das Jahr 1972 den Laden des Bohlen Lieschens betrat, sagte sie als erstes sehr bestimmt und direkt, dabei aber nicht einmal unfreundlich: "Christian, donn den Bart af!" Tu den Bart ab. Ihr gefiel mein damals in Mode stehender Bart nicht.
Lieschens Mutter, die 1939 verstorbene „Witwe Emil Bohle“ (Foto) muss eine ebenso selbstbewusste Frau gewesen sein wie ihre Tochter, denn es wurde von ihr überliefert dass sie auf die Vorhaltungen der Nachbarn, ihre mittlerweile erwachsenen Söhne würden es den Schwiegertöchtern erlauben, unter der Woche Tennis zu spielen (während die Witwe Emil Bohle noch unermüdlich im Laden arbeitete), dass sie also auf diese Vorhaltungen barsch gesagt haben soll: "Just so will ick et han".
Auf einem Familienfoto von 1903 ist sie mit ihrer Kinderschar von fünf Jungen und drei Mädchen zu sehen. Der dunkel und verschlossen wirkende Emil Bohle nimmt einen Platz relativ weit am Rand ein, während seine offenkundig alles beherrschende Frau in der Mitte thront.
Von den Söhnen haben alle das Erwachsenenalter erreicht, haben geheiratet und Kinder bekommen. Von den drei Töchtern ist die kleine Emmi mit drei Jahren gestorben, eine weitere, Maria, die in der Todesanzeige ganz oben steht, ist unverheiratet geblieben und hat im Haushalt des Bohlen Lieschens mitgeholfen. Das Bohlen Lieschen selbst hat zwei Töchter gehabt, welche den Laden weitergeführt haben. Aus ihrer Zeit besitze ich noch einen Kleiderbügel, auf dem in gerader Schrift der Name "Bohle" steht.
Der Laden muss zunächst eine Suppenküche für die Arbeiter der im Tal der Dörspe im 19. Jahrhundert schnell wachsenden Industrie gewesen sein, ergänzt um eine kleine Landwirtschaft mit Kuh (siehe Foto) und einen Kolonialwarenladen. Erst später, und das ist die Zeit, in der meine Eltern mich in den fünfziger Jahren gelegentlich mit nach Bergneustadt nahmen, hat das Bohlen Lieschen Kleidung verkauft, Von der habe ich in Erinnerung, dass darunter die für Kinder bestimmten Stricksachen der Marke "Kübler" waren.
Lieschens Töchter waren elegante Frauen und haben aus dem Kleiderladen ein nach meinem damaligen Eindruck recht attraktives Modegeschäft gemacht.
Die Söhne haben Handel getrieben, der sie weit in der Welt herum gebracht haben. Ein Enkel hat nach dem Krieg diese Geschäfte weitergeführt und durch ausgedehnte Reisen nach Asien eine, wie man heute sagen würde, Lieferkette aufgebaut, über die er Zubehör für Fahrräder importierte. Für seine Fahrradschläuche und Reifen hat er irgendwann die Marke „Schwalbe“ eingeführt, die man heute fast auf jedem zweiten Rad in Deutschland finden kann.
Lieschens Töchter waren elegante Frauen und haben aus dem Kleiderladen ein nach meinem damaligen Eindruck recht attraktives Modegeschäft gemacht.
Die Söhne haben Handel getrieben, der sie weit in der Welt herum gebracht haben. Ein Enkel hat nach dem Krieg diese Geschäfte weitergeführt und durch ausgedehnte Reisen nach Asien eine, wie man heute sagen würde, Lieferkette aufgebaut, über die er Zubehör für Fahrräder importierte. Für seine Fahrradschläuche und Reifen hat er irgendwann die Marke „Schwalbe“ eingeführt, die man heute fast auf jedem zweiten Rad in Deutschland finden kann.
Die auch in der nächsten Generation sehr erfolgreiche Firma konnte es sich leisten, mit großzügigen Spenden dem namhaften Handballverein im Nachbarort Gummersbach eine Sporthalle zu ermöglichen, die heute „SCHWALBE arena“ heißt. Bei einem Familientreffen habe ich dem gegenwärtigen Schwalbe-Chef dazu gratuliert, dass durch eine glückliche Fügung in Gummersbach nicht der Fußball, sondern der Handball im Mittelpunkt steht. Eine Schwalbe ist im Fußball ja der Sturz nach einem vorgetäuschte Foul, und an eine Schwalbe–Arena wäre entsprechend im Fußball nicht zu denken.
Zwei der Söhne der Witwe Emil Bohle sind Baptistenprediger geworden, und zwar der älteste Sohn Friedrich und der vierte Sohn Erwin, mein Großvater. Beide Prediger haben die Töchter eines Berliner Baptisten namens August Lehmpfuhl geheiratet, wodurch ein wenig Berliner Blut in meine ansonsten überwiegend Bergische Ahnenreihe gekommen ist.
Aber davon später mehr.
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