Samstag, 20. April 2024

Kafka

Man kann in diesen Tagen sehr viel über Franz Kafka erfahren. Sein Todestag jährt sich am 3. Juni zum 100. Mal. Zu diesem Anlass sind eine Reihe von guten Büchern erschienen, auch Filme entstanden, einer davon ist in der ARD-Mediathek anzusehen. 

Insgesamt wurde ein neuer Kafka präsentiert, der sich von dem Kafka unterscheidet, von dem mein Deutschlehrer, Dr. Werner Heldmann, ein Kafka-Experte, wie man uns sagte, im Jahre 1959 eine genaue Vorstellung zu haben glaubte. Vermutlich ging Dr. Heldmanns Kafka-Bild auf das zurück, was Kafkas Freund und Nachlassverwalter Max Brod der Welt vorgezeichnet hatte: dunkle, melancholische Augen, ein von der Welt abgewandter, ja verfolgter Mann, dem menschliche Kontakte fehlten. Immer wieder wurde sein angeblich extrem problematisches Verhältnis zu seinem Vater in den Vordergrund gestellt.

Heute sieht man Kafkas gedankliche Ausflüge in seine halb erträumten, halb realen Welten eher als ein geniales Spiel eines lebenslustigen, beruflich erfolgreichen Versicherungsjuristen an, ein Spiel, das er auch immer wieder selbst nicht ganz ernst nahm. Einmal fragte er nach einer öffentlichen Vorlesung seiner Stücke, warum die Menschen nicht häufiger gelacht hätten. Wie genial er Traum und Wirklichkeit verknüpfen konnte, geht aus einer Begebenheit hervor, die Max Brod erzählte: bei einem Besuch im Elternhaus der Familie Brod musste Kafka an dem Sessel vorbei, in welchem Vater Brod seinen Mittagsschlaf hielt. Leider wachte der schlafende Mann auf, und Kafka sagte leise: „Bitte betrachten Sie mich als einen Traum.“

Ich habe zuletzt ein Stück von Kafka gelesen, das er ganz am Ende seines Lebens in einer einzigen Nacht niedergeschrieben hat. Es heißt "Der Bau" (im Internet nachzulesen) und erzählt von einem Tier, vielleicht einem Dachs , das sich Gedanken über die Sicherheit und den Komfort macht, die es in seinem unterirdischen Bau genießt. Gewiss – man kann die zischenden Geräusche, denen das Tier im zweiten Teil der Geschichte nachgeht, als existenzielle Bedrohung deuten und nach Gründen suchen, warum Kafka gerade jetzt davon erzählt. Man kann aber auch einen spannenden, ja unterhaltenden Verlauf der ganzen Geschichte erleben und sich letztlich amüsieren.

Jemand schrieb jetzt, Kafka sei auch als Strandlektüre geeignet. Das halte ich für übertrieben, aber als Gegenmittel gegen die finstere Deutung von Max Brod ist der Gedanke vielleicht erlaubt.

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