Freitag, 20. August 2010

Vetter Christopher malt





Mein Vetter Christopher Lehmpfuhl malt, und er malte gestern im Bergischen Land. Er war mit seinem großen, mit Farbtöpfen und Leinwänden vollgestellten Lieferwagen für ein paar Tage aus Berlin gekommen und bereitete eine Ausstellung vor, die in einigen Monaten im Krefelder Kunstverein stattfinden soll. Sein Galerist in Düsseldorf, für den er schon häufiger Bilder aus dem Rheinland gemalt hat, wird auch die jetzt neu entstehenden Bilder nach der Krefelder Ausstellung zum Verkauf anbieten.

Mein Vetter Christopher ist Landschaftsmaler. Er malt bei Eiseskälte und Gluthitze draußen in der freien Natur und bringt die allermeisten Bilder vollständig fertig gemalt in sein Atelier zurück, ohne sie dort weiter bearbeiten zu müssen. Gestern habe ich ihn einen ganzen Tag lang begleitet und aus der Nähe sehen können, wie insgesamt sechs Bilder, zwei große und vier kleinere entstanden.

Christopher hatte am Tag zuvor Motive in Krefeld und Duisburg gemalt und für die folgenden Tage weitere Bilder in Köln und Düsseldorf auf dem Plan. Mir war es zu meiner Freude gelungen, ihn schon vor einigen Wochen mit einigen Fotos aus dem Bergischen Land dazu zu bewegen, ein wenig vom Weg abzugehen und sich auch einmal mit der unspektakulären Schönheit meines Heimatlandes zwischen Ruhr und Sieg zu beschäftigen.

Als wir morgens seinen Wagen bestiegen und losfuhren, war meine bange Frage, ob ihn die realen Orte, an denen ich die Fotos gemacht hatte, wirklich so ansprechen könnten, daß er anhalten und mit dem Malen beginnen würde. Schon der erste Punkt, das Diepmannsbachtal (Foto), in dem wir bei unserer kleinen Rundfahrt um Remscheid herum begannen, erwies sich dann aber zu meiner Erleichterung gleich als malbar. Ich hatte das Motiv allerdings auch mit Hilfe eines kundigen Wanderers, des pensionierten Pastors Eberhard Kulosa entdeckt, der an dieser Stelle innehielt und mir eine kleine Lehrstunde über die weichen Formen und die sinnlichen, vielfach an einen Frauenkörper erinnernden Geländelinien des Bergischen hielt.

Auch ein kleines Talstück zwischen Lennep und Bergisch Born fand bei unserer vorbereitenden Rundfahrt Christophers Gefallen, genauso wie wenig später der weite Blick in die Hügel und Täler bei Dreibäumen. Als letztes wurde dann die Müngstener Eisenbahnbrücke besichtigt, Postkartenschönheit seit ihrer Fertigstellung 1897, dem Eiffelturm in ihrer Konstruktionsweise verwandt.

Sie wurde schließlich als erste gemalt, mit dem Plan, danach rückwärts über Dreibäumen und Lennep wieder zum Diepmannsbachtal zu fahren und jeweils auch an den anderen Orten zu malen. Dieser Plan erwies sich später als zeitlich nicht durchführbar, auch wenn Christopher sowohl in Müngsten als auch in Dreibäumen sehr schnell und zielsicher malte. Er hatte mich allerdings auch bereits vorher gewarnt: die Logistik seiner Arbeit erfordere oft mehr Zeitaufwand als die eigentliche Malarbeit selbst.

Dies zeigte sich dann auch in Müngsten, wo erst einmal ein längerer Weg zwischen Parkplatz und Brücke mit einer Sackkarre voll Farbeimern und einer etwa 2,50 m x 1,50 m großen Leinwand zurückgelegt werden mußte, und wo ich miterleben konnte, wie allein das Anziehen von Christophers „Malkleidern“ – alte Hosen und T-Shirts in zwei oder drei Schichten übereinander, die er nach jedem Malgang wegwirft – eine Menge Zeit in Anspruch nimmt.

Christopher verzichtet seit etwa zwei Jahren auf Pinsel und malt mit den Händen, die zu diesem Zweck in drei Lagen Gummihandschuhe gesteckt werden. Beim Aufstreichen der Farben auf die Leinwand entstehen durch wiederholtes Wischen ganz überraschende Farbfelder – so etwa, wenn er eine tischtennisballgroße Kugel aus weißer und blauer Farbe in die Hand nimmt und durch schnelles Hin- und Herwischen einen hellblauen Himmel auf die Leinwand zieht, den er später dann z.B. noch einmal mit dunklerer Farbe überstreicht und vermischt, wenn er das Grau von Wolken erzeugen will.

Alle seine größeren Bilder sind klar als nur wenig abstrahierte Abbilder des Gesehenen zu identifizieren. Die dargestellten Gegenstände werden meist als größere und kleinere Farbmassen, die erst einmal wie vorläufig wirken, auf die Leinwand gebracht, weiße Häuser im Hintergrund etwa, die aus einem schnellen Tupfer mit dem Mittelfinger entstehen, oder sie werden als dunkle Linien mit dem Zeigefinger auf den vorbereiteten Untergrund gezogen.

Später wachsen diese Objekte durch mehrfaches Übermalen und Zumischen zu großen, oft mehreren Zentimeter dicken Gebilden, die plastisch auf der Leinwand stehen und viele Betrachter mit ihrer Dreidimensionalität an die Bilder van Goghs erinnern.

Mich wunderte beim Zusehen, wie schnell Christopher mit seinen konzentrierten Blicken auf das vor ihm liegende Land gewissermaßen „Szenen“ aus ihm herausliest, die er später zu zentralen Themen seiner Bilder macht. So bildete etwa die große Wiese unterhalb der Brücke, die vom Ort der Leinwand nicht einmal besonders gut einsehbar war und für mich in ihren Abstufungen und Terrassierungen eher unzusammenhängend und ungeordnet erschien, recht bald das grüne Herzstück des Bildes. Christopher hatte es bereits lange vor Bearbeitung der unteren Bildpartien mit wenigen Handstrichen auf die Leinwand gebracht, das wirkte wie eine programmatische Aussage.

Auch das Waldgebiet zwischen Oberrautenbach und Bockhacken, das Christopher am zweiten Malort in das Zentrum eines seiner Bilder nahm, erschien mir zunächst in seiner unregelmäßigen Lage, halb im Tal, halb aus dem Tal hinauf kommend, als wenig geeignet für ein Bild.

Als ich am Ende des Tages den Wald dann aber in der sinkenden Sonne noch einmal betrachtete, erschien er mir ebenso wie sein Abbild zu einer zusammenhängenden Sinneinheit verschmolzen zu sein. Der Unterschied zwischen dem ersten und dem späteren Eindruck war, daß ich unzählige Male den Wald, die umliegenden Felder und Wege in Christophers Sehweise, übersetzt in seine Malbewegungen, gesehen hatte.


Ich denke, daß ich noch oft an die Stelle wandern werde, wo das Bild entstand, und mich darüber freuen werde, wie mir Hecken und Wege und Zäune vertraut geworden sind als hätte ich dort mit den Augen ein wenig Heimat gefunden.

Wer von einem Maler erwartet, daß er sich in seinem Leben immerfort ändert und dies etwa durch eine rote Phase, die dann von einer gelben abgelöst wird etc. auch nach außen zeigt, wird bei Christopher nichts von alledem finden. Er entdeckt zwar nach meinem Eindruck in jedem Jahr eine Reihe von neuen Farben und Farbkontrasten und durch Reisen um die ganze Welt immer neue Motive, hat aber schon recht früh in seinen noch jungen Jahren (er ist 38) zu einer Linie gefunden, die seine Bilder unverwechselbar machen.

Ich würde das, was er macht, eine Abstraktion im Rahmen eines äußeren Realismus nennen. Ich habe gestern noch einmal deutlich gesehen, daß er die Dinge so malt, daß man sie zwar wiedererkennt, gleichzeitig aber auch so, daß er sie anders ordnet und neu zeigt. Von Vermeer und seinem berühmten „Gezicht op Delft“ weiß man, daß Vermeer die Silhouette seiner Heimatstadt viel flacher dargestellt hat, als sie es tatsächlich war. Christopher macht es oft umgekehrt und drückt seine Gegenstände in größere Höhen, so daß sie an Stärke gewinnen. Die Müngstener Brücke etwa malte er mit einem engeren und dadurch fester wirkenden Mittelbogen. Außerdem ließ er das Gleis für mich ein wenig surrealistisch nach rechts ansteigen und hielt damit ganz von selbst Abstand zu allen Postkarten und Hobbyfotografien, die es in millionenfacher Auflage von dieser Brücke gibt.

Ich habe Christopher bei seinen Aktivitäten einen ganzen Tag lang begleiten können, habe die Dinge um uns herum gebannt mit seinen Blicken verfolgt und schließlich zwei der Bilder auch selbst erstanden. Sie werden die Lebensfreude dieses Tages, so ist meine ganz starke Hoffnung, an die Orte tragen, wo ich sie aufhängen werde. Vielleicht ist es am Ende doch so, wie es Eichendorff geschrieben hat, daß ein Lied in allen Dingen schläft. Und es steigert das Glück der Bewohner dieser Erde, daß in einzelnen Menschen immer wieder die Kunst wach wird, dieses Lied zu wecken und zu singen.



Keine Kommentare: