Über das neue Buch The Masque of Africa von V.S.Naipaul
Beim Lesen der Reiseberichte von V.S.Naipaul ist es mir immer so vorgekommen, als ob seine braune Hautfarbe in den Ländern Asiens und Südamerikas wie eine freie Eintrittskarte zur Welt der dort lebenden Menschen gewirkt haben muß. Man erzählt ihm, dem auf Trinidad geborenen Nachfahren indischer Einwanderer, immer sehr viel mehr als dem weißen Mann, der mit einem vorgeschobenen journalistischen oder wissenschaftlichem Interesse der Länder bereist und am Ende doch nur wieder erzählt, wieviel besser es bei ihm zu Hause zugeht. Schlüpft man dagegen als Leser in Naipauls Haut, hört man mit seinem Ohren und sieht mit seinen Augen, dann erfährt man, so mein ständiger Eindruck, unendlich viel mehr als jeder durchschnittliche Europäer jemals erfahren würde.
Eigenartigerweise scheint diese Eintrittskarte in Afrika ihre Gültigkeit verloren zu haben. Naipaul hat den Kontinent in den letzten Jahren bereist und hat jetzt, nachdem er 78 Jahre alt geworden ist, einen Bericht über insgesamt fünf afrikanische Länder als Buch veröffentlicht. Ich habe das Buch wie alle Bücher Naipauls gerne gelesen, habe aber zu keinem anderen Buch eine solche innere Distanz empfunden, die mich am Ende ein wenig unzufrieden hinterlassen hat. Auf meine Frage, ob the old magic still works, ist meine Antwort ein vorsichtiges Nein.
Es gibt verschiedene äußere Gründe, warum Naipaul es in Afrika sehr viel schwerer hat als auf seinen früheren Reisen in Asien, Südamerika und den USA. Ganz wichtig erscheint mir zu sein, daß er nach seinem Nobelpreis im Jahre 2001 nicht mehr unerkannt reisen kann Er erfährt im Gegenteil von den Offiziellen der Gastländer eine Sonderbehandlung, die ihn an jedem Ort, den er besucht, fast wie einen Staatsgast erscheinen läßt.
In Albert Schweitzers Lambarene fliegt er mit dem Hubschrauber ein und wundert sich nach der Landung, daß in ihm und um ihn herum nicht die Stille eintreten will, die er erwartet hat, um den Ort auf sich wirken zu lassen (expose myself to the genius of the place). In Ghana wird er von dem früheren Präsidenten Jerry Rawlings privat empfangen und bekommt von dem nach wie vor sehr zupackenden Gardesoldaten eine Serie von polternden Lebensweisheiten mitgeteilt. Der Präsident begleitet sie jeweils mit einem Schlag auf das Knie von Naipaul (den Rawlings jovial Chief nennt). Naipaul läßt das Ganze sichtlich irritiert über sich ergehen, beschreibt es recht lebendig, kann aber aus der Unterhaltung nichts destillieren, was das Buch in irgendeiner Weise voranbringt.
Naipauls Thema sind die alten afrikanischen Kulte. Beeindruckend ist, wie er immer wieder die Trennlinie zwischen diesen Kulten und der Welt der modernen Aufklärung zieht, zu der für ihn die Muslime und Christen gleichermaßen zählen, die pfingstlerischen Rock-and-Roll-Churches eingeschlossen, die hier wie überall in der Dritten Welt wie Pilze aus dem Boden schießen. Bei allen diesen nicht-afrikanischen Glaubensrichtungen beobachtet er allerdings eine deutliche Angst vor den alten Kulten und beschreibt, wie selbst angesehene Prediger der aufgeklärten Religionen offen oder heimlich für den Beistand aus dem Forest sorgen, der nach Naipauls Eindruck überall vorherrscht und durch christliche oder muslimische Glaubensformen nur dünn überdeckt ist.
Ein wenig behindert ist Naipaul auch durch sein Alter, immerhin ist er 76 Jahre alt, wenn er zu diesen Reisen aufbricht. In einer Szene muß er einen Besuch im Forest, bei dem eine echte Begegnung mit Geistern offenbar unmittelbar bevorsteht, aufgrund seiner körperlichen Schwäche abbrechen.
Überhaupt ist er bei vielen Besuchern seltsam ängstlich. Ein immer wiederkehrendes Thema ist das Geld, welches die Medizinmänner und Wunderheiler regelmäßig von ihm oder seinen Begleitern verlangen. Offenbar ist allen Beteiligten klar, daß der berühmte Mann ein weiteres Buch schreiben und viel Geld dafür bekommen wird. Warum nicht daran partizipieren? Naipaul reagiert mit der Wut, die jeder kennt, der einmal in einem Taxi der Dritten Welt ein paar Euros mehr bezahlt hat als ein Einheimischer. Er bricht manche Termine einfach ab, wenn auch nur aus der Ferne droht , daß man ihn über den Tisch ziehen könnte.
Die wichtigste Behinderung für Naipauls Genie erscheint mir allerdings darin zu bestehen, daß sich die Geisterwelt des afrikanischen Forest jeder Art von Sprache entzieht. Anders als in den Ländern der Muslime oder Buddhisten ist in Afrika eine sprachliche Auseinandersetzung mit den zu beobachtenden Phänomenen kaum möglich. Afrika bleibt ein großes und starkes aber letztlich nicht verstehbares Land, in dessen Geschichte die Anwesenheit des weißen Mannes, seiner Worte und seiner Ideen wohl nur eine kurze Phase darstellen wird.
In Südafrika, der letzten Station seiner Reise, beklagt Naipaul, daß er nichts findet, was der weiße Mann an literarisch Verwertbarem hinterlassen kann. An dieser Stelle wünschte man sich, er würde seinen südafrikanischen Kollegen J.M.Coetzee zumindest erwähnen, der im Jahre 2003, zwei Jahre nach Naipaul ebenfalls den Nobelpreis erhielt. Auch Coetzee kapituliert nach meinem Eindruck vor der Macht des Forest. Aber bei ihm ist diese Kapitulation wenigstens ein Anlaß für die literarische Aufarbeitung. Bei Naipaul bleibt es dagegen nur bei einer Kette von Erlebnissen, die sich am Ende nicht zu einem Gesamtbild fügen.
Eigenartig berührt ist man von Fehlern in dem Buch. Es gibt an wenigstens fünf Stellen störende Wiederholungen (etwa der Hinweis darauf, daß sein Begleiter Mr. Richmond dänische Vorfahren hat), die auf mich den Eindruck machen, als habe Naipaul beim Zusammenfügen verschiedener Manuskripte zu wenig Korrektur gelesen und danach den Lektoren verboten, irgendwelche Änderungen am Buch vorzunehmen. Aus seiner Biographie weiß man, daß er sehr ungern lektoriert wird.
Ein alter Mann begibt sich auf eine beschwerliche Reise, das muß man ihm hoch anrechnen. Was er von dieser Reise mitbringt ist immer noch um Welten besser als mancher andere Reisebericht. Aber es hat nicht die alte Klasse eines Sir Vidiadhar Surajprasad Naipaul.
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