Das Vaterunser
Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name.
(Matthäus 6 und Lukas 11)
Auch dieses Bibelwort ist - ähnlich wie Psalm 23 - in den
Köpfen und Herzen vieler Christen jederzeit gegenwärtig, weil man es auswendig
gelernt hat. Es ist ein schönes Gebet, das Jesus seine Jünger gelehrt hat, und
dessen Kenntnis ich allen Muslimen ans Herz legen möchte, weil es ein
großes Stück Verständnis für das Christentum öffnen kann.
Mir ist bewusst, dass an seinem Anfang mit dem Wort "Vater"
zunächst einmal ein Warnschild für Muslime aufleuchtet, das schnell zum
Stoppschild werden kann. Der Gedanke, dass Gott Kinder haben könnte,
widerspricht ja dem reinen Monotheismus des Islam. Kann man als frommer Moslem
dieses Warnschild unbeachtet lassen und das Gebet einmal ganz lesen*?
Ich meine: ja, man kann. Mit Freund Nureddin bin ich mir
einig, dass die Freundlichkeit Gottes den Menschen gegenüber durchaus den
Charakter der Freundlichkeit eines Vaters seinen Kindern gegenüber hat. Nureddin
und ich können uns darauf verständigen, dass alle Menschen auf dieser Welt in
diesem Sinn Kinder des Herrn der Welten sind, nach dessen Willen sie auf die
Welt kommen und nach dessen Willen sie diese Welt eines Tages wieder verlassen
werden.
Die Gebetshaltung des Vertrauens zu diesem Vater, mit dem
dieses Gebet beginnt, ist sicherlich für jeden Moslem nachvollziehbar. Sie wird
begleitet von dem ehrfurchtsvollen "geheiligt werde dein Name", auch
dies in Worten gesagt, die so nicht im Koran erklingen, über die man sich aber
als Glaubende, denke ich, jederzeit auf einer tieferen Ebene verständigen kann.
"Dein Reich komme" - wer möchte das nicht mitbeten? "Dein Wille
geschehe wie im Himmel, so auf Erden" - ich denke, die ganze Bewegung
dieses Gebetes ist einem muslimischen Beter nicht fremd.
Ich lade ein, einmal in Ruhe das ganze Gebet zu lesen. Es spricht
in schneller Folge eine Anzahl erstaunlicher Bilder an - das tägliche Brot -
Schuld und Vergebung - der Kampf gegen die Versuchung und das Böse.
Dieses Gebet bietet insgesamt eine Brücke zwischen einem regelmäßig
betenden Moslem und seinem christlichen Nachbarn, von dem der Moslem praktisch
nie sieht, dass dieser betet. Aber er betet auch! Und wenn er das tut, wird er
sich oft wörtlich oder in einem weiteren Sinne an die Gebetsworte des
Vaterunsers halten.
* Matthäus 6,5 – 15
Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler,
die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, damit sie
von den Leuten gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn
schon gehabt.Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ
die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater,
der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die
Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß,
was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel!
Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich
und die Kraft
und die Herrlichkeit
in Ewigkeit.
Amen. Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen