Donnerstag, 13. Februar 2014

In Hebron


Die Höhle von Machpela
Hat Abraham wirklich gelebt? In seinem Josephsroman lässt Thomas Mann  die Erinnerung an Abraham sich im Gedächtnis seiner Nachkommen auf eine schöne, fast beseligend zu nennende Weise verwischen. Am Ende erzählen sie seine Geschichten als ihre eigenen und fügen eigene Erlebnisse aus neueren Zeiten den alten Geschichten Abrahams bei. Es entsteht auf diese Weise eine Art von Mega-Person, deren Ich-Bewusstsein sich von Generation zu Generation weitervererbt. „Abraham“ entspricht einer ganzen Menschheitsperiode. So jedenfalls legt es uns Thomas Mann in seinem Roman nahe, gestützt auf die theologischen Erkenntnisse seiner Zeit, die er damals ausgiebig studiert hatte.
Liest man dagegen den minutiösen Bericht in 1. Mose 23, wie Abraham als erster in der Ahnenreihe der biblischen Menschen ein Stück Feld kauft, und liest darin den Namen des Verkäufers (Efron, ein Hethiter), den Preis und die Besonderheit des Feldes, nämlich die an seinem Ende gelegene Höhle, dann möchte man doch gerne glauben, dass sich alles so und nicht anders zugetragen hat. Dann würden sich hier an diesem Ort in der Höhle unter der Moschee, in der ich heute war und die (wie ich las, aber auch mit eigenen Augen heute sah) früher einmal eine Kirche war, vielleicht doch die Gebeine der Sara befinden, für welcher Abraham die Höhle kaufte, die Höhle von Machpela. Und vielleicht hätten sich tatsächlich später auch die Überreste ihres Mannes Abraham, ihres Sohnes Isaak, ihres Enkels Jakob und der beiden Frauen Rebekka und Lea zu denen der Sara gesellt. 
Dann wäre auch der kleine Schmerz vollkommen, der sich an diesem Ort bei dem Gedanken an Rahel einstellt, die hier fehlt. Sie war in meiner Vorstellung immer die schönste unter den First Ladies aus der Patriarchenzeit. Leider starb sie unzeitig, bei der Geburt ihres zweiten Sohnes Benjamin, und wurde an einem anderen Ort, nördlich von Bethlehem begraben.

Herodes, der böse und bauwütige, hat als erster die Grabanlage großzügig überbauen lassen, da waren die Patriarchen und Patriarchinnen schon mindestens 1.000 Jahre tot. Danach ist die Geschichte immer wieder über die Anlage hin und her gegangen, oft gewaltsam und zerstörerisch. Römer, Araber, Kreuzfahrer haben sich die Gräber wechselseitig streitig gemacht, seit 1188 war das Gebiet ununterbrochen bis 1967 in den Händen von Muslimen und die meiste Zeit auch für Juden und Christen gesperrt. Seit der Eroberung des Westjordanlandes 1967 durch Israel hält Israel den Zugang für Mitglieder aller Religionen offen, eine manchmal heikle Aufgabe, die dadurch erschwert wird, dass besonders die orthodoxen Juden diese Gräber nicht nur besuchen, sondern in ihrer Nähe auch wohnen wollen. Auf Hebron melden viele Menschen einen Anspruch an, und sie tun es nicht immer friedlich.

Die Bereiche für Muslime und Juden sind getrennt. Ich darf die Sicherheitskontrollen für beide Bereiche passieren, mein palästinensischer Begleiter muss vor dem Eingang zu den Juden (die haben Jakob und Lea, die Muslime die anderen vier) auf mich warten.
Unter der Moschee, in der sechs leere Kenotaphe an die Patriarchen und ihre Frauen erinnern, sind mehrere Höhlen, deren Zugänge weitestgehend verschlossen sind. Hier hat der spanische Reisende Benjamin von Tudela um das Jahr 1150 herum drei hintereinander liegende Höhlen gezeigt bekommen, in deren letzter sich sechs Gräber mit den Namen Abraham, Isaak usw. befanden. Etwa um diese Zeit herum sind die Gräber wohl auch einmal von Kreuzfahrern geöffnet worden. Man habe wunderbar erhaltene Skelette gefunden und auch Grabgewänder und Beigaben.

Mir erscheinen das Legenden zu sein, und meine Frage, ob Abraham wirklich gelebt hat, bleibt ohne Antwort. Vielleicht sollte ich es wie die Griechen machen und meine Zweifel zusammen mit meinen Gewissheiten unbesorgt in eins packen. Die Griechen lehrten nämlich ganz ähnlich, man wisse nicht, ob Homer gelebt hat. Man wisse aber, dass er blind gewesen sei.

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