Das Brüllen
Gottes
Die zweite Tagesetappe begann heute nahe Teque, dem alten Tekoa,
aus dem der Prophet Amos stammt. Ein Schafzüchter ist Amos hier gewesen, bevor
er Worte „schaute“, wie es im ersten Vers des Amosbuches heißt, und mit diesen
Worten eine insgesamt nachtfinstere Zukunft für das Volk Israel. Er lebte um
das Jahr 750 v.Chr. herum, und dunkel war die Zukunft damals in der Tat. Krieg,
Vertreibung und Leben im Exil folgten für die meisten seiner Zuhörer.
Das Besondere
an Amos Worten scheint mir der brüllende Ton zu sein, den Gott selbst anschlägt
und den Amos mit seiner eigenen starken Sprache aufnimmt und wiederholt. „Vom
Zion her brüllt JHWH“, sagt der zweite Vers, und was Adonai zu sagen hat, ist
bis auf fünf kleine Verse am Ende, in denen es Hoffnung gibt, ein einziger Erweis
seines unerbittlichen, herausgebrüllten Zorns.
Die Ausleger
haben sich darum bemüht, die Ursache dieses Zornes irgendwie auch für unsere
Zeit plausibel zu machen. Soziale Ungerechtigkeit herrschte im Land, das ist
wahr. Aber wenn man die acht oder neun Buchseiten in einem Zug durchliest, dann
bleibt der deprimierende Gesamteindruck einer Welt, die von Gott mit allen
Fasern seines Wesens abgelehnt wird. Es geht am Ende nicht nur um grobe Verfehlungen,
etwa dass man Menschen verkauft („den Armen wegen eines Paars Sandalen“) und Bestechung
und Unrecht regieren lässt, es geht um eine stinkend und dekadent gewordene
Lebensweise der Menschen. Da sind Betrunkene, die ihren Rausch neben dem Altar
ausschlafen, da sind Opferfeste, die bei Gott körperliche Übelkeit erzeugen und
die er insgesamt verwirft.
Wir als
Christen haben uns an den wenigen Versen des Amosbuches festgehalten, wo es
etwa heißt, „Suchet mich, so werdet ihr leben.“ Aber in Wahrheit gehen kleine
helle Worte wie dieses unter im Schwall der dunklen brüllenden Worten des
Propheten, etwa wenn er sich darüber beklagt, dass alle die grausamen Strafen
vergeblich waren, die im vierten Kapitel im Einzelnen aufgeführt werden.
Niemand hat darauf mit Umkehr und Buße reagiert. Die Menschen sind in ihrer
Verlorenheit gefangen.
Was können
wir aus diesem Buch gewinnen? Der bekannte Theologe Karl Barth hat die Worte
des Amos zu den stinkend gewordenen Opferfesten in seiner Abschiedsvorlesung zitiert,
um vor einem Zustand zu warnen, wo „Gott sich unserem frommen Werk entziehen
könnte.“
Das ist
leise und milde formuliert, vergleicht man es mit der brüllenden
Rücksichtslosigkeit des Amos. Aber ich habe trotzdem Barths Gedanken nie
vergessen, seitdem ich sie vor vielen Jahren einmal gehört habe (und habe sie jetzt im Internet wiedergefunden). Gott kann sich abwenden, das sollte man
wissen, und wenn er in Zorn gerät, kann er aufbrüllen wie ein Löwe.
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