Ein
in Frankreich lebender Freund schrieb mir vor ein paar Tagen zu Gaza, die
Staatsphilosophie Israels seit dem Krieg von 1967 sei "Entweder wir gewinnen oder wir gehen
unter". Ich glaube, dass dies trotz aller Kürze richtig gesehen ist. Auch Netanyahu
fasst dieses Denken in die griffige Formel: „Wenn die Araber heute ihre Waffen
niederlegen, wird es morgen Frieden
geben. Wenn Israel heute seine Waffen niederlegt, wird es morgen kein Israel
mehr geben.“ Und auch aus dem, was meine israelischen Facebook-Freunde
schreiben, klingt es ganz ähnlich: der Kampf unserer Armee richtet sich gegen
einen Feind, der unsere physische Vernichtung will. Das müssen wir mit allen
Mitteln verhindern.
Der Gedanke an den Holocaust ist allgegenwärtig. Vor dem Hintergrund der Erinnerung daran ist eine Diskussion darüber, ob es bei der Wahl der Mittel irgendwelche moralischen Grenzen geben sollte – etwa die Verhinderung des Todes zumindest von Frauen und Kindern – kaum zu führen. Es wären ja auch im Wissen um das Ausmaß der Vernichtung jüdischen Lebens unter Hitler nach 1940 alle Mittel erlaubt gewesen, den Holocaust zu verhindern, auch eine Atombombe auf Berlin.
Und
da die Hamas – was kaum zu bezweifeln ist – einen Holocaust gleichen Maßes herbeiführen
möchte, darf sie mit allen Mitteln bekämpft werden. Das ist die erste Sichtweise.Der Gedanke an den Holocaust ist allgegenwärtig. Vor dem Hintergrund der Erinnerung daran ist eine Diskussion darüber, ob es bei der Wahl der Mittel irgendwelche moralischen Grenzen geben sollte – etwa die Verhinderung des Todes zumindest von Frauen und Kindern – kaum zu führen. Es wären ja auch im Wissen um das Ausmaß der Vernichtung jüdischen Lebens unter Hitler nach 1940 alle Mittel erlaubt gewesen, den Holocaust zu verhindern, auch eine Atombombe auf Berlin.
Um hiergegen eine zweite Sichtweise überhaupt zu erlauben, muss man als Deutscher die Verpflichtung sehr ernst nehmen, die unser Volk gegenüber Israel hat, und die in der Verhinderung aller Versuche besteht, den Holocaust zu wiederholen. Erst wenn das klar ist, darf man vorsichtig damit beginnen, im Sinne der palästinensischen Opfer zu denken und zu fragen, ob die Staatsphilosophie richtig ist und – falls man auch das bejaht – ob das darin enthaltene einfache „Entweder / Oder“ zu vernünftigen und angemessenen politischen Entscheidungen führt.
Wenn
diese Frage nicht verboten ist, dann kommt das Missverhältnis in den Blick, das
zwischen der Unfähigkeit der Palästinenser in Gaza, aus ihrer Armut geboren, auf
der einen Seite und ihrem selbst vorgegebenen riesigen Ziel der Vertreibung oder Vernichtung
der Israelis auf der anderen Seite besteht. Sie haben in den letzten Jahren
Israel keinen nennenswerten Schaden zufügen können. Zwar hat es auch in Israel
Tote gegeben – und jeder Tote ist ein großes Unglück – aber es erscheint einer
kritisch zuschauenden Weltöffentlichkeit immer schwerer erklärbar zu sein,
wo der gefährliche und mit allen Mitteln zu bekämpfende Versuch zu erkennen ist, den Holocaust zu wiederholen.
Man
muss daraus schließen, dass man zwar die Staatsphilosophie des „Entweder /
Oder“ bejahen, trotzdem aber Zweifel hegen kann, ob es ratsam ist, ihr mit
allen militärischen Machtmitteln zu folgen. Ich sehe die Menschen in der eher
unbeteiligten Welt – es gibt ja nicht nur die USA, Deutschland und die NATO,
die Israel immer aus Prinzip unterstützen, weil es eine ihnen gleiche offene Demokratie hat – und ich sehe bei diesen
Unbeteiligten nicht die Bereitschaft, die Staatsphilosophie Israels zu verstehen
und zu akzeptieren. Vermutlich kennt kaum jemand etwa in Indien oder Brasilien
diese Philosophie. Aber kaum jemand dort vergisst die grausamen Bilder aus
Gaza, die das Internet täglich liefert. In den Augen dieser Menschen – und ich würde sie auf Milliarden rund um den Globus schätzen – könnte Israel seinen Krieg in den nächsten Tagen moralisch endgültig verloren haben. Israel geschähe dann das, was seine Staatsphilosophie vermeiden will: es ginge unter – nicht im Sinne einer physischen Vernichtung, aber im Sinne eines aus dem Respekt der Völkergemeinschaft herausfallenden Nation.
Wenn
man diese Gefahr anerkennt, dann ist Kritik am Vorgehen in Gaza erlaubt. Ein
Vorgehen, das die Gefahr eines zweiten Holocausts der Weltöffentlichkeit nicht
begreifbar machen kann und das trotzdem keine Rücksicht auf Frauen und Kinder in
Gaza nimmt, ist – wie es der Pariser Polizeichef Joseph Fouché über die von
Napoleon angeordnete Hinrichtung eines Gegners gesagt hat – „kein Verbrechen,
es ist mehr: es ist ein Fehler“.
Dies ist die zweite Sichtweise. Welche richtig ist, wird sich zeigen, wenn die Weltöffentlichkeit reagiert.
P.S. Kurz nach dem Verfassen dieses Artikels lese ich, dass Brasilien seinen Botschafter aus Tel Aviv zurückgerufen hat, aus Protest gegen die Gewalt in Gaza.
1 Kommentar:
Man hat allerdings nicht den Eindruck, daß die Hamas mit ihren Leuten im Gazastreifen auch nur so schonend umgeht wie die Israelis. Während die Israelis immerhin warnen vor dem Beschuß, verstecken sich die Hamasleute unter den Zivilisten.
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