Mittwoch, 24. Dezember 2014

Ein Imam spricht an Weihnachten in einer evangelikalen Kirche


Kirche Nr. 5 in meiner Internet-Kirchenreise zu acht Kirchen in fünf Kontinenten
Dr. Maurice Sameh
Es hat mich vor einigen Jahren erstaunt zu hören, dass die von dem US-Amerikaner Billy Graham 1974 gegründete Lausanner Bewegung für Weltmission bei ihrer Konferenz in Thailand 2004 von einer Gruppe internationaler Christen geleitet wurde, von denen nur noch einziger Amerikaner war. Die Amerikaner hätten die Leitung solcher Gremien weitestgehend aus der Hand gegeben, sagte mir ein Bekannter, der in Thailand gewesen war. Führende Männer und Frauen in der Lausanner Bewegung seien jetzt Menschen von außerhalb der westlichen Welt, unter denen besonders der ägyptische Arzt und Pastor Dr. Maurice Sameh herausrage.
Später sah ich Bilder von Dr. Samehs Kirche in Kairo, wie sie zur Weihnachtszeit 2012, während der Präsidentschaft von Mohammed Mursi, den Imam der altehrwürdigen Azhar Moschee zu Besuch hatte und ihm die Kanzel für eine warmherzige Friedensbotschaft überließ, enthusiastisch gefeiert  von einer großen Menge von Zuhörern.



Nun wäre ein solcher Auftritt vielleicht nicht erstaunlich, wenn Dr. Samehs Kirche zum liberalen Weltbund der schrumpfenden Mainstream-Kirchen gehören würde, bei dem interreligiöse Veranstaltungen nicht ungewöhnlich sind. Aber seine Kirche gehört zum evangelikal-pfingstlerischen Flügel der Christenheit. Die Videos, die man von den sonntäglichen Gottesdiensten der Kasr El-Dobara Church im Internet anschauen kann, führen in eine Welt, in der überraschenderweise ein frommes Arabisch nicht vom Minarett herunter sondern in Begleitung eines Synthesizers erklingt, der dem kehligen Arabisch westliche "Praise"-Musik unterlegt. Zu einer solchen Musik würde man bei uns eigentlich eine konservative, sich gegenüber anderen Glaubensrichtungen abgrenzende Haltung erwarten. Nicht so in Kairo.
Mitten in der ägyptischen Hauptstadt kann sich eine Kirche eine solche Haltung kaum leisten, und deshalb hat Pastor Sameh seine Gemeinde im Revolutionsjahr auch zu einer energischen Aktion des Fastens und Betens aufgerufen, bei der das Kommen des Reiches Gottes - prominente Bitte im Vaterunser - im Mittelpunkt steht, bei der diese Bitte aber mit dem Wunsch nach einem radikalen Umbruch der ägyptischen Gesellschaft verbunden wird. Pastor Sameh lehrt, dass jeder Schritt im Wachstum des Gottesreiches auch ein Schritt zur Befreiung Ägyptens ist. In einem Fernsehinterview mit einem amerikanischen Sender erklärt er, wie seine Gläubigen einen Gebetsraum mit wechselnden Teams rund um die Uhr besetzen und sich in der inneren Freiheit, die sie im Gebet erleben, auf die äußere Freiheit vorbereiten, die sie sich jahrelang ersehnt haben.
Viele von ihnen fasten, und der Pastor erklärt sehr sympathisch, dass das in einer Umwelt, in der das Fasten, bei den Muslimen aber auch in der Tradition der alten orthodoxen oder koptischen Kirche, zur allgemeinen Lebensgewohnheit gehört, relativ einfach ist. Man kann solche Traditionen in Freiheit übernehmen, denn diese Kirche grenzt sich nicht ab, sondern erkennt unter den muslimischen Nachbarn und Freunden eine große Schar von Menschen ähnlicher Gesinnung. Ihnen allen wird das Kommen des Reiches Gottes unterschiedslos von Nutzen sein, da ist sich Pastor Sameh sicher.
Für die muslimischen Freunde hat man einen Service eingerichtet: während des Ramadan kann man das Abendessen zum Fastenbrechen (Iftar) auch in der Kirche einnehmen. Ein Angebot, von dem offenbar viele Muslime gerne Gebrauch machen sagt ein Bericht aus dem Sommer 2014.
Wenn man im Internet weiter nach dem Verhältnis der Christen im Nahen und Mittleren Osten zu ihren muslimischen Nachbarn forscht, so findet man erstaunliche Dinge. Christianity Today berichtet von Gesprächen zwischen hochrangigen Vertretern des Islam und des Christentums, bei denen es darum geht, die fanatischen Muslime von ISIS als gemeinsame Gefahr zu erkennen. Der Bischof der jordanischen Lutheraner geht so weit zu sagen „Wir Christen müssen eine Stimme für den Islam sein. Wir dürfen nicht erlauben, dass der Westen Isis oder die Muslimbrüder oder andere wie sie als das Gesicht des Islam ansieht.“ Ein anderer sagt: "Wenn du ein evangelikaler Christ bist, der islamophob ist, wirst du in ISIS das erkennen, was du immer schon geglaubt hast. Wenn du muslimische Freunde hast, wirst du ISIS als einen Irrweg ansehen.“ Der Mitarbeiter einer dänischen Mission äußert die Hoffnung, dass die Rettung der Christen im Mittleren Osten von einem einzigen Personenkreis bewirkt werden kann: den moderaten Muslimen.
(Es lohnt sich, das den gesamten Artikel von Christianity Today zu lesen.)
Pastor Sameh berichtet davon, wie seine Gemeindemitglieder unter Tränen für ihre Nation beten. Solange solche Gebete in den Himmel steigen, sollten wir im Westen den arabischen Frühling nicht aufgeben.
Mein nächster Besuch wird mich ins Kernland der evangelikalen Pfingstkirchen führen, nach Brasilien. Dort hat man den Tempel Salomos nachgebaut, vier mal so groß wie im Original.

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