Mein Jahr
begann mit dem Vorsatz, den ich in einer alten Sendung der BBC
gefunden hatte: die Menschen anzufassen, ihnen die Hand zu geben, ihnen nahe
zu sein. So wie ich den alten BBC-Film bei YouTube sah, wirkte er eigenartig und irgendwie außerhalb der Zeit: ich sehe einen Wissenschaftler namens Dr. Jacob Bronowski,
wie er in einer Pfütze in Auschwitz steht, mit einer Hand voll schwarzem
Schlamm vom Grunde der Pfütze, der Asche seiner Vorfahren, wie er sagt, und wie
er weiter sagt, dass es nur
ein einziges Mittel gibt, die todbringende Überheblichkeit des einen Menschen über den anderen zu durchbrechen: we have to touch People (im Video bei Minute 2:18).
ein einziges Mittel gibt, die todbringende Überheblichkeit des einen Menschen über den anderen zu durchbrechen: we have to touch People (im Video bei Minute 2:18).
Das Familienoberhaupt der Beduinen und seine kleine Tochter |
Dass Gott
der Welt nahe ist, weil er beständig in ihr wohnt, habe ich im weiteren Verlauf des Jahres in einem
komplizierten, mir nicht in allen Teilen verständlichen Buch über den Philosophen Hegel nachlesen können, das mich mit seiner erkennbaren Grundüberzeugung vom in der Schöpfung wirkenden Weltgeist letztlich in meinem Glauben bestärkt hat. Der Autor des Buches ist
der kanadischen Philosoph Charles Taylor, der außerdem ein
großes Buch über das "Säkulare Zeitalter" geschrieben hat, das in der zweiten
Jahreshälfte mein Lesen und Denken dann sehr stark bestimmt hat.
Gott ist in
der Welt, aber wenn Charles Taylor und andere Recht haben, dann haben sich
Gottes Gedanken so sehr in das allgemeine Weltverständnis des modernen Menschen
eingesenkt, dass er am Ende glaubt, sein Leben ohne Gott führen zu können.
Taylor schreibt im Detail darüber, wie die große, verändernde Kraft des Glaubens den
Menschen zunächst half, aus alten Belastungen und Bindungen zu entkommen, wie
deren Kinder und Enkel dann allerdings nicht mehr verstehen konnten, warum ihre
Vorfahren den Glauben mit einer so immensen Intensität gelebt haben.
Mit einer
vagen Vorstellung von Charles Taylor bin ich im August zur Hochzeit meiner
jüngsten Tochter nach Sachsen-Anhalt gefahren und habe mich von der sehr liebenswürdigen Verwandtschaft meines Schwiegersohnes David - säkulare Menschen
sie alle, viele mit einer tiefen Verwurzelung in der alten DDR - anrühren
lassen und gleichzeitig versucht, sie meinerseits mit einer von Taylor
inspirierten Rede anzurühren.
Die Hochzeit
wurde im Havelland gefeiert, drei Tage lang, und war ein großes, versöhnliches
Fest, auf dessen Höhepunkt sogar eine kirchliche Trauung möglich war - die
erste seit vielen Jahren in der kleinen, fast verlassenen Kirche des Dorfes.
Von Charles
Taylor ein wenig angefeuert habe ich mich im Oktober dann auf das Wagnis
eingelassen, mit meinem Vetter Martin Bohle in einen öffentlichen, in meinem Blog nachzulesenden Briefwechsel zum Thema Atheismus und Gaube einzutreten. Der
ganz große Friedensschluss, den Charles Taylor für möglich hält, weil alle
modernen Menschen zunächst einmal in einem weitestgehend ohne Gott gedachten
"immanenten Rahmen" leben, ist es nicht geworden, aber wir haben uns
später auf der Beerdigung von Martins Vater, meinem Onkel Manfred, doch noch
einmal Worte des Friedens gesagt. We have to touch people (and let them touch us).
Gottesdienstbesucher in Accra, Ghana |
Eins meiner
schönsten Leseerlebnisse war die Wiederbegegnung mit meinem Lieblingsautor John
Updike. Über sein Leben ist sieben Jahre nach seinem Tod eine erste große Biografie
erschienen. Darin findet sich ein wunderbares Zitat über die Versöhnung
zwischen dem Glauben an Gott und der realistischen Einsicht, dass wir alle
triebgesteuerte Menschen sind. Ich hatte schon im Beduinendorf von Rashayada
viel über die Auswirkungen des dort unmittelbar erlebbaren Gotteswortes „seid
fruchtbar und mehret euch" nachdenken können. Bei Updike fand ich dann den
Gottesbezug zu unserer Sexualität noch einmal auf eine zusammenfassende Formel gebracht: in der
begehrenswerten Schönheit eines menschlichen Körpers gibt es eine Stelle, an
der die Gnade Gottes sitzt. ...it is here that grace sits and rides a woman's body.
Möge die
Gnade der göttlichen Gegenwart uns und unsere Welt niemals verlassen. Das ist
mein Wunsch für das Jahr 2015.
In 2014
wurden in meiner Familie zwei weitere Enkelkinder geboren, das war eine große
Freude. Den Tod vieler Kinder beim Bombardement von Gaza habe ich als großes Unrecht
erlitten und den Glauben an Israels heilsgeschichtliche Sendung verloren, auch
das war ein tiefer Einschnitt in mein Denken. Aber an Gottes liebevoller Gegenwart in der
Welt will ich festhalten - um meiner Enkelkinder willen und um all der Menschen willen, die noch lange nach mir auf der Erde leben werden.
1 Kommentar:
...it is here that grace sits and rides a woman's body - Eine Stufe säkularer bei Italo Svevo: Le donne belle sembrano sempre dapprima intelligenti. Den Begriff der Intelligenz muß man nahe bei dem der Gnade sehen.
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