Montag, 24. April 2017

Fluch und Segen



Chorazin
Unweit von unserem Ferienort hat man die Reste der alten Stadt Chorazin ausgegraben. Sie liegt auf einer Anhöhe über dem See Genezareth und sieht mit ihren Trümmern aus schwarzen Basaltsteinen so gespenstisch aus, als wirke der alte Fluch, den Jesus über diese Stadt verhängt hat, bis heute nach.

Wehe dir, Chorazin! Weh dir, Betsaida! Wären in Tyrus und Sidon die Taten geschehen, die bei euch geschehen sind, sie hätten längst in Sack und Asche Buße getan. Doch ich sage euch: Es wird Tyrus und Sidon erträglicher ergehen am Tage des Gerichts als euch.
(Matthäus 11, 21-22)

An den kunstvoll behauenen Kapitellen und Friesbändern erkennt man die Geschicklichkeit der damaligen Bauleute, die aus diesem so schwer zu bearbeitenden schwarzen Material ganz ähnliche Ornamente herausgeschlagen haben wie ihre Kollegen, die anderswo weißen Marmor zu bearbeiten hatten. Die Stadt muss in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung eine lange Blütezeit gehabt haben, bevor sie nach und nach aufgegeben wurde und verfiel. Als die ersten deutschen Archäologen um 1900 anfingen, sich erneut für die Stadt zu interessieren, hatten Beduinen dort ihre Zelte aufgeschlagen.

Man hat jetzt unter den Trümmern ein größeres Gebäude rekonstruiert und weist es als die frühere Synagoge aus. Im Stil der damaligen Zeit sehen die Bauteile alle sehr griechisch aus. Verwunderlich ist das Gesicht einer Meduse in einem der Steinfriese. Was hat diese griechische Göttin des Entsetzens in einem jüdischen Heiligtum zu suchen?


Domus Galilaeae
Nicht weit von Chorazin entfernt liegt, ebenfalls auf einer Anhöhe über dem See, ein rechter Segensort: das Domus Galilaeae, ein modernes katholisches Bildungszentrum, das von Papst Johannes Paul II. im Jahre 2000 eingeweiht wurde. Es war ihm wohl ein Herzensanliegen, die Bildung von jungen Priestern und ihre Begegnung mit Gott an das Heilige Land anzubinden. 

Er sagte ihnen zur Einweihung ein Wort, das man in großen Buchstaben über den Eingang geschrieben hat

Il Signore vi stava aspettando su questo Monte

Der Herr hat euch auf diesem Berg erwartet

Die Räume sind von einer fast übernatürlichen Schönheit, besonders wenn sie das weite Panorama des Sees mit einbeziehen. Am erstaunlichsten fand ich eine große Bibliothek, in deren Mitte auf einem mit feinem Tuch ausgeschlagenen Pult eine große Thorarolle lag. 


Bibliothek mit Thora
Ja, der polnische Papst wollte zu den jüdischen Wurzeln des Glaubens zurück. Der junge Bruder Aldo, der uns durch die Räume führte, sagte uns, dass die meisten auswärtigen Besucher Israelis seien, nicht Christen. 

Auf dem Gelände leben permanent etwa 100 Seminaristen, die sich darauf vorbereiten, in aller Welt Priester zu werden. Ob man als 68-jähriger Baptist hier ein Semester studieren könne, frage ich zum Abschied Bruder Aldo. Nein, sagt er lachend, man müsse schon katholisch sein!

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