Dienstag, 5. September 2017

Militär und Homosexualität

Potsdam

Sanssouci
Als ich im vergangenen Jahr zum ersten Mal Sanssouci besuchte, war mir beim Herausgehen aus dem Schloss vollkommen klar, dass hier ein homosexueller König residiert hat.

Das Innere des Hauses hat keinerlei Spuren weiblicher Wesen, die hier je gelebt haben könnten. Man weiß, dass die Friedrich dem Großen angetraute Königin getrennt vom König in einem eigenen Schloss lebte.


Man weiß auch, dass es hinter dem spartanisch eingerichtetem Schlafzimmer des Königs mit seinem berühmten harten Feldbett eine Bibliothek gab, die für alle Fremden streng abgesperrt war. Nur der König und sein getreuer Kammerdiener Fredersdorf hatten hier Zutritt. Die beiden hatten sich als junge Männer beim Flötenspiel kennengelernt, und Voltaire war so frei, über Fredersdorf zu spotten, er sei in Sanssouci in etwa das, was die Madame Pompadour in Versailles war.

Büste im "Mohrenrondell"
Im starken Gegensatz zu der Frauenfeindlichkeit, was die Gäste des Schlosses betrifft, ist das gesamte wunderbare Musikzimmer und auch der äußere Park mit einer Unzahl von nackten Frauenleibern ausgeschmückt worden. Man weiß nicht, für wen der König diese erotischen Figuren hat anfertigen lassen, Man denkt an Voltaire, der zwei Jahre hier lebte, und an die hochkarätigen Männerrunden, die wohl kaum ausschließlich homosexuell besetzt waren. Oder hat Friedrich die Frauenliebe nur als Ausdruck eines allgemeinen Prinzips ins Bild gesetzt. Es ist schwer zu sagen.

Beachtenswert ist, dass zu Friedrichs Zeiten ein weiterer preußischer Soldat zu Weltruhm gekommen, der nach meinem Eindruck ebenso homosexuell war wie Friedrich auch. Es ist der Baron von Steuben (1730 bis 1794), der große Organisator von Washingtons Befreiungsarmee in den Vereinigten Staaten. In der Schlossstraße fand ich gestern das große Standbild des genialen Ordners im amerikanischen Durcheinander der Jahre 1775 und später.

Steuben
Steuben war Offizier in der Armee Friedrich des Großen und kam auf Vermittlung Benjamin Franklins, aber wohl auch ein wenig auf der Flucht vor seinen Feinden, im Jahre 1777 nach Amerika, wo er bald zum wichtigen Organisator einer umfassenden Heeresreform wurde, ohne die es den Truppen George Washingtons kaum möglich gewesen wäre, den Unabhängigkeitskrieg 1779 erfolgreich zu beenden.

Er muss eine unsägliche Unordnung im amerikanischen Heer angetroffen haben, einen wilden Haufen von Freischärlern und bäuerlichen Draufschlägern. So sah sich Steuben unter anderem genötigt, eine Vorschrift für Zeltlager zu erlassen, die noch über 100 Jahre danach gültig war: der Platz für die Kantine und der Platz für die Latrine mussten getrennt und auf je entgegengesetzten Seiten des Lagers angelegt werden. Die Latrine musste dabei möglichst weit zum Tal hin ausgehoben werden.

Auch der Umgang mit Bajonetten wurde unter Steuben neu eingeübt. Bislang hatte man die langen Messer auf der Spitze der Gewehre überwiegend zum Braten von Fleisch am Lagerfeuer benutzt, ihre militärische Wirkung im Kampf Mann gegen Mann aber kaum genutzt.

Steuben hat für vier verschiedene Länder gekämpft, Preußen, Württemberg, Frankreich und die USA. Er war dafür bekannt, an allen Orten hohe Schulden zu hinterlassen. Am Ende seines Lebens musste er ein großes Landgut verkaufen, das ihm zuvor der amerikanische Staat aus Dankbarkeit geschenkt hatte.

Ihm folgte überall der Ruf nach, homosexuell zu sein. Man vermutet, dass sowohl der Abschied aus den Diensten Friederichs als auch der Abschied von Württemberg erzwungen wurde, nachdem die Gerüchte von seinen männlichen Liebschaften nicht mehr zurückzudrängen waren.

Die Amerikaner haben die Frage offenbar pragmatisch angepackt und ihr puritanisches Auge blind gestellt. Sie feiern Steuben und mit ihm sein mustergültiges Deutschtum bis heute mit der traditionellen Steubenparade in New York.

Mit Friedrich dem Großen und dem Baron Steuben haben wir zwei Männer vor uns, die männliche Züge nicht nur mit Freude und mit Liebe angesehen, sondern sich ihrer auch mit großer Energie und Zielstrebigkeit bedient haben. Sie konnten Männerorganisationen zusammenschweißen, in eine gemeinsame Aktion lenken und nötigenfalls auch lebensgefährliche Anordnungen treffen.

Wie hängt das zusammen, die Liebe zu Männern und die enorme Kraft, männliche Truppen zu führen? Man weiß, dass es eine Art von spontaner Homosexualität in solchen Teilen der Armee gibt, wo Menschen für lange Zeit in kleinen Gruppen und allein auf sich gestellt aushalten und kämpfen müssen.

Im Park von Sanssouci
Es ist aber ebenso vorstellbar, dass sich ein Mensch sozusagen in den Typ einer Menschengruppe verliebt, wenn dieser Gruppe sein ganzes Interesse gilt, hier also den Soldaten? Für die Zusammenarbeit der beiden ist das ebenso förderlich, wie etwa die Hochzeit des deutschen Botschafters in Tokio mit einer Japanerin.

Erinnert sei an dieser Stelle noch an das 1907 erschienene Gedicht Jenseits des Tales standen ihre Zelte (Text von Börries Freiherr von Münchhausen, Melodie von Robert Götz 1920). Einige haben es als „Das Lied vom schwulen König“ verächtlich gemacht, die Nazis haben es kaum je singen lassen, auch wenn man es früh durch Umstellung einiger Worte entschärft und zu einem der bekanntesten Volkslieder gemacht hat. Noch andere haben den Text umgedichtet und ein christliches Lied daraus gemacht.

Wikipedia hat den folgenden Originaltext:

1.
Jenseits des Tales standen ihre Zelte,
Zum roten Abendhimmel quoll der Rauch.
Das war ein Singen in dem ganzen Heere,
Und Ihre Reiterbuben sangen auch.

2.
Sie putzten klirrend am Geschirr der Pferde,
her tänzelte die Marketenderin.
Und unterm Singen sprach der Knaben einer:
"Mädchen, du weißt, wo ging der König hin?"

3.
Diesseits des Tales stand der junge König
Und griff die feuchte Erde aus dem Grund.
Sie kühlte nicht die Glut der heißen Stirne,
Sie machte nicht sein krankes Herz gesund.

4.
Ihn heilten nur zwei knabenfrische Wangen
Und nur ein Mund, den er sich selbst verbot.
Noch fester schloss der König seine Lippen
Und sah hinüber in das Abendrot.

5.
Jenseits des Tales standen ihre Zelte,
Zum roten Abendhimmel quoll der Rauch.
Und war ein Lachen in dem ganzen Heere
Und jener Reiterbube lachte auch.


Die Interpretation sagt, dass der König dem Liebeswerben der vulgären Marketenderin ausgewichen und auf die andere Seite des Tales gewechselt ist. Seine Liebe gilt einem der Reiterbuben. 

Romantischer als hier ist eine solche Liebe einem eingefleischten Heterosexuellen wie mir wohl nie nahe gebracht worden.

3 Kommentare:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Bei dem Thema kann man Sparta, als die Urquelle sozusagen, nicht außer Acht lassen.

Astridka hat gesagt…

Ein interessanter Post über ein Lied, das ich gar nicht kannte, aber über die Beschäftigung mit einem Frühlingsgedicht von Münchhausen gestolpert bin. Und da es mir ähnlich beim Lesen des Textes ähnlich gegangen ist, wie im letzten Absatz des Posts formuliert, hinterlasse ich einen Kommentar. Liebe kennt keine Grenzen...
Einen schönen Maifeiertag!
Astrid

Christian Runkel hat gesagt…

Vielen Dank, Astrid!