Mittwoch, 25. Juni 2008

Fußball III: Türkei gegen Deutschland



Vor dem Türkei-Spiel heute abend soll an die vielen Zeichen der Verbundenheit zwischen Türken und Deutschen erinnert werden, die in diesen Tagen überall auftauchen. Am besten gefällt mir das Bild von den verknoteten Fahnen beider Länder, das die New York Times heute brachte.

Schön auch die türkische Version der deutschen Nationalhymne "Aynischkayt un Räscht un Firayhayt", die mein Neffe Lukas auf dem mp3-Player hatte. Türkische Musik dazu:



Was den Abend betrifft, so hatte ich Necattin Topel, einen türkischen Apotheker aus Solingen zum Fernsehgucken bei mir zu Hause eingeladen, aber er hat die Einladung herumgedreht, und so werde ich den Abend in Solingen verleben, in einem türkischen Verein, zusammen mit türkischen Jugendlichen.

Sonntag, 15. Juni 2008

Fußball II: Als Auslandskorrespondent tätig




In Istanbul betreibt mein Freund Erkan Saka einen vielbesuchten Blog. Ich lernte diesen Blog und später in Istanbul dann auch Erkan selbst kennen, nachdem ich bei der Vorbereitung unserer Türkei-Reise 2007 bei Google die Worte "istanbul" und "blog" eingegeben hatte. Nun hat Erkan mich zum zweiten Mal eingeladen, einen Gastbeitrag für seinen Blog zu schreiben, und ich habe meine bewährte Übertreibungstechnik eingesetzt, um aus der laufendes Europameisterschaft und dem "End of History" eine einheitliche Idee zu entwickeln.

Das Ergebnis steht seit heute in Erkans Blog.

Sonntag, 8. Juni 2008

Fußball I: Welttheater





Ich gestehe hiermit offiziell , daß ich den Plan* habe, mir alle 31 Spiele der Europameisterschaft im Fernsehen anzuschauen, die vier Spiele ausgenommen, die man nicht komplett life sehen kann, weil sie am Ende der Gruppenphase parallel ausgetragen werden. Meine Arbeitsrückstände im Büro sollen mich nicht davon abhalten (die 18-Uhr-Spiele will ich im Büro sehen und dabei weiterarbeiten), allenfalls ein Familientreffen am zweiten Wochenende der Europameisterschaft, wo ich aber auf Vettern und Cousinen hoffe, mit denen man sich zum Viertelfinalspiel Nr. 3 (mein Tip: Italien gegen Schweden) in ein Seitenzimmer mit Fernsehgerät wegstehlen kann.

Große Fußballturniere mit Nationalmannschaften sind für mich die Orte, an denen sich die Herzen der Menschen auf unvergleichliche Weise friedlich miteinander vereinen. Dabei denke ich weniger an die bunten Massen von Fans, die sich so verkleidet und bemalt haben, daß sie wie ein afrikanischer Medizinmann in die Lage versetzt sind, den Ball ins gegnerische Tor zu zaubern. Ich denke mir eher eine Bäurin im Berner Oberland, die gestern auf ihrem alten Fernseher wieder und wieder die Szene ins Haus gespielt bekam, in der eine kleine Stelle im rechten Knie des Schweizers Alexander Frei verletzt wurde. Die Tränen des Mannes haben Millionen Schweizer ganz tief in ihren Herzen geteilt, und der Rest der Welt hat wie ich einen Moment innegehalten und gesagt "Die armen Schweizer!"

Aber dann später auch der Jubel der Portugiesen, das Elend der unter Preis verkauften Türken - das alles hallt wie ein Echo um die ganze Welt. Und ich sitze mitten in dieser Welt, lasse das Echo von den Bergen widerhallen und freue mich daran.

Das Bild ganz oben zeigt ein von mir verwaltetes Haus mit den Fahnen von Polen, Deutschland und der Türkei. Im Hintergund sieht man auch Kroatien. Auf anderen Seiten der Häuser war Griechenland, Spanien und Portugal zu sehen, das ging nicht alles aufs Bild.

* ihn aber nach drei Tagen als unrealistisch aufgegeben habe, arbeiten und fernsehen geht nicht parallel, also will ich bei den meisten 18-Uhr-Spielen doch lieber arbeiten.

Sonntag, 1. Juni 2008

Enthusiasmus als Lebensprinzip











Vor etwa zwei Jahren ist im Spiegel ein Interview erschienen, in welchem eine amerikanische Professorin, Kay Jamison, über ihre Erfahrungen mit Depressionen berichtet hat. Sie ist in ihrer Heimat eine angesehene Person, weil sie ihre psychologischen Theorien nicht nur lehrt (an der John Hopkins University in Baltimore und an der University of St Andrews in Schottland), sondern sie auch mit ihrem eigenen Leben und Leiden bestätigt. Das Interview trug den Titel "Champagner der Gefühle" und beschrieb das Besondere der Erfahrungen von Kay Jamison: sie war in die finstere Nacht einer Depression abgestürzt, nachdem sie lange Zeit auf den hellen Höhen eines stark von Enthusiasmus geprägten Lebens gelebt hatte.

Sie beschreibt diesen Enthusiasmus als eine häufig anzutreffende Charaktereigenschaft, die man vielleicht besonders in den USA findet, aber sicherlich nicht nur dort, und sie nennt prominente Beispiele wie die Präsidenten Bill Clinton und Teddy Roosevelt. Und sie erzählt von sich selbst und ihrem eigenen Enthusiasmus.

Enthusiasten (im Bild auf dem Pferd der Präsident Roosevelt) erleben an jedem Tag etwas Besonderes. Sie haben die Fähigkeit, in den Begegnungen mit anderen Menschen immer wieder etwas Einmaliges und Spezielles zu sehen und dem Gegenüber das Gefühl zu geben, daß es ein Glück ist, mit ihm in diesem Moment zusammen zu sein. Jamison liebt den Begriff "Enthusiasten" und erwähnt, daß er sich etymologisch wohl auf "en theos", in Gott, zurückführen läßt. Damit weist Enthusiasmus auf eine Art von göttlichem Funken im Wesen des Begeisterten hin.

Daß gerade solche Menschen in die Tiefen einer Depression abstürzen können, ist für einen Menschen wie mich, der gerne an die Möglichkeit einer göttlichen Inspiration für jeden Menschen glauben möchte, ein schwer erträglicher Gedanke. So habe ich ihn in den Monate nach dem Lesen des Artikels immer wieder in meinem Kopf hin und her gewälzt, und habe an die Zahl von christlichen Enthusiasten in meiner Verwandtschaft gedacht und daran, wie der eine oder andere unter ihnen tatsächlich depressive Phasen in seinem Leben überstehen mußte. Warum war das so, und war es unausweichlich?

Wenn es Gott gibt und wenn er einzelne Menschen, viele, möglicherweise alle, mit einem solchen Funken seiner kreativen Macht ausstattet, dann, so habe ich gedacht, ist der Absturz in eine Depressionen eine häßliche Nebenwirkung dieser Macht, und man könnte geneigt sein, sich ein Leben zu wünschen, das niemals mit ihr in Berührung kommt.

Im Gespräch mit einem psychologisch ausgebildeten Fachmann, der nicht an einen göttlichen Funken im Menschen glaubt, habe ich dann später auch eine andere, säkulare Erklärung bekommen, die das von Jamison beschriebene enthusiastische Verhalten auf eine "narzißtische Kränkung" zurückführt und nicht auf eine göttliche Inspiration. Vereinfacht gesagt hat hier wohl eher eine mißgünstige Mutter dem kleinen Kind einen Löffel weggenommen (und damit eine selbstverliebte Gegenreaktion hervorgerufen) als daß eine Gottheit ihm an seiner Wiege einen besondern Glanz über seinem Leben verheißen hat. Ich mag diese Erklärung nicht besonders, weil sie, wie alle materialistischen Erklärungen, der Welt etwas von ihrem Zauber nimmt.

Ich habe dann über das alte gnostische Weltsystem nachgedacht, das sich auf die Vorstellung gründet, Gott habe die Menschen tatsächlich mit kleinen Funken, die aus einem großen Urfeuer stammen, in die Welt entlassen und sorge sich darum, daß diese Funken nicht verglimmen. Er schickt in der Folge einen Erlöser in die Welt, dessen Aufgabe darin besteht, die verstreuten Funken erneut zu einem großen Feuer zu versammeln, denn nur in der Gemeinsamkeit und räumlichen Nähe der vielen Funken kann sichergestellt werden, daß jeder einzelne Funke sein Feuer behält. Die Gnostiker haben sich mit solchen Gedanken meist am Rande der Kirche bewegt, weil man ihnen darin nicht folgen wollte, daß es eine von Gott geschaffene Welt gibt, die den göttlichen Funken feindlich gegenüber steht. Trotzdem hat man die Gedanken der Gnostiker sicherlich nicht immer nur ungern gehört, besonders dann, wenn sie liebevoll-milde und eher in Andeutungen anklangen, wie etwa im Johannes-Evangelium*.

Vielleicht gilt für die mythischen Bilder der Gnostiker ganz allgemein das, was der Papst in seinem Jesus-Buch über alle Mythologien gesagt hat: sie warten auf ihre Erfüllung in Christus. Deshalb beanspruche ich vorsichtig das Recht, weiter ein wenig gnostisch glauben zu dürfen und also anzunehmen, daß der Enthusiasmus als Charaktereigenschaft, die auf einen göttlichen Funken zurückgeht, eine positive menschliche Möglichkeit ist, in dieser Welt zu leben. Daß sie gleichzeitig eine Gefährdung begründet, macht sie nicht wertlos, im Gegenteil.

Noch später dann habe ich den Ansatz für einen Ausgleich gefunden zwischen gnostischen Hoffnungen und ihren Enttäuschungen in der Realität. Er findet sich in der Bibel an einer prominenten Stelle**, an der vorhergesagt wird, wie der endzeitliche Messias handeln wird, um das menschliche Dasein zu bewahren und zu schützen. Ganz ähnlich wie in den gnostischen Vorstellungen ist auch hier von einem verlöschenden Feuer die Rede, aber anders als bei den Gnostikern geht es nicht um eine rettende Sammlung der versprengten kleinen Lichter, sondern eigentlich nur um ihrem Schutz. Und selbst diese Aussicht auf Schutz wird nur andeutungsweise und ohne messianische Glorie zugesagt: "Den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen“, so schreibt Jesaja etwa 600 v. Chr. über den „Gottesknecht“, eine eigenartig messianische Gestalt, die bisweilen selbst zu schwächeln scheint und in ihrer Erscheinung viele Deutungen zuläßt.

Wie auch immer man den Knecht ansehen mag, viele Generationen von Menschen, die Jesajas Worte später in den unterschiedlichsten Krisen ihres Lebens gelesen haben, fanden eine Art von Garantieerklärung in dem Gedanken an ihn. Sie glaubten, daß Gott den Kern ihrer Existenz unangetastet und geschützt erhalten wird, möglicherweise über ihr physisches Ende, ja ihre Vernichtung hinaus.

Im Lichte von Jesaja möchte ich am Ende also den Enthusiasmus als ein Lebensprinzip ansehen, dessen Ursprung auf göttliche Grundrechte zurückgeht, die er jedem Leben auf dieser Welt mit auf den Weg gegeben hat. Daß der Bruder Enthusiasmus immer wieder mit der Schwester Melancholie im Gefolge auftritt, gehört vielleicht zu den Geheimnissen, mit denen der Schöpfer diese Welt im Gleichgewicht hält.


* in Johannes 12, 32 "Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen", oder in Kapitel 10,27 "Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir."

** In der ersten von vier Reden über den endzeitlichen Gottesknecht, Jesaja 42:
1 Siehe, das ist mein Knecht - ich halte ihn - und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen.
2 Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen.
3 Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus.
4 Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte; und die Inseln warten auf seine Weisung.

Samstag, 26. April 2008

Jesus and John Wayne



So liebe ich meine frommen Brüder aus den USA, wenn sie Lieder wie das folgende singen und darin ihre inneren Widersprüche mit einem guten Schuß Ironie auf den Punkt bringen.

Eine Heilige als Mutter (eine wie Jesus) und ein Rauhbein als Vater (einer wie John Wayne) - das ergibt im Sohn der beiden, der das Lied singt, eine lebenslange Spannung. Natürlich ist sie fruchtbar - u.a. im Erlernen einer ausgesprochen feministischen Sichtweise, denn "to be more like you Lord" geht natürlich hin zur Mutter.






Gesungen wird das Lied (das ich weiter unten* auch übersetzt habe) auf dem neuen Album der "Gaither Vocal Band", einem bekannten Männerquartett aus den Südstaaten der USA. Der Stil ist (hier kann man ein 30-Sekunden-Hörbeispiel finden), wie es sich gehört, Country and Western.

Daddy was a cowboy
hard as a rock,
Mama she was quiet
as a prayer.
Daddy'd always tell me
"Son you gotta be tough",
Mama would kiss my cheek
and say "Play fair".


I did my best
to make them proud of me,
but it's never been
an easy place to be:


Somewhat between
Jesus and John Wayne,
a cowboy and a saint,
the cross and the open range.
I try to be more like you Lord,
but most days I know I ain't,
I'm somewhere between
Jesus and John Wayne.


Mama's love was tender,
Papa's love was strong.
both of them were there
to help the weak.
They tought me to stand up,
and fight for what is right,
and showed me how to turn
the other cheek.


Now I see
there's both of them in me,
and maybe that's the best
that I can ever hope to be:


Somewhat between
Jesus and John Wayne,
a cowboy and a saint,
the cross and the open range.
I try to be more like you Lord,
but most days I know I ain't,
I'm somewhere between
Jesus and John Wayne.


Noch ein Wort zu Bill Gaither, der für seine seit vielen Jahren bestehende "Vocal Band" immer wieder frische junge Stimmen findet - er selbst ist Jahrgang 1936 und knarzt einen realtiv alten Baß dazu - und der laut Wikipedia mit seinen vielfältigen musikalischen Aktivitäten immens viel Geld verdient hat. Er hat die Konzertform des "Homecoming" zur Perfektion entwickelt und weltweit auf große Bühnen - gerade vor ein paar Wochen auch erstmals in Deutschland.

Das Bild ist immer ähnlich: ein Gästeschar aus in der "Southern Gospel" Szene bekannten Sängern sitzt in einem als Wohnzimmer aufgebauten Kulisse um ein Klavier herum und singt. Alles wirkt auf den ersten Blick sehr familiär und auch ein wenig improvisiert, aber dann stehen einzelne Sänger auf und zeigen ihr meist beachtliches solistisches Können. Die anderen fallen am Ende dann aber meist wieder in einen bunten Refrain ein und so ist die "Performance" und das Singen "Im Kreise der Lieben" immer ganz dicht beeinander.

Hier ein YouTube-Video einer "Homecoming", in einem Stadion, mit einer sehr persönlichen Einleitung von Billy Graham's Frau Ruth:



Bibel-TV zeigt übrigens regelmäßig Aussschnitte von den "Homecoming Friends".

*Papa war ein Cowboy,
hart wie ein Stein,
Mama war still
wie ein Gebet.
Papa sagte immer,
"Sohn, werde hart",
Mama küßte mich auf die Backe
und sagte "bleib fair".

Ich hab versucht
sie stolz auf mich zu machen,
aber mein Platz ist
nie einfach gewesen:

Irgendwie zwischen
Jesus und John Wayne,
ein Cowboy und eine Heilige,

das Kreuz und das weite Land.
Ich versuche mehr wie du zu sein, Herr,
aber meist ist klar, ich bin's nicht
Ich bin irgendwo zwischen
Jesus und John Wayne.

Mamas Liebe war zart,
Papas Liebe war stark,
beide waren dafür da,
den Schwachen zu helfen.
Sie brachten mir bei, aufzustehen
und für das zu kämpfen, was richtig ist
und zeigten mir
wie man die andere Backe hinhält.

Heute sehe ich,
daß beides von ihnen in mir ist
und vielleicht is das das Beste
das ich je zu sein erhoffen kann:

Irgendwie zwischen
Jesus und John Wayne,
ein Cowboy und eine Heilige,

das Kreuz und das weite Land.
Ich versuche mehr wie du zu sein, Herr,
aber meistens weiß ich, ich bin's nicht
Ich bin irgendwo zwischen
Jesus und John Wayne.

Dienstag, 22. April 2008

Im Lande Mizraim



In den letzten Tagen ist es mir gegangen wie dem Erzvater Jakob im Lande Kanaan: der größere Teil meiner Kinder war wie die Söhne Jakobs hinabgestiegen ins Land Mizraim, also nach Ägypten. Bei mir waren es nicht Joseph, Benjamin, Juda oder Ruben, es war zunächst Carolin, die in einem Slum-Projekt der deutschen Entwicklungshilfe ihre Diplomarbeit (und nebenbei einen schönen Blog) geschrieben hat, dann Eva (hier im Bild vor der Pyramide) und meine Schwester Esther, später Judith und Matthias, die sie dort besucht haben. Mittlerweile sind bis auf Carolin alle gesund zurück, aber auch sie wird am Wochenende wieder in Berlin erwartet.


Zu Mizraim מצרים habe ich gelernt, daß das alte hebräische Wort in seinem Konsonantenstamm M-Z-R dem entspricht, was auch die heutigen Ägypter zu ihrem Land sagen: Misr. Allerdings benutzen die Juden den Namen in seiner Pluralform mit der Endung „–im“ und erinnern damit an den Ursprung des Landes aus den getrennten Reichen von Ober- und Unterägypten. Viele Pharaonen trugen eine aus einem roten und einem weißen Teil bestehende Doppelkrone (rechtes Bild), welche die Herrschaft über beide Reiche symbolisierte, eine Art von k. u. k. Monarchie also, aber am Nil statt an der Donau.

Man muß lange überlegen, bis man zwei Länder findet, die heute ebenfalls in der Pluralform als eine Einheit bezeichnet werden. Mir fiel „The Carolinas“ ein, das sagen die Amerikaner, wenn sie North Carolina und South Carolina in einem nennen wollen.

Außerdem habe ich über Ägypten gelernt (von Carolin), daß die Ortsangaben in Heinz Erhardts berühmtem Gedicht eigenartigerweise ganz präzise stimmen:

In Ägyptens großer Wüste
wenn du reinkommst,
dann gleich links
steht versonnen eine Büste,
ganz aus Stein,
das ist die Sphinx.


Tatsächlich kommt man in Gizeh wohl recht unvermittelt in die Wüste, die heute gleich am Stadtrand der riesigen, immer weiter wuchernden Stadt Kairo beginnt und biegt dann links von der Ausfallstraße ab, um zur Sphinx zu gelangen. Jetzt würde ich gerne wissen, ob die örtlichen Verhältnisse schon zu Erhardts Lebzeiten so gewesen sind.

Um die abgeschlagene Nase der Sphinx ranken sich Legenden. Mir gefällt die Geschichte, daß die Nase im Original negroid war und daß sie jemand abgeschlagen hat, der die Spuren der „Wiege der Kultur“ (Napoleon) zurück ins innere Afrikas verwischen wollte. Ich habe einige Male im Leben schwarze Gospelmusiker aus unmittelbarer Nähe miterleben können und habe seither eine Ahnung davon, welche gestalterischen Kräfte in den afrikanischen Genen eingebunden sind.

Meine moderne Sphinx könnte beispielsweise so aussehen wie die schwarze TV-Predigerin Juanita Bynum, die fauchend ihr Auditorium in Schach hält. Der schlägt so leicht keiner die Nase ab.

Montag, 21. April 2008

Lebensnachmittag





Mit Michael Mertes, der am 26. März seinen Geburtstag feierte und 55 Jahre alt geworden ist, verbindet mich über örtliche, berufliche und kirchliche Unterschiede hinweg eine langjährige Freundschaft, die über das Internet immer wieder einmal neu genährt wird. So erhielt ich auf meine artigen Geburtstagsgrüße eine eMail mit dem nachfolgenden Gedicht und darf es mit Erlaubnis des Autors hier im Blog veröffentlichen. Es paßt in gewisser Weise zu meinen Gedanken über die Kunst, das Leben zu verlängern, ist aber zugegebenermaßen abgeschlossener und gleichzeitig heiterer und beschwingter als meine Prosa. Es ist eben eine besondere Gnade, etwas zum Reimen bringen zu können.

Ich schicke voraus, daß Michael mich vor etwa drei Jahren mit einem Gedicht überrascht hat, das er in der strengen, alten Form eines Sonetts verfaßt hatte, bei Beibehaltung allerdings einer geraden, neuzeitlichen Sprache. Wenig später hat er dann seine Übersetzung sämtlicher 150 Sonette von Shakespeare in einem kommentierten Buch herausgebracht, in dem man sein schon allein vom Handwerklichen her hocherstaunliches Können bewundern und dabei eine ganze Welt über die berühmten Gedichte Shakespeares lernen kann.

Auf dem Foto sieht man ihn bei einer Vorstellung seines Buches vor etwa einem Jahr hier in Remscheid. Nun also etwas von Michael Mertes über das Leben in der Nähe der Sechzig.


ZWISCHENBILANZ
ZUM 55. GEBURTSTAG

Dein Lebensnachmittag hat schon begonnen,
der Lebensabend ist recht weit entfernt;
Du wirkst auf andre relativ besonnen,
hast aber lange noch nicht ausgelernt.

Als junger Mann, da warst du sehr heroisch,
berauschtest dich an Friedrich Hölderlin.
Jetzt magst du's eher temperiert und stoisch,
und Heinrich Heine hilft als Aspirin.

Inzwischen bist du Teil der Bourgeoisie,
trägst würdig deine Glatze und den Bauch.
In deinen Träumen herrscht die Anarchie,
doch keiner merkt's. (Man sagt: Das legt sich auch!)

Bisweilen wär ein neues Herz dir lieber,
wenn sich die alte Pumpe wieder quält;
ein kühles Herz, gewappnet gegen Fieber
und gegen Angst & Depression gestählt.

(Ist das dein Ernst? Wärst du bereit zu zahlen
den Preis, dass du das Beste lassen musst?
Gewiss, ein kühles Herz kennt keine Qualen,
doch Liebe auch nicht. Was für ein Verlust!)

Werd bloß nicht zynisch: Stell dich den Problemen
der andren Menschen, lass sie an dich ran.
Du sollst dich selber nicht so wichtig nehmen:
Kein Mensch ist eine Insel, sagt John Donne.

Werd bloß nicht bräsig: Jeder ist ersetzlich,
und Glück zu haben, das ist kein Verdienst.
Am meisten warst du immer dann verletzlich,
wenn du dir selber unbezwingbar schienst.

Werd bloß nicht abgeklärt und nicht apathisch,
denn Neugier hält Senioren länger fit.
Sei durchaus kompromissbereit-pragmatisch,
lauf aber nicht bei jeder Mode mit.

Werd bloß nicht mutlos: Nimm die Niederlagen
als Fingerzeig auf deine Grenzen an.
Die Liebe wird dich bis ans Ende tragen,
weil keine Macht sie je bezwingen kann.

Und Gott? Du bist ihm selbst noch nie begegnet,
doch seine Engel hast du oft erblickt.
Mit Liebe haben sie dich reich gesegnet
und, wenn's dir schlecht ging, unverhofft beglückt.

Erst wenn sie schon am Horizont verschwanden,
da wurd es dir mit einem Male klar,
da hast du plötzlich ganz genau verstanden,
dass dir ein Wunder widerfahren war.

Ein treuer Engel ist gar mitgekommen
auf deine Achterbahn, in den Tumult,
hat freundlich lächelnd deine Hand genommen
und dich beschützt mit himmlischer Geduld.

Die Kinder sind das größte Abenteuer:
Sie fahren mit, und - hast du nicht gesehn! -
schon sind sie fort, um gleich am eignen Steuer
auf große Abenteuerfahrt zu gehn.

Sie lehren dich, Metallica zu schätzen,
auch Iron Maiden und so manchen Krach;
doch wird dich Mozart stets noch mehr ergötzen,
auch Heinrich Schütz und sicher J. S. Bach.

Obwohl einst Kant in strengen Analysen
bewies, dass Gott sich nicht beweisen lässt,
hältst du sein Dasein dennoch für erwiesen
durch die Musik: Dort ist er manifest.

Indessen nimmst du ihm seit jeher übel,
dass er so viele Menschen leiden lässt.
Barmherzig will er sein? So unsensibel
besteht er nie den Philanthropentest!

Dass er mit bloßem Zuschaun sich bescheidet,
siehst du nicht ein; es macht dich ganz erbost.
Dass er an seiner eignen Ohnmacht leidet,
mag wohl so sein - doch wem hilft solcher Trost?

Es heißt, er trocknet schließlich alle Tränen -
ein Happy End, zu schön, um wahr zu sein?
Du möchtest solchen Zuspruch nicht erwähnen,
wenn einer sinnlos leidet Höllenpein.

So bleibt einstweilen manche Rechnung offen
und mancher Widerspruch bleibt ungeklärt
Dir bleibt bei aller Skepsis noch das Hoffen,
dass Manches mit der Zeit von selbst verjährt.

Dein Lebensnachmittag hat schon begonnen -
kein Grund zu Panik oder Hysterie!
Nichts ist verloren, Vieles schon gewonnen.
Auf, auf: There's such a lot of world to see!