Dienstag, 1. Juni 2010

Vater Demetrius




Ich weiß nicht, ob der stattliche Gottesmann in der reich geschmückten Kirche St. Georg tatsächlich Demetrius heißt, aber da alle bisherigen Portraits den Namen des Portraitierten trugen, will ich ihn nicht namenlos lassen. Er teilte an diesem zweiten Pfingsttag die Messe aus, große Brotstücke aus einem Korb, die Gläubigen bedankten sich mit einem ehrfüchtigen Handkuß bei ihm. Zuvor hatten sie den schönen Gesängen gelauscht und im Duft des Weihrauches und im Glanz der Ikonen dem Göttlichen nachgesonnen, das für die Orthodoxen, deren informelle Weltzentrale diese Kirche im Istanbuler Stadtteil Fener ist, überwiegend wortlos und unaussprechlich bleibt.

Vor dem Hintergrund der bilderlosen Welt des Islam rundherum in der Stadt wird der Unterschied zur Sinnenhaftigkeit des orthodoxen Glaubens besonders deutlich. Moslems können nicht beten, wenn Bilder im Raum sind, sie entfernen sie vorher. Orthodoxe Gläubige dagegen können kaum ohne die Gegenwart von Bildern beten, sie sehen durch eine Ikone (links die in der Kirche ausgestellte Heilige Theophanu) hindurch in den geöffneten Himmel und empfinden alle Worte, die man über Gott zu sagen versucht, alle Bücher, die man über ihn schreibt, dagegen als schwach und farblos.

Mit meiner ebenfalls bilderlosen Prägung durch einen Nebenzweig des Calvinismus, in dem ich aufgewachsen bin, stehe ich hier den Moslems näher, das merke ich beim Betreten der Kirche fast mit einem kleinen Erschrecken. Die Trennlinien und entsprechend die Übereinstimmungen zwischen Religionen und Konfessionen folgen eigenartigen Plänen. Ließe man einen Moslem mit einem Protestanten, einem Katholiken und einem Orthodoxen für längere Zeit in einem Raum allein, so würden sich überraschende Allianzen ergeben.

Ich frage mich, ob man es sich zu einfach machen würde, wenn man gelegentlich einmal alles erlaubt sein läßt. Wie schön hier in St. Georg der Weihrauch riecht! Ob er nicht auch unserer Baptistenkirche gelegentlich gut täte? Und ob man nicht manchmal besser beten könnte, wenn ein Bild von Jesus oder zumindest ein Kruzifix mit einem leibhaftigen Abbild Jesu daran an der Wand hinge?

Schluß mit sochen Gedanken! Ich bin und bleibe Calvinist und bleibe mein Leben lang dazu verurteilt, vor weiß getünchten Wänden über Gott nachzudenken und ihn anzubeten. Aber ein Stück Brot aus der Hand von Vater Demetrius, dargereicht unter diesen wunderbaren Kronleuchtern, das hätte ich jetzt trotzdem gern.




1 Kommentar:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Bilderlosen Prägung durch einen Nebenzweig des Calvinismus vs. Sinnenhaftigkeit des orthodoxen Glaubens: Der Unterschied ist vielleicht weniger groß, als es scheinen mag. Die alten Ikonenmaler waren sich wohl bewußt, daß es um das Malen des Nichtmalbaren, um Bilder des nicht Abbildbaren geht, um das Schauen des Göttlichen sei es vor weiß getünchten Wänden, sei es durch eine Ikone hindurch.