Nein, in Reinhold Messners Wohnzimmer waren wir nicht, gestern beim Besuch auf Schloß Juval, aber fast. Den Keller haben wir gesehen, mit etwa 30 sauber aufgestellten Paar Bergschuhen (die Mehrzahl von Adidas), mit Wein und Marmelade und aufgesetzten Früchten und mit einem Heerlager an Zelten und Kletter- und Expeditionsgeräten, darunter der bootartige Schlitten, mit dem er die Antarktis überquert hat. Den großen Rittersaal im Obergeschoß mit einem fast 10 m langen Tisch sahen wir, und sein Büro daneben, mit einer Fernsehecke, aber ohne Computer. Der „Reinhold“, wie ihn der liebenswürdige Burgführer immer vertraut nannte, diktiert alles, druckfertig, und läßt dann schreiben.
Messner hat die heruntergekommene Burg 1983 von einem örtlichen Ingenieur gekauft, der nicht die Kraft hatte, etwas aus den verfallenden, aber vor dem Krieg bereits von einem holländischen Millionär halbwegs renovierten Gebäuden zu machen. Messner hat ein Kunstwerk daraus geschaffen, ein Zauberreich, halb Ritterburg, halb fernöstliches Kloster. Damals war er 39 Jahre alt, hat ein zweites Mal geheiratet und drei Kinder in der Hauskapelle taufen lassen, von denen der Sohn heute 21 und die Töchter 17 und neun Jahre alt sind.
Die Kapelle ist stärkster Ausdruck seines alle Religionen umarmenden Glaubens. Ein auf den Putz gemaltes Kreuz aus dem 14. Jahrhundert, verschiedene Götterfiguren aus Afrika und Asien und vor dem Eingang zwei tibetanische Dämonen mit langen Elefantenrüsseln. Für Messner gilt vermutlich das Napoleon-Wort in vollem Umfang: die Menschen glauben alles, es darf nur nicht in der Bibel stehen.
Ob er inmitten von aller Schönheit und Meditation hier zu einem glücklichen Leben findet? Als ich für einen Moment mit dem Führer allein bin, erzähle ich ihm von meinem Eindruck, daß Messner ein unruhiger, getriebener Mann ist, der mit der halben Welt im Streit liegt. Der Führer bestätigt das vorsichtig. Ja, „der Reinhold“ sei äußerst willensstark und mit seinen Gedanken immer schon ein paar Schritte voraus, und wie man die Leute für sich gewinnen könnte, darauf achte er oft wenig.
Messner hat Juval mit einer Kette von vier weiteren Orten zu den Messner Mountain Museums zusammengeschlossen. Er hat dazu auf die Privatheit dieses Wohnortes verzichtet, lebt (hauptsächlich im Erdgeschoß, das für uns nicht zugänglich war) nur im Juli und August hier, wenn das Schloß für Besucher gesperrt ist, und benutzt ansonsten für sich und die Familie ein Haus im etwa 15 km entfernten Meran.
Er hat hier und in den anderen vier Museen, von denen wir „Firmian“ in Bozen und „Dolomites“ bei Cortina d’Ampezzo bereits kennen, so viel umgebaut und so viel an Kunst und religiösen Artikeln zusammengekauft, daß ich mir vorstellen kann: er muß das alles bis fast ins privateste zeigen, um das Geld, das er sich sicherlich hat leihen müssen, wieder einzuspielen. Vielleicht macht es ihm nicht einmal etwas aus, er erscheint mir, mit einem Thomas-Mann-Wort gesagt, durchaus eine ebensolche „repräsentative Existenz“ sein zu wollen wie Thomas Mann es eine war.
1995 hat er eines späten Abends versucht, oberhalb dieser Hintertür in den Burghof zu klettern. Er hatte, mit der Familie von einem Besuch zurückgekehrt, die Haupttür versperrt gefunden und wollte sie von innen öffnen. Dabei ist er 4 m tief abgestürzt und hat sich einen komplizierten Fersenbeinbruch zugezogen, der ihm fortan das extreme Klettern unmöglich gemacht hat. Für die Durchquerung von Grönland und der Antarktis war der Fuß allerdings noch tauglich genug.
1 Kommentar:
Eben war Reinhold in der HEUTEsendung. Seine offizielle Berufsbezeichnung ist demnach: Bergsteigerlegende.
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