Waren / Müritz, 3. September
2012
Einschussloch auf der Rückseite des Warener Rathauses |
Am Rathaus
von Waren wird ein badenwannengroßes Loch auf der Rückwand liebevoll offen gehalten und gepflegt.
Es entstand während bürgerkriegsähnlicher Unruhen kurze Zeit nach dem
Ersten Weltkrieg und war Folge eines Beschusses durch antidemokratische
Aufständische. Sie belagerten unter der Führung des Barons Le Fort im März 1920 die Stadt.
Das Ziel der schweren Granaten, die damals eingesetzt wurden und unter der
Zivilbevölkerung Tote und Verletzte forderten, war nicht das Rathaus, sondern
die auf der gegenüberliegenden Seite des Rathausplatzes gelegene Löwenapotheke
oder genauer deren Besitzer Hans Hennecke (1886 – 1940). Der damals 34jährige
Apotheker, der gerade die Nachfolge seines Vaters angetreten hatte, war den
Aufständischen verhaßt. Er war nämlich im Stadtrat und war auch im Landtag
vertreten – als Mitglied der SPD. Auf ihn
zielten, so sagt es die Tafel am Rathaus, die Granaten.
Rathausplatz in Waren mit dem großen weißen Rathaus links und der Löwenapotheke gegenüber |
Ein Apotheker
als Ziel politisch motivierter militärischer Gewalt ist für mich das Fremdeste,
was ich mir vorstellen kann. Apotheker kenne ich in der Regel nur als leise
sprechende Herren in weißen Kitteln, die als einzige Berufsgruppe in der Welt
in die Geheimsprache der Ärzte und bis zur maschinellen Erstellung von Rezepten
auch in deren Geheimschrift eingeweiht sind oder waren und welche die schwere
Verantwortung tragen, uns zu jedem Rezept auf Anfrage und mit einem Ausdruck
tiefen Bedauerns die Risiken oder Nebenwirkungen von der Packungsbeilage
ablesen zu müssen. Dass solche Priester der Wissenschaft in die Niederungen der
Politik hinabsteigen und auf diesem Weg Ziel von Granatwerfern werden, kann ich mir kaum vorstellen.
Löwenapotheke in Waren |
In Waren
war es anders. Immerhin behielten damals die Kräfte um Hans Hennecke, den Apotheker, die Oberhand. Der
Baron Le Fort musste fliehen und tauchte unter. Später machte er allerdings unter
den Nazis Karriere und wurde als Organisator der Olympischen Winterspiele 1936
bekannt.
Mein Freund,
der Solinger Apotheker Necattin Topel, dem ich diese kleine lokalhistorische Recherche
widme, steht gelegentlich ebenfalls unter Beschuss. Er setzt sich für die
deutschen Türken seiner Heimatstadt ein und macht sich nicht immer beleibt mit
dem, was er sagt und tut. Ich bin aber zuversichtlich, dass es nie zu einer
Beschießung seiner Apotheke kommen wird. Und wenn - dann würde ich mich mit gezogenem Colt
davor stellen und mein Letztes daran setzen, den Feind in die Flucht zu schlagen!
3 Kommentare:
Wenn ich mich recht entsinne, ist der Apotheker Homais in Flauberts Madame Bovary eine recht fragwürdige Gestalt, aber das ist reine Fiktion. Fontane stammte leibhaftig aus einer ehrenwerten Apothekerfamilie und war auch selbst approbiert.
Bin auch zuversichtlich, dass das nicht passieren wird.
.........
"mein Letztes daran setzen, den Feind in die Flucht zu schlagen"
:)..
Und ich würde dir dabei den Rücken freihalten! :)
Kommentar veröffentlichen