Im Folgenden habe ich einen weiteren New-York-Times Artikel übersetzt, der neue Erkenntnisse zum Glauben von weiten Teilen der amerikanischen Bevölkerung enthält. Seine Grundthese: die liberale Weltanschauung hat sich zwar als Theologie in den Kirchen geschlagen geben müssen, ist aber draußen im Land zum herrschenden Glaubensbekenntnis geworden - in säkularer Form.
Billy Graham 1957 |
Von Jennifer Schuessler
Seit Jahrzehnten stellen die amerikanischen Religionshistoriker der Nachkriegszeit den Triumph der evangelikalen Christen als die alles dominierende Geschichte in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung. Anfangs der 40er Jahre, so wird berichtet, beginnt die steigende Flut der Evangelikalen mit der Gewinnung ihrer Macht und Identität und schlägt letztlich ihre liberalen protestantischen Kollegen in die Flucht - in den Kirchenbänken, am Kollektenbeutel und an der Wahlurne.
Aber heute beginnt eine wachsende Schar von Religionshistorikern, das Erbe jener verblichenen Establishment-Methodisten, -Presbyterianer und –Anglikaner zu überdenken, und verfolgt jetzt ihren nachhaltigen Einfluss auf die Menschenrechts- und Rassengleichheits- Bewegungen, auf die wachsende "Spirituell-aber-nicht-religiös"-Demografie und sogar auf den etwas im Schatten liegenden moralischen Realismus von Barack Obama – er, ein liberaler Protestant par excellence, sagen einige dieser Akademiker.
Nach Jahrzehnten der Bemühungen, die Evangelikalen, die Mormonen und andere lange vernachlässigte religiöse Gruppen in das größere Bild zu bringen, behaupten diese Gelehrten jetzt, in der historischen Gilde sei heute die Betrachtung der Hauptströmung ("mainline moment") überfällig
Ein Kommentator im Blog "Religion in American History" (Religion in der amerikanischen Geschichte) sagte es so: "Es ist ermutigend, dass tote, weiße, mächtige Protestanten noch einmal einen zweiten Blick bekommen."
Im letzten Jahr wurden ein gutes halbes Dutzend Bücher zum Thema veröffentlicht. Princeton und Yale haben Konferenzen zu religiösen Liberalismus abgehalten, und die jüngsten Jahrestreffen der American Historical Association und der American Academy of Religion haben Podiumsdiskussionen zum Thema .
"Wir haben bereits eine Menge guter Sachen über evangelikalen Protestantismus", sagte David A. Hollinger, eine Geistesgeschichtler an der University of California in Berkeley, der 2011 eine provozierende Präsidentenansprache vor der Organisation Amerikanischer Historiker hielt, in dem er das Erbe von dem verteidigte, was er ökumenischen Protestantismus nannte.
"Wir sollten die Evangelikalen anhand dessen studieren“, fügte Hollinger hinzu, in "was die Beziehung zu den Menschen betrifft, die sie gehasst haben."
Hass ist sicherlich das richtige Wort, und das Gefühl ging in beide Richtungen. In einem 1926 erschienenen Editorial über den Scopes-Prozess [der Lehrer Thomas Scopes wurde von einem Gericht in Tennessee für die Verbreitung der Evolutionstheorie zu einer Geldstrafe verurteilt, C.R.], wies „The Christian Century“, die de facto Hauszeitschrift des Mainline-Protestantismus den Fundamentalismus als "ein nun vergangenes Ereignis," zurück, eine vorübergehende Umleitung auf dem Weg zu einem modernen, rationalen Glauben.
Aber bereits zu Beginn der 40er Jahre mobilisierten sich die Evangelikalen gegen die Vereinten Nationen und gegen andere Themen, die von Mainline-Führern unterstützt wurden, viele von ihnen später als Kommunisten in „Christianity Today“ angeprangert, dem Magazin, das im Jahr 1956 von Billy Graham gegründet wurde. „The Christian Century“ schoss zurück, mit Editorials, die Graham als Madison-Avenue-Straßenverkäufer denunzierten als "monströser Moloch", der damit drohte „das protestantische Christentums ein halbes Jahrhundert zurückzuwerfen."
Grahams Zeitschrift gewann den unmittelbaren Kampf um Leser, sie überholte „The Christian Century“ innerhalb eines Jahres - ein Zeichen, argumentiert Elesha J. Coffman in ihrem neuen Buch "The Christian Century and the Rise of the Protestant Mainline" (Das christliche Jahrhundert und der Aufstieg der protestantischen Hauptströmung), dass die „Century“ Redakteure, die meist alle an den gleichen Elite-Institutionen ausgebildet worden waren, nie die Vertreter der protestantischen Mehrheit waren, die sie zu sein behaupteten.
Aber andere Wissenschaftler vertreten eine deutlich andere Ansicht. In “AfterCloven Tongues of Fire: Protestant Liberalism in Modern American History,” (Nach Zungen wie von Feuer: protestantischer Liberalismus in der modernen amerikanischen Geschichte), im April bei Princeton University Press erschienen, argumentiert David Hollinger, dass die „Mainline“ einen breiteren kulturellen Sieg errungen hat, den die Historiker unterschätzt haben. Die Liberalen, behauptet er, mögen den Protestantismus verloren haben, aber sie haben das Land und die Bevölkerung gewonnen, haben ökumenisches Denken, Weltoffenheit und Toleranz als das dominierende amerikanische Glaubensbekenntnis etabliert.
[…]
[zur Fortsetzung mit Einzelheiten der Diskussion siehe den kompletten Artikel der New York Times, "A Religious Legacy, With Ist Leftward Tilt, Is Reconsidered"]
1 Kommentar:
Bei Benjamin lese ich gerade: Mein Denken verhält sich zur Theologie wie das Löschblatt zur Tinte. Es ist ganz von ihr vollgesogen. Ginge es aber nach dem Löschblatt, so würde nichts was geschrieben ist, übrigblieben.
Der liberale Weltanschauung ist so siegreich, daß sie kaum noch zu denken vermag, ihr Löschblatt ist dünn, da muß man Schlimmes befürchten fü die Theologie.
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