Im Taurus-Gebirge. |
Zwei große Reisen habe ich in diesem Jahr gemacht, nach Palästina
und in
die Türkei. Außerdem gab es Reisen in die Welt der Bücher und Gedanken. Von
beidem will ich erzählen und auch von dem, was sich sonst noch in diesem Jahr
in meinem Leben zugetragen hat.
Einige liebe Freunde haben manchmal davor gewarnt, dass
mich die langen Wege nach außen und nach innen weit von dem wegführen könnten,
was bislang in meinem Leben der Mittelpunkt gewesen ist. Aber
das ist nicht so.
Ich habe ihm Mut gemacht, auch die Gedanken einer ganz
anderen Richtung aufzunehmen, und zwar so, wie sie in dem Buch „When
God Talks Back“ von Tanya Luhrmann beschrieben wurden, das im November 2012
erschienen ist. Die Autorin, eine US-amerikanische Anthropologin, bestätigt über
wissenschaftliche Untersuchungen die Glaubwürdigkeit einer Kirche, die sich
intensiv danach ausstreckt, Gottes Reden zu hören. Luhrmann sieht manche auf
den ersten Blick schwärmerische Eigenarten, bescheinigt den Christen am Ende aber,
dass sie in ihrer Gemeinschaft die Kraft gewinnen, verantwortlich und bedacht
in ihrem Lebensumfeld zu wirken.
Ich fühle mich weiter von der Grundüberzeugung gehalten,
von der Billy Graham einmal in einer Predigt gesprochen hat. Er habe, so sagte
er, den berühmten Theologen Karl Barth bei einem Besuch gefragt, was
denn der Kern von dessen Glauben sei. Und der habe ihm mit dem Satz aus einem
Kinderlied geantwortet: "Jesus loves me, this I know for the bible tells
me so."
Auf dem "Abrahamspfad" in Palästina |
Ob diese Geschichte sich wirklich genau so zugetragen hat,
weiß ich nicht. Amerikaner bilden gerne Legenden. Aber wenn man mich nach dem
Kern meines Glaubens fragen würde, könnte ich ähnliches sagen, auch mit ähnlich
kindlichen Worten. Jesus ist mein Herr und Heiland. Er liebt mich und vergibt
mir meine Sünden.
Er hat es mir außerdem (das ist eine in meinem Inneren nach
und nach gewonnene Gewissheit) weitestgehend erlassen, ein reisender Missionar
zu sein. Das bekannte Missionsgebot „Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium“ ist zwar für mich durchaus
zentral und verbindlich. Aber es steht als zweites neben dem ersten, dem Liebesgebot,
und man kann Gott bitten, sich auf das erste konzentrieren zu dürfen.
Wenn ich in diesem Jahr in Palästina und in der Türkei
herumgereist bin und mich unter Muslimen aufgehalten habe, dann habe ich keinem
von ihnen auf den Kopf zugesagt, er müsse Jesus als den Weg, die Wahrheit und
das Leben annehmen. Das hätte alle unsere Gespräche beendet. Aber ich bin ihnen
mit Liebe begegnet und habe mit Freude gesehen, wie meine Liebe erwidert und
mein Glaube respektiert wurde. Vielfach hat mein offen bekannter Glaube die Gespräche einfacher gemacht.
Ich denke an die Wanderung mit dem Palästinenser Ahmed,
in dem ich ihm von meinem christlichen Vorbild Robert Jäger erzählt habe und von
seinem Glauben an die Liebe Gottes. Robert hatte mir bei einem Gespräch über das Liebeskapitel 1. Korinther 13 das praktische Zeugnis weitergegeben,
dass die Liebe zwischen Mann und Frau auch im Alter noch schön ist. Der etwa 45
jährige Ahmed hat sich sehr herzlich für diese und die anderen Lebensweisheiten bedankt und mir dann die
anrührende Geschichte seiner Verheiratung erzählt. Ich habe im Blog davon berichtet.
Auch mein in der Türkei manchmal bohrend bekundetes Interesse an den inneren
Spannungen nach den Mai-Protesten im Istanbuler Gezi-Park ist von meinen
Gesprächspartnern immer wieder mit Freundlichkeit und Verständnis
aufgenommen worden. Das nächtliche Gespräch mit dem kappadokischen Bauern
Metin und seine dunkle
These, dass unter den Aleviten insgeheim sehr viele Armenier seien, die
immer noch auf Rache sinnen und Motor der Unruhen sind, hat mich weiterforschen
lassen und mich zu dem Buch von Markus Dressler geführt, das mich sehr beeindruckt
und in meinem Denken weitergebracht hat.
Meine Überzeugung ist, dass man mit Liebe und echtem
Interesse an den Menschen am besten fährt, und dass man die Liebe vor die
Mission stellen darf. Manchmal erscheint die Liebe in Anlehnung an das erwähnte
Kapitel aus dem ersten Korintherbrief geradewegs dumm zu sein. In dem Brief heißt es „die Liebe glaubt
alles, die Liebe trägt alles“ – die Liebe kann blind sein. Aber blind ist nicht
dumm.
Die Liebe regiert nach meinem Eindruck auch in den Köpfen und Herzen von Menschen, die weltanschaulich nicht gerade auf meiner Linie liegen. So hat mir die Denkschrift der evangelischen Kirche zu einigen Fragen der Familie (im
Juni erschienen) gut gefallen, weil sich hier die Liebe so zeigt, dass sie sich
zu den Menschen stellt und zunächst einmal eine Bestandsaufnahme von dem macht,
wie diese Menschen leben. Meine Meinung wird sicherlich nicht von vielen Leuten
aus dem evangelikalen Lager geteilt, zu dem ich mich zähle, aber
dafür wird sie – wie ich später zu meiner großen Freude erfuhr – von dem im
März gewählten neuen Papst Franziskus offenbar ganz ähnlich vertreten. Auch er
will die Menschen zunächst einmal sehen, will ihnen begegnen, bevor er sie mit
einer für sie unbequem erscheinenden Botschaft bedrängt. Mit seinen Worten im
Ohr bin ich im Herbst auf einer Familienfeier gewesen und habe die in seinem Interview vom September geäußerten Gedanken in sehr
unmittelbarer Weise bestätigt gefunden.
Der argentinische Papst weiß, dass eine Kirche, von der
die Menschen nur wissen, dass sie etwa eine homosexuelle Lebensführung ablehnt, von weiten
Teilen der Bevölkerung ihrerseits abgelehnt wird. Dabei hat Franziskus niemals
verschwiegen, dass er als „ein Sohn der Kirche“ in Fragen der Ethik bei der
traditionellen Meinung bleibt. Aber er lehnt offenbar die Praxis ab, diese
Meinung ständig vor sich her zu tragen.
Auch in der kleinen Welt meiner Remscheider Gemeinde
(Baptisten) werden ähnliche Gedanken der Liebe gedacht, das freut mich, und ich
wünsche meinem Pastor André Carouge, der in diesen Tagen sein erstes Amtsjahr hinter sich gebracht hat, viel Glück auf seinem weiteren Weg.
Tanya Luhrmann |
Später hörte ich von einer ganz normalen Evangelischen
Landeskirche im Oberbergischen Land, dass man beginnt, dort ähnliche Wege zu
gehen und nach dem Reden Gottes im Inneren eines Menschen zu fragen. Es gibt
unter den Frommen nach meinem Eindruck ein wachsendes Gefühl, dass der alte
schöne Glaube sich in seinen Formen festgefahren hat, dass man aber im
Vertrauen auf Gottes niemals endende Liebe zur Welt weiter mit seinem Reden zu
uns rechnen darf. Ich sage das mit der Skepsis eines nüchternen Christen, der von
großen inneren Visionen vollkommen frei ist. Aber hoffen möchte ich, so lange
ich lebe.
Gegen Ende des Jahres bin ich auf krummen Wegen beim
Philosophen Hegel gelandet, nachdem ich eine neue Marx-Biografie beiseite
gelegt und die Notwendigkeit erkannt hatte, zunächst einmal mehr über Hegel zu
erfahren. Das in Englisch geschriebene Buch des Kanadiers Charles
Taylor macht es
eigenartigerweise leichter, die im Deutschen doch immer recht komplizierten
philosophischen Begriffe zu verstehen.
Wenn man sich eine Weile in Hegels System bewegt hat,
bekommt man eine innere Ruhe und Gewissheit, dass sich die Welt nach logischen Gesetzmäßigkeiten
wie ein Uhrwerk bewegt. In dessen Mitte sitzt Hegels „Geist“ und verhält sich ziemlich
genau so, wie ich es mir immer von Gott vorgestellt habe. Ich habe meine diesjährigen Weihnachtsgrüße mit einem Gedanken an Hegel verbunden.
So gehe ich einigermaßen unverzagt ins Neue Jahr und
schließe fast zeitgleich mit dem alten Jahr auch meine reguläre
Lebensarbeitszeit ab: am 9. Januar werde ich 65. Danach möchte ich aber noch eine Reihe
von Jahren weiter arbeiten, wenn die Gesundheit hält. Meine staatliche Rente
ist mager, mit meinen schönen Lebensversicherungen stehe ich wie viele ältere
Leute heutzutage hilflos da: sie bringen auf der Bank so wenig Zinsen, dass man
davon nicht leben kann. Ich sehe es derzeit als ein Privileg an, weiterhin durch
eigene Arbeit unseren Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Wenige Wochen nach Beginn des Neuen Jahres will ich mit
einer zweiten Wanderrunde durch Palästina beginnen. Ich werde in gewohnter
Weise berichten.
Alle die Menschen, die ich im vergangenen Jahr nicht
getroffen, zu selten besucht und allgemein zu wenig beachtet habe, bitte ich um
Verzeihung. Es gibt viel zu viele davon, auch wenn die kleinen elektrischen
Stromstöße, die ein „gefällt mir“ auf
Facebook auslöst,
natürlich auch eine Art von Beachtung sind. Ich wünschte mir aber bei einer
ganzen Reihe von Menschen, dass die Zuwendung im nächsten Jahr intensiver sein könnte.
Abgehalten von manchem Freundesbesuch hat mich meine erfreulich
wachsende Familie. Zu Enkel Jakob (geboren im März 2012) ist im Oktober Enkelin
Valentina hinzugekommen, und die erste Begegnung der beiden bei einem Familienwochenende
in der Lüneburger Heide war einer der Höhepunkte des Jahres. Christiane und ich
haben dort im Dezember unseren 40. Hochzeitstag gefeiert.
Valentina und ich |
Unsere fünf Kinder und ihre fünf Partner leben in einer
sehr schönen Harmonie miteinander. Vier
Kinder sind in Berlin, zuletzt ist Matthias dorthin gezogen, nachdem er sein
Studium beendet hat. Er sucht in Berlin nach Arbeit, alle anderen sind seit längerem in Lohn
und Brot, so dass unsere Sorgen um das Wohl der Kinder erfreulich klein sind.
Judith mit Johannes und Jakob in Bonn sind die einzigen Kinder in der Nähe. Über Weihnachten sind sie alle hier in Remscheid gewesen.
Abgehalten von der Pflege mancher Kontakte hat mich
natürlich auch meine kleine Firma, die weiterhin langsam aber erfreulich wächst. Wir haben
ein Büro im Nachbarhaus hinzugenommen, haben immer wieder neu in die schöne
Welt der Computer investiert und vor einigen Wochen auch nach längerer Zeit
noch einmal den Sprung gewagt und mit einer jungen Wuppertaler Abiturientin
einen Lehrvertrag abgeschlossen. Wenn alle ganz- und halbtags arbeitenden
Menschen im Büro sind, besetzen wir zwölf Arbeitsplätze.
Wenn ich die obigen Worte noch einmal zur Korrektur durchlese, dann
wird mir bewusst, dass in ihnen nur ein kleiner Teil meines Lebens enthalten
ist. Das macht mich allerdings einigermaßen ruhig in Bezug auf die in diesem
Jahr bekannt gewordenen Ausspähungsmöglichkeiten der großen Geheimdienste. Sie
können machen, was sie wollen – unser privates Leben behält seine Geheimnisse, jedenfalls
besser als es uns die laute Kritik am modernen vernetzten Leben erscheinen
lässt.
Der Friede Gottes bewahre eure Herzen und Sinnen! So
schreibt es Paulus im Philipperbrief. Ich stelle mir unter „Herzen und Sinne“
einen kleinen Punkt vor, den Gott fest in seiner Hand verschlossen hält und den
er eines Tages hinübergibt in das ewige Leben. Ich wünsche allen, die dies
lesen, eine sichere Bewahrung im Frieden
Gottes, der höher ist als alle Vernunft.
2 Kommentare:
Lieber Christian,
vielen Dank für deine bedenkenswerten und wie immer lesenswerten Reminiszenzen. Ich würde dich nur gerne von dem Begriff "Missionsgebot" befreit wissen. Zu den - pardon - evangelikalen Dummheiten, die dich ja nach eigener Auskunft geprägt haben, gehört leider auch die Verkürzung des schönen Endes des Mattäusevangeliums zum schnöden "Missionsbefehl" (Mt 28,16-20), was den Sachverhalt verfehlt. Es handelt sich hier nicht um ein "Gebot" - ebenso wenig wie die Segensaussage in Gen 1,28 eine "Vermehrungsbefehl" wäre (das hat der Katholizismus in seiner miserablen Sexualethik leider missverstanden). Beide Male handelt es sich um eine "Ermächtigung" oder Bevollmächtigung durch Christus bzw. durch Gott. Im Blick auf Mt 28 hat man hier eine Erlaubnis oder Ermutigung zu lesen, die Botschaft Christi in die Welt zu tragen. Den verzagten Jüngern von Mt 28 musste und konnte man nichts "befehlen". Es ging vielmehr um die Frage, ob sie, die Gescheiterten, im Namen Christi reden und handeln DÜRFEN! M.a.W. Es ging um ihre LEGITIMATION und nicht um ihren Gehorsam!
Onckens Satz "Jeder Baptist ein Missionar" ist daher schon vom Urchristentum her ausgesprochen fraglich und hat noch nie gestimmt. Paulus kennt übrigens auch keine Missionsparänese: Er mahnt alles Mögliche in den Gemeinden an - aber nie die missionarische Untätigkeit (anders als die ehemaligen Bundesdirektoren à la Schäfer & Co mit ihren Grabesmienen)! Dies hat m.E. zwei Gründe: Erstens, weil er die "Mission unter den Heiden" für einen privilegierten Job hielt, zu dem man - wie er selbst - von Christus persönlich berufen sein musste und für die der Apostel nur die besten Mitarbeiter gebrauchen konnte (Markus gehört nach der Apg nicht dazu!). Und zweitens, weil nach 1Thes 1,7-10 der Glaube aus sich selbst heraus missionarisch ist und zum "Hörensagen" führt. Die gleichsam militärische Missionsverkrampfung Onckens und seiner Nachfolger ist exegetisch schlecht begründet und bis heute nicht mehr als eine bloße Vermehrungsstrategie, die unter dem Signet der Drohung ewiger Verdammnis zu einem zusätzlichen "Must-Do" wurde. Paulus musste - alle Anderen dürfen das Evangelium verkünden (1Kor 4; 9) - und tun es je auf ihre Weise. Deine lasse ich mir übrigens gerne gefallen! Mission ist als kein Gesetz, sondern Evangelium. Sogar für religiös verspannte und verbohrte Evangelikale!
Mit herzlichen Grüßen
Dein Kim
Lieber Christian,
wie immer es nun im einzelnen mit dem Missionsauftrag bestellt sein mag, ich kann da nicht urteilen, durch die langjährige an meiner Person vollbrachte missionarische Sysyphosarbeit kannst Du Dich in jedem Fall als von weiterem einschlägigen Tun entlastet und Dich selbst, vertraut man Camus, als glücklichen Menschen ansehen. Viel diesbezügliche Freude auch im kommenden Jahr.
Lgm pb
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