Taylor stellt diese
Veränderungen in den Zusammenhang einer Frage, die das ganze Buch durchzieht: welchen
Einfluss hat man in unterschiedlichen Zeiten auf die moralischen Standards der
Menschen genommen und damit das Ideal von eigenverantwortlicher Lebensführung und individueller Freiheit vorgeprägt ? Im Beispiel der amerikanischen Erweckung zu einer maßvollen Lebensführung
ist der Einfluss der Kirchen (und teilweise auch des Staates) sehr deutlich. Im Mittelalter
war es noch anders, da war es schon revolutionär, wenn ein Konzil die Pflicht
zur jährlichen Beichte einzuführen versuchte.
Taylor sieht heute etwa in
Lateinamerika oder Afrika weiterhin solche ersten Generationen von Menschen, die
eine radikale Veränderung erlebt haben. Hier ist die Hinwendung zu einem
pfingstlerisch geprägten Glauben (in Afrika auch zum Islam) zusammen mit einer
strengen Lebensführung oft der lebensnotwendige Einstieg in ein die Familie und
den Arbeitsplatz sicherndes neues Leben. Auch in Fragen der Sexualmoral wird
eine große Strenge praktiziert, mit deren Hilfe man ebenfalls das Überleben der
Familie sichert. Gleichzeitig wird als vierter, beruflicher Faktor eine strenge
Arbeitsethik gelebt.
Nach den früheren Awakenings lässt sich das eigenartige
Phänomen beobachten, dass eine erfolgreiche Bekämpfung von schlechten und
verderblichen Sitten schon in der nächsten Generation zu einem Vergessen der
Gründe führen kann, aus denen heraus der Kampf geführt wurde. Die Sitten
bessern sich, ein beachtlicher Lebenserfolg stellt sich ein – und man weiß bald
nicht mehr, warum man sich so übermäßig angestrengt hat.
Deshalb führte die Einschränkung des Alkoholismus in den USA vielfach dazu, dass die Kinder oder Enkel der Generation von bekehrten Trinkern sich sehr bald wieder einen laxen Standard dem Alkohol gegenüber angewöhnten. Die Eltern hatten sich unter dem Eindruck ihres eigenen Alkoholmissbrauchs sowohl zu Gott als auch zu einer radikalen Abstinenz bekehrt, die Kinder dagegen sahen die Notwendigkeit von so viel Strenge nicht mehr ein. Sie begannen einen maßvollen Alkoholkonsum und waren dabei oft glücklich, nicht in die Fehler vergangener Generationen zurückzufallen. Die komplette Abstinenz ihrer Eltern erschien ihnen überholt zu sein, und zugleich mit deren Prinzipienstrenge gaben die Kinder oft auch Teile ihres überkommenen Glaubens auf.
Deshalb führte die Einschränkung des Alkoholismus in den USA vielfach dazu, dass die Kinder oder Enkel der Generation von bekehrten Trinkern sich sehr bald wieder einen laxen Standard dem Alkohol gegenüber angewöhnten. Die Eltern hatten sich unter dem Eindruck ihres eigenen Alkoholmissbrauchs sowohl zu Gott als auch zu einer radikalen Abstinenz bekehrt, die Kinder dagegen sahen die Notwendigkeit von so viel Strenge nicht mehr ein. Sie begannen einen maßvollen Alkoholkonsum und waren dabei oft glücklich, nicht in die Fehler vergangener Generationen zurückzufallen. Die komplette Abstinenz ihrer Eltern erschien ihnen überholt zu sein, und zugleich mit deren Prinzipienstrenge gaben die Kinder oft auch Teile ihres überkommenen Glaubens auf.
Verglichen mit diesem
Verlust an Prinzipien findet Taylor es überraschend, dass in den heutigen westlichen
Gesellschaften der Vierklang von Glauben, Alkohol-/Drogenabstinenz, strenger
Sexualethik und strenger Arbeitsethik zwar aufgebrochen, aber dann doch nicht
vollkommen aufgegeben wird. Die strenge Arbeitsethik bleibt. Zwar beginnen die
Menschen nach dem Jahre 1960 damit, eine sehr viel liberalere Einstellung zu sexualethischen
Fragen wie etwa des vorehelichen Zusammenlebens und der Homosexualität zu
haben. Die strenge Ethik der früheren Generation wird nicht übernommen,
allerdings gilt das eben nicht für weite Bereiche der Arbeitsethik. Hier gelten
weiterhin die Regeln, die man von den Eltern übernommen hat.
In allen Fällen wird
deutlich, dass hinter den Regelwerken vielfach die Antriebskräfte der großen
Religionsgemeinschaften stehen. Sie liefern die Motivation, aus der heraus die
Sitten einer Gesellschaft verbessert werden und aus der Menschen zu eigenverantwortlichen Individuen erzogen werden. Am Ende geraten die Religionsgemeinschaften aber in
Gefahr, selbst als überflüssig angesehen zu werden und nicht nur als das,
sondern auch als eine Kraft, welche die Lebensfreude und Kreativität ganzer
Generationen unterdrücken kann.
Ich verstehe jetzt im
Nachhinein die manchmal radikale und wütende Abkehr vom Glauben besser, die ich
bei vielen meiner Jugendgefährten erlebt habe. Man kann ihre Negierung von
Religion befürworten oder ablehnen - wichtig erscheint mir zu sein, dass man ihre
Gründe erst einmal zur Kenntnis nimmt.
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