Auf halbem Weg zwischen der allgemeinen Gläubigkeit um das Jahr 1500 und der allgemeinen Ungläubigkeit um das Jahr 2000 herum sieht Charles Taylor im Zeitalter der klassischen Musik eine neue Art von Glauben entstehen. Dieser Glaube bezieht sich auf das, was man damals als „absolute Musik“ zu verstehen begann, und er äußert sich in der Reaktion der Menschen, die Konzerte mit einer "fast religiösen Intensität" anhören, wie Taylor sagt. Die Menschen suchen einen Ersatz für den verlorenen Glauben und den damit verbundenen Sinnverlust in einer vornehmlich materialistisch gedeuteten Umwelt. Die Erhabenheit der Musik ist ein solcher Ersatz.
Taylor zitiert an dieser Stelle Schiller, der seinerzeit
prominente Gedanken zur Schönheit und zur Kunst niedergeschrieben hat, die dazu
einladen, den Blick über den Rand der materiellen Eindrücke zu erheben und
etwas Größeres und Erhabeneres zu sehen - das dann fast als Göttlich verstanden
wird, sich aber nicht auf einen persönliche Gott bezieht.
Ich habe mich mit meinem evangelikal geprägten Herzen
zeitlebens unbewusst gegen eine solche Erhabenheit gewehrt, gestehe mir
allerdings ein, dass mich die Klänge etwa einer Beethoven-Symphonie durchaus in
das Reich der Erhabenheit verzaubern können, von dem Schiller spricht.
Aber ich habe immer nach einem Gegenmittel, nach einem
anderen Verständnis von Musik gesucht und habe es auch gefunden. Es ist die
Rückkehr zu einer Freude an der Musik, wie sie vermutlich im Mittelalter
gepflegt wurde, und es ist Freude an einer nicht bis ins letzte durchkomponierten
Musik, sondern einer Musik, die Raum für eigene Einfälle und für Spontanität erlaubt.
Es ist im Kern die heutige Musik des Jazz mit ihrem Reichtum
an Variationen und Farben. Zwar gibt es auch hier den staunenden Aufblick zu
erhabener Meisterschaft, aber man verbindet nichts Göttliches damit. Das äußert
sich schon darin, dass man Jazz nicht zwingend in einem Konzertsaal spielen
muss, in dem zu Beginn der Veranstaltung das Licht ausgeht und alle Menschen
schweigend auf den Dirigenten warten, der dann wie ein moderner Halbgott auf
der Bühne erscheint. Man tut es zwar gelegentlich und imitiert den klassischen
Konzertbetrieb, aber die guten Jazzaufnahmen kommen aus Clubs und haben das
Klirren von Gläsern als Hintergrund und den Beifall auf offener Szene.
Mich hat die Figur des klassischen Dirigenten, der letztlich
die Musik irgendwie mit seinem Tanz zu begleiten hat, zunehmend abgestoßen. Ich
habe auch in konventionellen Konzerten immer mehr versucht, die Musikanten
hinter den Musikern zu sehen und habe ihre beachtlichen Leistungen in ein
Spektrum eingebaut, das mit den von jedermann singbaren Volks- und Kirchenliedern beginnt, mit
meiner eigenen Hausmusik. Es kann sich in Mozart-Kompositionen aber
auch in Oscar Petersons Improvisationen zu allerhöchsten Höhen aufschwingen,
aber es bleibt im Kern Musikanten-Arbeit.
Es kann niemals Platzhalter auf dem leeren Stuhl sein, den
früher einmal Gott im Herzen der Menschen eingenommen hat. Es kann im Gegenteil
im schönsten Fall ein gerader Hinweis auf die Wahrheit sein, die Duke Ellington
einmal vertont hat: "Ain't Nobody Nowhere Nothing without God."
1 Kommentar:
Ergänzend zu Taylor René Girard lesend, kann man zu der Auffassung kommen, im Evangelium, wenn man es nur recht versteht, sei bereits alles gesagt, was mit Worten zu sagen ist, so daß ergänzend nur noch die Kunst, Klang und Bild, bleibt.
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