Freitag, 5. September 2014

Musikanten für den Glauben


Auf halbem Weg zwischen der allgemeinen Gläubigkeit um das Jahr 1500 und der allgemeinen Ungläubigkeit um das Jahr 2000 herum sieht Charles Taylor im Zeitalter der klassischen Musik eine neue Art von Glauben entstehen. Dieser Glaube bezieht sich auf das, was man damals als „absolute Musik“ zu verstehen begann, und er äußert sich in der Reaktion der Menschen, die Konzerte mit einer "fast religiösen Intensität" anhören, wie Taylor sagt. Die Menschen suchen einen Ersatz für den verlorenen Glauben und den damit verbundenen Sinnverlust in einer vornehmlich materialistisch gedeuteten Umwelt. Die Erhabenheit der Musik ist ein solcher Ersatz.


Taylor zitiert an dieser Stelle Schiller, der seinerzeit prominente Gedanken zur Schönheit und zur Kunst niedergeschrieben hat, die dazu einladen, den Blick über den Rand der materiellen Eindrücke zu erheben und etwas Größeres und Erhabeneres zu sehen - das dann fast als Göttlich verstanden wird, sich aber nicht auf einen persönliche Gott bezieht.
Ich habe mich mit meinem evangelikal geprägten Herzen zeitlebens unbewusst gegen eine solche Erhabenheit gewehrt, gestehe mir allerdings ein, dass mich die Klänge etwa einer Beethoven-Symphonie durchaus in das Reich der Erhabenheit verzaubern können, von dem Schiller spricht.

Aber ich habe immer nach einem Gegenmittel, nach einem anderen Verständnis von Musik gesucht und habe es auch gefunden. Es ist die Rückkehr zu einer Freude an der Musik, wie sie vermutlich im Mittelalter gepflegt wurde, und es ist Freude an einer nicht bis ins letzte durchkomponierten Musik, sondern einer Musik, die Raum für eigene Einfälle und für Spontanität erlaubt.
Es ist im Kern die heutige Musik des Jazz mit ihrem Reichtum an Variationen und Farben. Zwar gibt es auch hier den staunenden Aufblick zu erhabener Meisterschaft, aber man verbindet nichts Göttliches damit. Das äußert sich schon darin, dass man Jazz nicht zwingend in einem Konzertsaal spielen muss, in dem zu Beginn der Veranstaltung das Licht ausgeht und alle Menschen schweigend auf den Dirigenten warten, der dann wie ein moderner Halbgott auf der Bühne erscheint. Man tut es zwar gelegentlich und imitiert den klassischen Konzertbetrieb, aber die guten Jazzaufnahmen kommen aus Clubs und haben das Klirren von Gläsern als Hintergrund und den Beifall auf offener Szene.

Mich hat die Figur des klassischen Dirigenten, der letztlich die Musik irgendwie mit seinem Tanz zu begleiten hat, zunehmend abgestoßen. Ich habe auch in konventionellen Konzerten immer mehr versucht, die Musikanten hinter den Musikern zu sehen und habe ihre beachtlichen Leistungen in ein Spektrum eingebaut, das mit den von jedermann singbaren Volks- und Kirchenliedern beginnt, mit meiner eigenen Hausmusik. Es kann sich in Mozart-Kompositionen aber auch in Oscar Petersons Improvisationen zu allerhöchsten Höhen aufschwingen, aber es bleibt im Kern Musikanten-Arbeit.
Es kann niemals Platzhalter auf dem leeren Stuhl sein, den früher einmal Gott im Herzen der Menschen eingenommen hat. Es kann im Gegenteil im schönsten Fall ein gerader Hinweis auf die Wahrheit sein, die Duke Ellington einmal vertont hat: "Ain't Nobody Nowhere Nothing without God."

1 Kommentar:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Ergänzend zu Taylor René Girard lesend, kann man zu der Auffassung kommen, im Evangelium, wenn man es nur recht versteht, sei bereits alles gesagt, was mit Worten zu sagen ist, so daß ergänzend nur noch die Kunst, Klang und Bild, bleibt.