Donnerstag, 16. September 2010

Rote Tücher






Auf einer breiten Kaskadenstufe in den Wasserfällen im unwegsamen Gelände weit oberhalb von Vizzavona erscheint plötzlich eine Gruppe junger Leute, darin ein Mädchen mit einem Kleid, das in der hellen Bergsonne orangerot leuchtet. Sie wirkt völlig deplaziert inmitten der professionell geschnürten Bergwanderer, die hier den berühmten und teilweise gefürchteten GR 20 entlanggehen. Sie ist in ihren dünnen Schuhen offenbar nicht über die mühsamen Weg der anderen gekommen, sondern wie ein Engel vom Himmel herabgestiegen. Einige glückliche Minuten lang ist sie mit ihrem wie Feuer leuchtenden Kleid der Mittelpunkt des ganzen Tals.

Aber ich wollte von Sarrazin erzählen, sein Buch habe ich am Flughafen erworben und habe etwa 60 Seiten darin gelesen. Es ist ein rotes Tuch einer anderen Art, ich habe es für Nureddin gekauft, meinen Freund und Seelenbruder, der es selbst nie lesen wird, sich aber sehr darüber grämt und in seinen jungen Jahren noch ganz grau in Gedanken darüber werden wird, was alles in und vor allen Dingen: hinter diesem Buch steht. Ihn tröste ich sogleich und sage ihm, daß Sarrazin ihn, Nureddin, sympathisch finden und ihm das Leben leichter machen würde, wäre er, Sarrazin, an der Macht.

So würde er etwa den Mann von der Gewerbeaufsicht, Nureddins ewige Nemesis, vermutlich umgehend von der Pflicht entbinden, Nureddins Geschäft – in Sarrazins Augen ein förderungswürdiges gesellschaftliches Leistungszentrum mit akademischer Qualifikation - mit immer neuen Auflagen zu erschweren. Sarrazin würde den Mann lieber Hartz-IV-Leute kontrollieren lassen, ob die das Geld, das sie zweckgebunden für den Flötenunterricht ihrer Kinder bekommen haben, nicht schon wieder für Alkohol ausgeben.

Nureddin mit seinen schulisch und akademisch erfolgreichen drei Söhnen ist für Sarrazin eine Schlüsselfigur für das Fortkommen Deutschlands, um das Sarrazin sich Sorge macht. In dieser Sorge trägt er so viele richtige und von niemandem bestreitbare Überlegungen zusammen, daß er schon im Vorwort selbst darüber nachdenkt, ob das Buch überhaupt Sinn macht. Tatsächlich kann man ihm an vielen Stellen kaum widersprechen, etwa wenn es um sinkende Geburtenraten, stagnierende Einkommen und trübe Aussichten geht, was die Konkurrenzfähigkeit des alten Deutschland, so wie es auf der Höhe des Nachkriegsbooms etwa 1960 einmal war, betrifft.

Sarrazin sorgt sich und träumt von einem Deutschland, in dem Nobelpreise in Serie hereingeholt werden, in dem international anerkannte Universitäten den technischen Fortschritt zu immer neuen Höhen treiben. Studenten müssen dafür her, möglichst viele, und möglichst viele in dem Mangelbereich „MINT“ (Mathematik-Informatik-Naturwissenschaften-Technik), denn nur über diesem Bereich kommt ein erfolgreiches Volk voran. Goethe kann man nicht mehr verbessern, sagt Sarrazin, aber Ferdinand Porsches VW-Motor wohl.

Die MINT-Leute sitzen aber derzeit in China und Indien und werden von den US-Universitäten abgeworben, um das Problem auf eine einfache Formel zu bringen. In Deutschland kommen sie nicht an, deutsche Konkurrenten für sie wachsen nur unzureichend nach. Hier nun kommen langsam die Migranten ins Spiel. MINT-mäßig sind sie nicht durchweg schlechter als der nicht besonders gute alt-deutsche Nachwuchs, die Spanier und Griechen halten ganz wacker mit. Aber der Rest zieht statistisch gesehen das wenige, was an eigener Substanz da ist, nach unten.

Statistisch gesehen heißt bei Sarrazin oft: statisch gesehen. Die derzeitigen schlechten durchschnittlichen Schulabschlüsse bestimmter Migrantenkinder werden sich laut seinen Prognosen auch in Zukunft nicht ändern, mit den Türkenkindern und ihren Familien, um es kurz zu sagen, ist eben etwas nicht in Ordnung.

Er hat viele Daten für seine Thesen, und wenn er einmal keine hat, dann greift er zu Vermutungen, etwa: Kinder von Persern werden auf der Uni besser zurechtkommen als Kinder von Jemeniten, das leuchtet wohl jedem ein. Das macht klar: für Sarrazin geht der Weg zu einer besseren Zukunft nur über MINT und der Weg zu MINT nur über eine Anpassung an die vorherrschende Kultur, und genau das ist ein Prozeß, in der ein Perser eben weiter ist als ein Jemenit.

Ich glaube, daß hier ein Gesellschaftsbild vorherrscht, das von alten sozialistischen Anschauungen geprägt ist, Sarrazin gehört ja der SPD an, und nicht erst seit gestern. Ich übertreibe einmal so, wie Sarrazin es auch gerne tut, und sage, in Lenins berühmtem Konzept „Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes“ ist ebensowenig Glaube, Liebe und Hoffnung enthalten wie in Sarrazins MINT-Sozialismus. Es ist ein Gebilde ohne menschliche Wärme und ohne den Vorteilsfaktor dieser Wärme und Nähe, ohne deren grundlegende menschliche Sicherheit auch keine großen Entdeckungen entstehen.

Es gibt grundlegende Alternativen zu Sarrazins Technologie-Besessenheit, und ich denke mir: vielleicht wird es in 20 Jahren zu Sarrazins Verwunderung einen deutschen Jemeniten mit einem Nobelpreis geben, der im Schoße seiner altertümlichen Großfamilie gerade das an Kraft und Persönlichkeitsstärke gewonnen hat, was ihn zu einer dauerhaften Leistung auf hohem Niveau befähigt hat.

Ich denke weiter: vielleicht ist die Wärme der türkischstämmigen Großfamilien unter uns etwas, das unsere zunehmend erkaltende und vereinzelnde Gesellschaft mit neuer Liebe erfüllen kann, das ansteckend wirkt und das durch die kalten Wände zum Nachbarn hin abstrahlt. Vielleicht findet sich bei ihnen ein Mittel gegen das grassierende Scheitern unserer jungen Ehen, aus denen kaum MINT-fähige Kinder hervorgehen werden, die brauchen neben anderem ja auch ein sicheres Nest.

Vielleicht ist auch ihr Glaube Inspiration für uns, nun unsererseits den alten Christenglauben hervorzuholen, unsere Verdrängung des Todes zu überwinden und unser Leben auf ein Ziel in Gott und bei Gott auszurichten.

Ja, wir brauchen MINT-Studenten, da hat Sarrazin Recht. Aber wir brauchen auch warmherzige, lebensfrohe Menschen, die den MINT-Eliten helfen, nicht in gesellschaftlichen Kühlschränken zu erfrieren. Vielleicht ist das die Kraft der Zuwanderer aus Nahost, Afrika und sonstwo, deren Kinder derzeit in unseren Hauptschulen steckenbleiben. Zusammen mit uns alten Deutschen können sie eine Gesellschaft bauen, die beides kann, MINT fördern und den Nächsten lieben.



Mittwoch, 15. September 2010

Korsische Türme




Die Türme auf nördlichen Landzunge Korsikas, dem Cap Corse, sind sicherlich nicht als Wacht- und Kontrolltürme der Genuesen gebaut worden, von denen herunter man vorbeifahrende Schiffe beschießen und zur Abgabe von Zoll zwingen konnte. Dafür stehen sie oft zu weit von der Küste weg, etwa am Rand einer kleinen Ansiedlung, an einem Berghang weit vom Meer.

Sie erscheinen mir eher kleine Fluchtburgen zu sein, in Frühzeiten zum Schutz gegen die immer wieder hier auftauchenden Seeräuber, später als Rückzugspunkt in allerlei möglichen Fehden innerhalb des Landes. Die Herrschaft der Genuesen war lang, etwa 400 Jahre, aber nicht immer unangefochten. Leicht geriet man zwischen die Interessen ansässiger Adelsfamilien und genuesischer Gouverneure. Da war es gut, wenn man sich gelegentlich mitsamt Familie und Vorräten irgendwo in Sicherheit bringen konnte.

Ein einziger Turm macht allerdings eine Ausnahme: der Torra di Seneca, wie er korsisch heißt, hoch über der Paßstraße, die Santa Severa an der Ostküste mit Pino an der Westküste verbindet. Er steht in unwirtlicher Einsamkeit auf einen kahlem Felsen und ist ein Ort, von denen man auf Anhieb sagen kann, daß er für den großen Denker und Staatsmann, der hier acht Jahre leben mußte, eine angemessene Exilstätte gewesen sein könnte. Ich sagte schon, daß seine Anwesenheit in diesem Turm nur eine Legende ist, aber es ist eine schöne.

Als wir die Paßhöhe erreicht hatten, kam ein Gewitter auf, und Blitze umzuckten den erhabenen Felsen mit dem Turm über uns. Unten überschattete ein kleiner Pinienhain mit elegant geformten alten Bäumen wie sie ganz ähnlich auch an der Via Appia stehen könnten, einen Rastplatz, eine uralte Kirche stand daneben, die ebenfalls aus Rom übernommen sein könnte – ein perfekter Platz, um hoch darüber, oben zwischen Bergen und Himmel stoische Philosophie zu schreiben.

Das hat Seneca in dieser Zeit auch getan, eine Kirche hat er allerdings nicht gesehen, denn zu Beginn seiner Verbannung, im Jahr 41, war die christliche Religion gerade einmal wenige Jahre alt und noch nicht weit über die Grenzen Judäas verbreitet. Legenden wollen wissen, daß Seneca, der wie Jesus um das Jahr Null herum geboren wurde, später in Rom den Paulus getroffen hat und von ihm getauft worden ist. Aber es ist eher zu vermuten, daß Seneca im Gegenteil an der Ablehnung des Christentums durch die römische Staatsmacht mitgewirkt und geistig den Weg für den großen militärischen Schlag vorbereitet hat, der um das Jahr 70 gegen Jerusalem geführt wurde. Damals wurde der Tempel zerstört, und einiges spricht dafür, daß man damit dem Judentum und dem Christentum gemeinsam den Todesstoß versetzen wollte.

Gerne wüßte man sehr viel mehr über diese Zeit, in der nicht nur Seneca im Turm, sondern auch Paulus in einem römischen Gefängnis seine Gedanken niederschrieb. Die beiden hatten eine gemeinsame Sprache, aber was geschehen wäre, wenn sie sich tatsächlich getroffen hätten, ist schwer zu sagen.

Wir sind mittlerweile nach Corte ins Landesinnere weitergefahren und wollen heute unser erste Wanderung oberhalb der Baumgrenze beginnen - am Fuß des Monte d'Oro (2.234 m), um den sich der berühmte Fernwanderweg GR 20 windet.



Dienstag, 14. September 2010

Korsisches Grün





Weite Teile der Nordspitze unsere Insel sind mit Macchia überzogen, die von Weitem ein wenig öde wirkt, aus der Nähe betrachtet aber ein überraschend variantenreiches Gemisch aus den unterschiedlichsten Büschen und Bäumen aufweist. Schon die flache Vorform der Macchia, die Garrigue mit ihren nicht mehr als hüfthohen Kräutern, besitzt eine abwechslungsreiche Palette an Grüntönen, die sich aber von der eigentlichen Macchia, dem Maquis, wie die Franzosen sagen, durch die Höhe der dort wachsenden Bäume unterscheidet.

Wir können uns auf den kurvenreichen Fahrten über Land nicht satt sehen an dem silbernen Grün der Oliven, die hier manchmal dicht wie Hecken die Straßen säumen. Es wechselt sich mit den unterschiedlichsten Grüntönen der Kastanien, Eichen, Heide- und Wachholdersträucher ab, die hier offenbar von vergleichsweise häufigen Regenfällen üppig gedeihen.

Spuren des Regens oder der Schneeschmelze finden wir bei unserer ersten längeren Wanderung hinauf auf einen etwa 600m hohen Grat der Bergkette, die das Cap Corse durchzieht. Die Wege sind oft stark ausgewaschen und machen das Gehen schwer.

Auch den Erdbeerbaum entdecken wir, wenn auch mit etwas Nachhilfe durch Wikipedia. Seine an eine chinesische Lychee erinnernden Früchte sind eßbar, die Corsen ernten die reifen und dann leuchtend roten Früchte und brennen einen Schnaps daraus oder streichen die Marmelade der Arbouse aufs Brot.

Viele Geschichten ranken sich um die Macchia. Alle möglichen Gegner der Staatsgewalt fanden dort immer wieder ihr Versteck. Die Einheimischen, denen wir begegnen, sehen allerdings nicht so aus, als ob sie in der Lage wären, sich für längere Zeit in die Macchia zu verziehen, bis eine Blutrache oder ein Steuerdelikt in Vergessenheit geraten ist. Aber wenn sie Wege und Pfade dort kennen, dann verschluckt sie das Dickicht in dem Augenblick, in dem sie sich einen einzigen Meter von der Straße entfernen.



Montag, 13. September 2010

Rogliano / Korsika




Die früher einmal hier auf der Nordspitze der Insel herrschenden Genueser haben das Land mit einem Netz von kleinen runden Wachttürmen überzogen, die wie die Figuren eines Schachspiels in der Gegend herumstehen. Einer der Türme, den wir heute noch erwandern wollen, soll der Legende nach aus Römerzeiten stammen und dem Philosophen Seneca zwischen 41 und 49 n.Chr. während der Zeit seiner Verbannung durch den Kaiser Claudius als Wohnsitz gedient haben. Seneca wurde am Ende dieser Zeit wieder nach Rom beordert und zum Erzieher eines Stiefsohns des Claudius berufen – Nero. Dessen erste, von Seneca begleiteten und später von den Historikern wohlwollend beurteilten Regierungsjahre wurden also gewissermaßen auf Korsika vorbereitet. Die zunehmende Verfinsterung Neros änderte später alles und kostete bekanntlich ungezählten Menschen das Leben, auch seinem Lehrer Seneca.

Das alte Städtchen Rogliano wirkt teilweise verlassen, die Bewohner arbeiten möglicherweise in Lyon oder Mailand und nutzen ihre verschachtelt aneinander gebauten Häuser, die überwiegend nur über schmale Pfade und Treppen zu erreichen sind, wohl nur noch als Feriendomizile.

Über dem Ort steht die große Kirche zum heiligen Lamm, Sant Agnellu. Sie ist wie viele Kirchen im Mittelmeerraum bis auf die große Fassade äußerlich schmucklos. Die Fassade dagegen spricht von einer uneingeschränkten früheren Macht der Kirche. Heute sind die Zeichen des Zerfalls nicht zu übersehen. Aus dem Gesims über dem Portal der Kirche wachsen kleine Bäume, die niemand beseitigt.

Ähnlich sehen auch die Kirchen in den lateinamerikanischen Filmen aus. Ein wenig träumend auf dem großen Vorplatz vor Sant Agnellu stehend würde es mich nicht wundern, wenn gleich eine Prozession mit Indiojungen aus dem Fim "Missiones" erschiene und glockenhell „Jesu, meines Herzens Freude“ sänge.

In der Realität hörten wir am Sonntag durch die offenen Türen die Lieder der Gemeinde. Sie waren jugendlich und klangen ähnlich, wie sie auch "bei uns" (in meiner modern eingestellten evangelischen Freikirche) gesungen werden. Die Kirche wendet sich hinter imperialen Fassaden erneut dem Volk zu.



Sonntag, 12. September 2010

Macinaggio / Korsika




Ein kleiner Hafen, die gewundene Küstenstraße, an der entlang sich bunte Häuser reihen mit Restaurants und Läden im Erdgeschoß, ein grüner Streifen mittendrin mit einem Straßencafé, zwei Gläser mit Pastis*auf dem Tisch, ein milder Wind vom Meer – und die Augen eines hungrig auf sein Abendessen wartenden Reisen überziehen sich mit einem hauchdünnen milden Schleier, hinter dem alles Übel der Welt klein wird und die Lust zu leben sich erneuert.

Ach, Ihr frommen Christen, die ihr verächtlich auf diesen Schleier blickt, und ihr frommen Muslime, denen die Ausleger des Korans ihn gänzlich verboten haben: wißt ihr, was Euch entgeht?

An einer Stelle tritt die Häuserreihe etwas zurück und gibt zwei gestutzten Platanen mit mächtigen Stämmen Raum, in deren Schatten eine Gruppe von älteren Männern Boule spielt. Auch eine junge Frau gehört zu einer der beiden Dreiermannschaften, sie hat eine schöne männliche Art, die Kugeln am Ende einer Spielrunde zunächst mit einer achtlosen Geste mit ihren schlanken braunen Beinen wegzurollen, bevor sie sie mit einer schnellen Bewegung vom Boden aufnimmt.

Unser Hotel liegt in den Bergen oberhalb des Hafens und blickt auf die Buchten und Inseln herunter, ganz rechts kann man Elba sehen und in der Mitte die ebenfalls bewohnte italienische Insel Capraia, am Horizont flimmert die dünne blaue Linie des italienischen Festlandes.

Später dann leuchten über der stillen Nacht wunderbar die Sterne, am Morgen erscheinen im Südosten die Wintersternbilder Orion, Zwillinge und Siebengestirn, dann kräht ein einsamer Hahn, die Sonne geht auf und taucht alles in pures Gold.

*Anisschnaps, der beim Aufschütten mit Wasser und Eis eine gelb-milchige Farbe annimmt









Freitag, 10. September 2010

Moi, je suis Corse






Es ist fast fünfzig Jahre her, da nahm der Vater uns Kinder unweit der französisch-belgischen Grenze mit in ein Gasthaus, welches von einem korsischen Wirt geführt wurde. Wir waren auf der Rückfahrt von einem Bretagne-Urlaub und machten mit unserem Wohnwagen auf halbem Weg nach Hause Station. Ich erinnere mich noch an das gulasch-ähnliche Gericht, das man uns mit großen Worten als korsische Nationalspeise und damit als eins der vorzüglichsten Rezepte der ganzen Welt anpries, das sich dann aber als eine eher breiige Masse erwies, die durch ein Übermaß an schwarzen Oliven leicht bitter schmeckte. Das Ganze konnte außerdem nur sehr langsam gegessen werden, weil man die einzelnen Olivensteine mühsam abnagen und ausspucken mußte, für uns Kinder damals eine unverständlich unbequeme Art zu essen.

Der Wirt hatte beim Lob seines Gerichtes auch immer wieder auf seine eigene Abstammung von der Insel Korsika hingewiesen. Moi, je suis Corse! sagte er mit leuchtenden Augen, gerade so, als ob diese Tatsache eine der ebenfalls vorzüglichsten menschlichen Eigenschaften der Welt bezeichnete. Moi, je suis Corse! wurde dann das Lieblingswort meines Vaters, das er, der selbst ein Hobbykoch war, immer dann feierlich aussprach, wenn er etwas Gutes gekocht hatte und seinen Stolz darüber ausdrücken wollte. Er sagte es auch, wenn es ein rein deutsches Gericht war.

Moi, je suis Corse! wurde außerdem später das familieninterne Scheltwort, wenn es darum ging, ein Mitglied der Familie oder der näheren Verwandtschaft wegen seines übergroßen Selbstbewußtseins zu imitieren und damit zu tadeln. Es galt bei uns als unchristlich, die eigene Ehre zu suchen, und sei es die nationale. Zwar besaß mein Vater einen nicht unbeträchtlichen Nationalstolz, er wäre aber wohl nie auf die Idee gekommen, im Kreis von Menschen anderer Nationalitäten Ich bin Deutscher! zu sagen und wie selbstverständlich zu erwarten, daß alle anderen jetzt in Ehrfurcht verstummen.

Ab Samstag werden wir unseren Urlaub auf der Insel Korsika verbringen, welche von den Griechen Kalliste, die Schönste, genannt wurde. Mit Höhen bis zu 2.700 m ist sie ein Gebirge im Meer wie Maupassant gesagt hat. Vielleicht läßt sich dort Christianes Wunsch nach einem Urlaub am Meer und mein zeitlebens damit im Konflikt stehender Wunsch nach einem Urlaub in den Bergen endlich auf milde Art versöhnen.

Wie auch immer - ab morgen gilt für mich: Moi, je suis Corse!



Mittwoch, 8. September 2010

Hohe Feiertage




Der Monat Ramadan (in Israel: Elul*) endet heute, nachdem sich am Himmel der astronomischen Neumond vollzieht und früh am Abend die schmale Sichel des neuen Mondes erscheinen wird. Damit beginnt der Mondmonat Schawwal (in Israel: Tischri).

Morgen, am 1. Schawwal, ist bei den Muslimen Ramazan Bayramı, das Ramadanfest, das die Araber Idu l-Fitr nennen. Bei den Juden beginnt am selben Tag, am 1. Tischri mit Rosch ha-Schana das Neue Jahr und die "ernsten Tage" darin, mit Jom Kippur am 18. September. Die Muslime besuchen morgen Vormittag ihre Moschee und danach und am Tag darauf Verwandte und Freunde. Die Kinder bekommen in Nordrhein-Westfalen auf Antrag schulfrei.

Wer einen Moslem trifft, kann ihm ein gutes Ramadanfest wünschen, einen Juden erfreut man mit einem Wunsch zum Neuen Jahr.

Vermeiden sollte man das Wort "Zuckerfest", das ist die säkulare Variante, vergleichbar dem "Jahresendfest" in der DDR, mit Väterchen Frost statt Jesus. Ich habe noch nicht ganz herausgefunden, was schlimmer ist, einem Moslem zum Zuckerfest oder einem Christen zum Jahresendfest zu gratulieren. Vielleicht können sachkundige Muslime hier mal einen Kommentar schreiben.

*ändert sich von Jahr zu Jahr, weil die Juden Schaltmonate einfügen, um den Elul immer als einen Spätsommermonat zu halten, während die Muslime ihren Mondkalender unverändert lassen, wodurch er sich jährlich um etwa 10 Tage rückwärts verschiebt.