Donnerstag, 28. Mai 2009

Gülen-Konferenz in Potsdam





Die Konferenz am vergangenen Dienstag und Mittwoch war für die weltweite Gülen-Bewegung ein erster Versuch, mit einer großen Veranstaltung auch in Deutschland an die Öffentlichkeit zu treten. Nach meinem Eindruck ist der Schritt gelungen und dies vor allen Dingen deshalb, weil die besten Fürsprecher für einen Dialog im Sinne des Philosophen Fethullah Gülen (geb. 1941) vornehmlich aus dem jüdischen, katholischen und protestantischen Lager kamen. Die Moslems, vornehmlich durch deutsche Türken vertreten, hielten sich höflich und bescheiden zurück. Von den 35 Rednern in Potsdam (aus elf Ländern) hatten nur sieben einen türkischen Hintergrund, die Mehrheit waren Deutsche, von denen wiederum eine größere Zahl aus der gastgebenden Universität Potsdam und ihren auf den jüdisch-christlich-moslemischen Dialog spezialisierten Instituten kam.

So kam es, daß man Rabbiner den Koran im Original zitieren hören und sich daran erinnern konnte, wie nahe die Sprache des Alten Testamentes der Sprache des Korans ist (im Bild das in der Konferenz allgegenwärtige Logo des Instituts für Religionswissenschaft in den drei Sprachen der drei Religionen des Buches). Am bewegendsten empfand ich den Vortrag des 68 jährigen Jesuiten Thomas Michel aus Missouri/USA, der lange Jahre im Vatikan für den Dialog mit den Moslems zuständig war. Er schilderte die Bemühungen Gülens, mit dem er befreundet ist, um ein in der Gegenwart Gottes gelebtes Alltagsleben mit Worten, die in gleicher Weise der alten Denkweise christlicher Mönche verbunden waren wie dem Denken Gülens. In beiden Welten ist die praktische Arbeit dann am besten getan, wenn sie Gott als den eigentlichen Empfänger im Blick hat. "Hizmet", Dienst, ist das islamische Wort dafür, aber so, wie es Thomas Michel erklärte, war es auch seinem eigenen, katholischen Denken ganz unmittelbar verwandt.

Eine sehr anschauliche Brücke zu traditionellen christlichen Denkformen schlug der junge Heidelberger Religionswissenschaftler Michael Blume, dessen Verständnis der Gülen-Bewegung vermutlich von eigenen Erfahrungen mit dem schwäbischen Pietismus geprägt ist. Für ihn sind die Nachhilfe-Einrichtungen und Schulen der Gülen-Leute verwandt mit entsprechenden Einrichtungen des Pietisten August Hermann Francke (1663 bis 1727), dessen Frömmigkeit von einem starken Impuls begleitet war, unterprivilegierten Kindern eine gute Schulbildung zu verschaffen. Außerdem halten die Pietisten bis heute in ganz ähnlicher Weise wie Gülen ihre Leute dazu an, sich in kleinen Gruppen zum Studium der heiligen Schriften zu versammeln. "Sohbet" heißt das bei Gülen, "Stund" hieß es bei den Pietisten (Hauskreis sagt man dort heute, und zusammen mit meinem Freund Nureddin und seiner Frau haben meine Frau und ich uns bei unseren ersten Gesprächen darüber gefreut, wie ähnlich die Tradition in unseren ansonsten so unterschiedlichen Lebenskreisen ist).

Von der treuen Dienstergebenheit der Gülen-Lehrer in den abgelegensten Winkeln der Welt konnte man teilweise von ihnen selbst erfahren. So standen in der Kaffeepause zwei türkische Lehrer neben mir am Bistro-Tisch, die in einer Gülen-Schule in Kasachstan unterrichteten. Eine Kollegin der beiden berichtete, wie man dort gelegentlich lange, strapaziöse Reisen durch die Steppe auf sich nimmt, um Schüler, die aus unbekannten Gründen nicht zum Unterricht kommen, wieder für die Schule zu gewinnen. Es gibt an Gülen-Schulen weltweit keinen Religionsunterricht, viele Lehrer sind nicht einmal Moslems, und wenn sie es sind, dann sollen sie bestenfalls durch ihr gutes Beispiel überzeugen, nicht durch Mission.

Überhaupt spielt das gute Beispiel besonders für die Gülen-Anhänger in Deutschland eine wichtige Rolle. Die meisten sind wie mein Freund Nureddin akademisch gebildete Türken der zweiten Generation und haben erlebt, wie ihre Altersgenossen in großen Zahlen in deutschen Schulen gescheitert sind. Dort hat ihnen niemand glaubhaft machen können, daß sie das Zeug hatten, die Anforderungen der Schule zu erfüllen. Ihnen fehlte ja allen der Arzt- oder Anwalts-Onkel, der Ingenieur-Vater oder Lehrer-Nachbar, mit dem viele deutsche Kinder wie selbstverständlich in ihrer näheren Umgebung aufwachsen, Personen, die man aus der Nähe betrachten und denen man nachstreben kann.

Leider bilden die deutschen Lehrer nur selten Ersatz für solche Bezugspersonen, weshalb die Gülen-Leute auch in Deutschland begonnen haben, Schulen zu gründen, in denen Lehrer bewußt dazu angehalten werden, solche Vorbild- und Ermutigungsfunktionen zu übernehmen.

Hinter allem aber steht der schlichte, ja ich wiederhole es gerne: pietistische Glaube, daß man sein Leben in der täglichen und stündlichen Gegenwart Gottes leben kann. So lebt es mir mein Freund Nureddin, mit dem ich zusammen in Potsdam war, immer wieder vor, und mir scheint: ich werde unter seinem Einfluß ein besserer Christ. Fethullah Gülen würde das freuen, denn er lehrt eine enge Verbundenheit derjenigen Menschen untereinander, die in ihrem eigenen Glauben gefestigt sind.

1 Kommentar:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Ein in der Gegenwart Gottes gelebtes Alltagsleben, das ist ein Satz, den ich mir zueigen machen kann. Dabei müßte ich wohl auf die Intimität des Wortes Gott verzichten und eher von einer übergeordneten Instanz außerhalb meiner selbst und der Menschheit sprechen. Von diesem recht abstrakten Punkt im Weltall aus sollte es mir eigentlich leicht fallen die Annäherungsschritte zwischen Christenheit und Islam nur frohen Herzens zu verfolgen. Tatsächlich aber ist es mir leid um die Differenz.

Natürlich ist mir klar, daß innerhalb des großen Geschehens der Gegenwart, soll es nun Globalisierung oder Entstehung einer Weltgesellschaft heißen, eine größere Annäherung zwischen den Menschengruppen wichtig und unausweichlich ist, und doch, so denke ich, sind Konturen der Verschiedenheit unverzichtbar für unser Leben. Der Tag, an dem sich die Menschheit über alles einig wäre, könnte nur ihr letzter sein. Für den Bestand, zur Aufrechterhaltung der Differenz bedarf es aber einer gewissen operativen „Feindschaft“, einer Immunfähigkeit.

Wenn ich mir also, ausdrücklich zur kritischen Lektüre aufgefordert, etwas wünschen sollte, so wäre es ein stärkeres Auszeichnen der Unterschiede. Nehmen wir August Hermann Francke. Schulen im 17./18. Jahrhundert und den Zugang zu ihnen kann man sicher nicht ohne eine gewisse Gewaltsamkeit mit Schulen und dem Zugang zu ihnen im 21. Jahrhundert über einen Kamm scheren. Was den Pietismus anbelangt, so kenne ich mich nicht gut aus, habe aber immer gehört, daß er bereits im engen europäischen Nachbarschaftskontext eine deutsche Sonderstellung begründet, da wäre es schon verwunderlich, wenn er im türkisch-moslemischen Kontext ungeschmälert wiederauferstehen könnte.

In Gülen II ist das Verhältnis von Einheit und Differenz in eine schöne poetische Schwebe gebracht. Nun ist auch schon Gülen III im Netz: Es ist mir noch einmal klar geworden, was ich bei den Frommen suche: ihren Glauben an die Gegenwart Gottes. – Da will ich mich nicht länger wehren.