Sonntag, 6. Januar 2013

Anna Karenina



Warum gehe ich nach der Vorführung dieser Neuverfilmung so glücklich aus dem Kino? Ist es die Begegnung mit Keira Knightley in der Hauptrolle, deren Schönheit mich schon beim ersten Foto, das ich in einer Filmvorschau in der Zeitung sah, in den Bann schlug? Oder ist es die zauberhafte Theatertechnik des Films, in dem die meisten Szenen des mehr als 900 Seiten langen Romans in einer Art von Bühnenhaus spielen, in denen die Räume in schneller Folge – eine Tür öffnet sich, eine Wand wird eingefügt, ein Vorhang wird gehoben, senkt sich wieder  – wechseln?
Ich kann es nicht mit einem Satz sagen, denn es ist hier unter der ambitionierten Regie des englischen Regisseurs Joe Wright und einem unkonventionellsn Drehbuch (Tom Stoppard) ein großes Werk entstanden, das sich auf viele grundlegende künstlerische Einsichten stützt. In derNew York Times hat Wright gesagt, er habe sich beim Studium der Tolstoi-Zeit mit dem russischen Regisseur Meyerhold (1874 - 1940) beschäftigt, der gesagt hat, man könne durch eine vereinfachende Stilisierung einer Szene die dekorative Oberfläche entfernen und zum Wesen der Handlung kommen. Im Sinne dieser Stilisierung werden die Szenen des Films durch das vorgegebene Bühnenhaus immer wieder wie durch den Blick in einen Guckkasten eingeleitet. Man muss uf diese Weise nicht erzählerisch in sie eingeführt werden, es ist immer sehr bald klar, um was es in der nächsten Szene geht. Und dann geben die Schauspieler den Ton an, nicht das filmische Drumherum.

Joe Wright hat über seine Grundintentionen gesagt, er habe die Geschichte erzählen wollen, die Tolstoi im Sinn gehabt hat. Deshalb hat er auf jeden Versuch verzichtet, dem Typ von Frauenfilm zu folgen, in dem die Heldin das Opfer ihrer Pflichten, ihrer Gesellschaft, ihres Schicksals ist. Er hat sich stattdessen mehr für das innere Drama der handelnden Personen interessiert als für moralische oder sozialkritische Bewertungen.

Keira Knightley entspricht auf wundersame Weise dem Bild, das ich mir von Anna gemacht habe, als ich ihren Roman 36jährig erstmals las. Ich kann mir vorstellen, dass viele Leser des Buches es genauso empfinden. Man wird nicht müde, in ihrem schönen Gesicht zu lesen – das Selbstbewusstsein ihrer Attraktivität, die Angst vor dem verhängnisvollen ersten Schritt, die Entschlossenheit zu einer bedingungslosen Liebe, der Zweifel, am Ende die Verzweiflung. Sie ist keine tragische Gestalt, kein Opfer, keine Figur, an der ein Exempel statuiert wird, sie ist ein Mensch mit der Kraft, Großes zu erleben aber auch bodenlos zu scheitern.


Anna Karenina gibt dem Roman seinen Sinn, den die Geschichte vorantreibenden Motor, den Namen. Aber fein eingewebt ist – und das zeichnet der Film sehr bewegend nach – die Geschichte von Konstantin Lewin (gespielt von dem Iren Domnhall Gleeson, Foto), in welcher Tolstoi sein eigenes Leben abbildet, und in der er seinen persönlichen Weg zu Gott nacherzählt. Hier kann der Film nicht alles das weitergeben, was man im Roman aus den Gesprächen Lewins mit den schlichten, frommen Bauern seines Dorfes erfährt, die ihm die entscheidenden Anstöße geben. Aber das einfache und gerade Leben, in das am Ende auch die schließlich doch zur Hochzeit bereite Kitty (zunächst auch sie, wie Anna im Bann des verführerischen Grafen Wronskij) mit eintritt, steht als klarer Gegenpol zum Leben Annas, das in seiner gloriosen Pracht scheitert. In einer anrührenden Szene wäscht Kitty den kranken, heruntergekommenen Bruder Lewins, und es wirkt gerade so, als wäre der leidende Christus in das Landgut der Lewins eingekehrt.


Für Tolstoi war die Gottessuche sicherlich das beherrschende Thema seines Romans. Er hatte diese Suche schon in der Gestalt des Pierre Besuchow in Krieg und Frieden begonnen und hat sie in Lewin zu einem vorläufigen Ende geführt. Aber Tolstoi hat gleichzeitig sein Genie genutzt, um in Anna Karenina das wunderbare Gemälde einer großen Person zu schaffen, die man liebt, verehrt, mit der man hofft und bangt, und deren Tod uns tief berührt. In meinem Herzen lebt sie weiter – seit gestern nun also mit den Zügen der Keira Knightley.         






1 Kommentar:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Keira Knightley habe ich als sehr junge Heldin einer Jane Austen-Verfilmung vor Augen, da werde ich mich umgewöhnen müssen. Daß es in Tolstois Prosa dekorative Oberflächen gibt, möchte ich bezweifeln und muß daher abwarten, ob mir die genannten Stilisierungen zusagen.