lass mich noch einen vorsichtigen Versuch unternehmen, den „immanenten Rahmen“ schließlich doch als einen gemeinsamen Startpunkt für unsere unterschiedlichen Wege festzulegen. Ich glaube, wenn der Anfang derselbe ist, wird es deutlicher, in welche unterschiedlichen Richtungen wir uns bewegen.
Die Theorie vom immanenten
Rahmen des Charles Taylor behauptet ja eine Basis, von der alle modernen Menschen,
Gläubige wie Ungläubige gemeinsam ausgehen. Diese Basis ist quasi-atheistisch. Sie
besagt: wenn wir im Alltag miteinander leben und uns über die Dinge des
täglichen Lebens austauschen, werden wir sehr bald feststellen, dass der
Gedanke an das Eingreifen einer transzendenten Kraft für gewöhnlich in keinem
unserer Gespräche auftaucht. Das ist besonders beim Umgang mit den Computern zu
beobachten, aber auch etwa bei der Planung bestimmter Gespräche und
Konferenzen, bei der wir gemeinsame Strategien finden, wie wir auf andere
Menschen reagieren und welche Reaktionen wir von Ihnen erwarten. Gott wird in
diese Gespräche nicht eingreifen, so wenig wie er in das Wetter oder in die
Börsenkurse eingreift. Damit rechnen die Ungläubigen, und die Gläubigen rechnen
genauso, und das macht unser gemeinsames Leben und Zusammenarbeiten einfach.
Nun verstehe ich natürlich Deine
emanzipatorischen Anstrengungen, was die Befreiung betrifft, die Du angesichts von
bestimmten religiösen Vorgaben erreichen willst. Hier sind wir alle mit
Vorstellungen und Ideen aufgewachsen, die wir später, in unserem
Erwachsenenleben überprüfen müssen. Trotzdem meine ich, dass uns die gemeinsame
Plattform von säkularen, auf das Immanente beschränkten Lebenserfahrungen bleibt, Es ist ein Rahmen, in dem wir uns mit einer
schönen Leichtigkeit begegnen und es immer wieder schaffen, gemeinsame
Lebensstrategien zu finden.
Mir ist es wichtig, von
diesem Punkt auszugehen, an dem wir uns zunächst einmal nicht unterscheiden.
Dann können wir nämlich gemeinsam an die Frage herangehen, ob wir mit
diesem säkularen Denken wirklich alles erfassen, was es an erfassbarer Realität
gibt, und ob uns das ausreicht. Hier habe ich ja bereits von der mich
überraschenden Antwort geschrieben, welche der Mann am See Genezareth gefunden
hat, der als Atheist durchaus darüber reden will, transzendente Erfahrungen zu
machen.
Wenn das möglich ist, würde
es für mich bedeuten, dass wir nicht nur unseren Alltag im säkularen Rahmen
problemlos gemeinsam gestalten, sondern auch über unsere Träume und Visionen in
großer Freiheit miteinander reden können, ohne am Ende Argumente darüber austauschen
zu müssen, ob diese Träume und Visionen einen Hinweis auf Gott enthalten oder
nicht. Wir könnten also eine lange Wanderung miteinander machen, ohne uns
irgendwo auf dem Weg trennen zu müssen. Wir könnten beide zusammen Menschen in
ihrer vollkommenen Menschlichkeit bleiben und die Frage nach Gott als etwas ansehen,
das uns nicht wie zwei in entgegengesetzter Richtung fahrende D-Züge
aufeinanderprallen lässt, je nachdem, wie wir sie beantworten.
Vielleicht sollte ich noch
sagen, dass ich mit dieser Aufweichung konventioneller Grenzen nicht
beabsichtige, Dich sozusagen auf meine Seite zu ziehen, genauso wenig wie ich
dadurch auf Deine Seite geraten würde. Ich möchte allerdings gerne ein wenig
von dem mir immer vollkommen wasserundurchlässig erscheinenden Lack auf der
Außenseite der Atheisten in Frage stellen, etwas von dem, was mir unnatürlich und synthetisch
erscheint. Mir ist die Welt des Glaubens immer wärmer und lebendiger erschienen
als die Welt des Unglaubens. Man konnte sich dort zwar blaue Flecken holen,
weil es immer wieder Menschen gab, die den Glauben dazu zu nutzen verstanden,
Hierarchien zu bilden und andere Leute herum zu schubsen. Aber das war für mich
niemals die ganze Wahrheit über den Glauben, und was ich dort als Wärme erlebt
habe, möchte ich niemandem in der Welt vorenthalten
Ist das eine Einladung zu
einer gemeinsamen Wanderung?
Ich würde mich freuen, wenn
es so wäre!
Lieber Gruß
Dein Vetter Christian
1 Kommentar:
Lieber Vetter, dessen Name Programm ist...
Unbenommen lassen sich viele Dinge im Alltag gemeinsam regeln, ohne dass es der Abstimmung der jeweiligen Weltsicht bedarf. Doch das uns beide Trennende liegt weit im vorreligiösem Bereich. Sobald Du von transzendentalen Dingen sprichst, haben sich unsere Denkweisen getrennt, da Du außer der Materie, das einzige "Substrat" der Existenz, weitere Substrate annimmst.
Guten Nacht, Martin
p.s. Der Link (http://oding.org/index.php/was-lief-verkehrt/785-ein-chinese-warum-ich-heide-bin) ist etwas "obskur", jedoch die literarische Quelle ist angegeben für ein langes Zitat, dass ich Dir empfehle; in meiner Ausgabe ab Seite 344. Warum dieses p.s.? Da dieses Zitat zeigt wie alltagsrelevant die Entscheidung für eine Weltsicht ist und wie früh im vorreligösen Bereich unser Denken verschiedenen Wege nimmt.
Kommentar veröffentlichen