Samstag, 9. November 2024

Amsterdam und die Juden

Ich erinnere mich noch lebhaft an eine Predigt, die vor vielen Jahren ein holländischer Pfarrer in einer Kirche am Rand der Nordsee gehalten hat. Sie handelte von "Mokum", dem alten und geheimnisvollen Namen* für die Stadt Amsterdam, die in früheren Jahren Flucht- und Versammlungsort für europäische Juden war. In ganz Holland habe es Schilder an Wegkreuzungen gegeben, welche die Richtung auf Amsterdam / Mokum wiesen.

In der Predigt des Pfarrers war Mokum ein Ort, zu dem ein verfolgter Jude fliehen konnte, um in Freiheit zu geraten. Fragtest du nach Mokum, dann wurde dir ein Weg aus der Bedrängnis gewiesen, die in vielen europäischen Orten herrschte. Für Christen, so sagte der Pfarrer, gäbe es einen ganz ähnlichen Zufluchtsort: das Kreuz des Mannes aus Nazareth.

Später hat es mich nicht verwundert, dass der Amsterdamer Fußballverein Ajax eine enge Verbindung zum Judentum hielt. Das könnte zunächst daran gelegen haben, dass das alte Ajax-Stadium in einem Viertel lag, in dem vor 1933 viele Juden lebten - was die angereisten Fans anderer Vereine glauben machte, Ajax sei ein überwiegend in jüdischer Hand befindlicher Verein (was aber wohl nie stimmte).

Im Ergebnis haben sich Ajax und seine Fans einen Spaß daraus gemacht und haben an allen möglichen Stellen im Stadion jüdische Symbole gezeigt. Ganz ähnlich hat es der Londoner Verein Tottenham Hotspurs gemacht, dessen Fans sich nach einem Bericht des Spiegels aus dem Jahr 2013 sogar Yid Army nennen. Niemand in Amsterdam oder London denkt sich offenbar viel dabei - ähnlich wie die Kölner, deren Lied "Mer stonn zo dir FC Kölle" ebenfalls in meinen Ohren recht hohl klingt (aber schön, wenn es das ganze Stadion singt).

Vor diesem Hintergrund sind die Israel-feindlichen Krawalle schwer einzuordnen, die sich in der vergangenen Woche beim Europa-Liga-Spiel von Ajax Amsterdam und Maccabi Tel Aviv zugetragen haben. Ein Teil der Presse beschuldigt örtliche Marokkaner und Türken, hier Öl ins Feuer gegossen zu haben. Die türkische Presse und Al Jazeera berichten dagegen, dass auch die Israelis recht derb aufgetreten sind und u.A. palästinensische Flaggen abgerissen haben.

Ich möchte mein altes Mokum nicht verlieren! Und ich bitte alle, die dagegen sind, doch zu bedenken, dass das Leiden und die Befreiung der europäischen Juden am Ende dazu geführt hat, ganz Europa zu einem Ort zu machen, zu dem Menschen aller Nationen und Religionen strömen, die hier ihr neues Mokum finden können.

*Der Name geht auf das hebräische Wort für "Ort" zurück, maqom.

Donnerstag, 17. Oktober 2024

Wittgenstein, abgekürzt

 

Hier ist die von ChatGPT gekürzte Version des "Vortrages über Ethik", den der Philosoph Ludwig Wittgenstein (1889 - 1951) im Jahre 1929 gehalten hat:


Wittgenstein hält seinen „Vortrag über Ethik“ im Jahr 1929. Er beschreibt Ethik als das Streben nach dem Absoluten, nach dem Sinn des Lebens und der Welt. Er unterscheidet ethische Urteile von Tatsachenaussagen: Ethische Aussagen sind keine Beschreibungen der Wirklichkeit, sondern drücken unsere Haltung zur Welt aus. Wittgenstein argumentiert, dass solche Urteile eigentlich unsagbar sind, da sie über die Grenzen unserer Sprache hinausgehen. Dennoch spielen sie eine zentrale Rolle in unserem Leben, indem sie unsere Gefühle und unsere Art zu leben beeinflussen.

Er illustriert dies durch Beispiele: Wenn jemand sagt, „das Wunder der Welt“ sei unaussprechlich, dann meint er nicht ein faktisches Wunder, sondern ein Gefühl des Staunens, das nicht durch Sprache vermittelbar ist. In diesem Sinne sieht Wittgenstein ethische und ästhetische Aussagen als Ausdruck unserer Verwunderung über das Leben.

Wittgenstein erklärt, dass wir oft das Bedürfnis haben, über das Absolute oder das Wertvolle zu sprechen, auch wenn es außerhalb der Grenzen des Sagbaren liegt. Dies führt ihn zu der These, dass Ethik und Ästhetik transzendental sind: Sie überschreiten die Welt der Fakten, können aber nicht mit den Mitteln der Sprache erfasst werden.

Zusammengefasst vertritt Wittgenstein die Auffassung, dass Ethik eine tief empfundene, aber sprachlich nicht fassbare Dimension unserer Erfahrung ist.


Ich bin erstaunt! Als nächstes werde ich ChatGPT bitten, mir etwas von Immanuel Kant in eine Kurzversion umzuwandeln. 


Montag, 29. Juli 2024

Celine Dion singt



Si un jour, la vie t'arrache à moi,

Si tu meurs, que tu sois loin de moi

Peu m'importe si tu m'aimes

Car moi je mourrais aussi


Nous aurons pour nous l'eternitié

dans le bleu de toute l'immensité

Dans le ciel plus de problèmes

Mon amour, crois-tu qu'on s'aime?
 

Dieu réunit ceux qui s'aiment



Wenn eines Tages jedoch das Leben Dich mir entreißt
Wenn Du sterben oder weit von mir sein solltest
Es würde alles nicht von Bedeutung sein, 
wenn du mich liebst, weil auch ich dann sterben würde.

Wir werden die Ewigkeit für uns haben,
im Blau all der Unermesslichkeit. 
Im Himmel gibt es keine Probleme mehr.
Meine Liebe, glaubst du, dass wir uns lieben?

Gott vereint diejenigen wieder, die sich lieben.

Montag, 10. Juni 2024

Steinwurf durch ein Fenster der Kreuzkirche in Bonn

Gestern wurde ich Zeuge eines recht dramatischen Zwischenfalls. Während der Aufführung einer Johannespassion wurde von außen ein Stein durch das Fenster der vollbesetzten Kirche geworfen, und dieser Stein fiel aus einer Höhe von etwa 5 m, nachdem er einen der Sänger am Kopf getroffen hatte, mit einem lauten Knall auf eine hölzerne Bank.

Eigenartigerweise blieb der Vorfall von vielen Besuchern, die in der gut gefüllten Kirche um eine zentrale Bühne herum saßen, aus dem Grund unbemerkt, dass im Verlaufe der Handlung, die bei dieser Aufführung szenisch gestaltet war, eine große Anzahl von akustischen Effekten eingestreut waren, die den Knall des Steins als einen Teil der Handlung erscheinen ließen.

Die Zuhörer, die in der Nähe des Einschlags saßen, berichteten später, dass der Sänger blutüberströmt aus der Kirche herausgeleitet wurde und dass einige Polizisten am Ort erschienen. Dies konnten aber die meisten anderen Zuschauer nicht sehen oder nicht einordnen. Die Musik lief weiter, die Dirigentin konnte von ihrem Platz weder den verletzten Sänger noch die umherlaufenden Polizisten sehen und beendete das Konzert, bei dem ohnehin nur noch zwei Stücke auf dem Programm standen, kurze Zeit später.

Erst in den aufbrandenden Beifall hinein, bat sie um Gehör und gab die gute Nachricht weiter, dass der Sänger im Krankenhaus guter Dinge sei. Der Bonner Generalanzeiger meldete den Vorfall, wusste aber zu den Hintergründen nichts.

Auf dem Foto, das mein ältester Enkel kurz nach der Veranstaltung machte (sein Vater sang im Chor mit), ist das Loch gut zu sehen, welches der Stein auf seinem Weg in den Kirchenraum gebrochen hat. Der Steinewerfer, über den derzeit noch nichts bekannt ist, muss die mehr als 5 m bis zum Einschlagsloch, mit großer Kraft überwunden haben.

Samstag, 20. April 2024

Kafka

Man kann in diesen Tagen sehr viel über Franz Kafka erfahren. Sein Todestag jährt sich am 3. Juni zum 100. Mal. Zu diesem Anlass sind eine Reihe von guten Büchern erschienen, auch Filme entstanden, einer davon ist in der ARD-Mediathek anzusehen. 

Insgesamt wurde ein neuer Kafka präsentiert, der sich von dem Kafka unterscheidet, von dem mein Deutschlehrer, Dr. Werner Heldmann, ein Kafka-Experte, wie man uns sagte, im Jahre 1959 eine genaue Vorstellung zu haben glaubte. Vermutlich ging Dr. Heldmanns Kafka-Bild auf das zurück, was Kafkas Freund und Nachlassverwalter Max Brod der Welt vorgezeichnet hatte: dunkle, melancholische Augen, ein von der Welt abgewandter, ja verfolgter Mann, dem menschliche Kontakte fehlten. Immer wieder wurde sein angeblich extrem problematisches Verhältnis zu seinem Vater in den Vordergrund gestellt.

Heute sieht man Kafkas gedankliche Ausflüge in seine halb erträumten, halb realen Welten eher als ein geniales Spiel eines lebenslustigen, beruflich erfolgreichen Versicherungsjuristen an, ein Spiel, das er auch immer wieder selbst nicht ganz ernst nahm. Einmal fragte er nach einer öffentlichen Vorlesung seiner Stücke, warum die Menschen nicht häufiger gelacht hätten. Wie genial er Traum und Wirklichkeit verknüpfen konnte, geht aus einer Begebenheit hervor, die Max Brod erzählte: bei einem Besuch im Elternhaus der Familie Brod musste Kafka an dem Sessel vorbei, in welchem Vater Brod seinen Mittagsschlaf hielt. Leider wachte der schlafende Mann auf, und Kafka sagte leise: „Bitte betrachten Sie mich als einen Traum.“

Ich habe zuletzt ein Stück von Kafka gelesen, das er ganz am Ende seines Lebens in einer einzigen Nacht niedergeschrieben hat. Es heißt "Der Bau" (im Internet nachzulesen) und erzählt von einem Tier, vielleicht einem Dachs , das sich Gedanken über die Sicherheit und den Komfort macht, die es in seinem unterirdischen Bau genießt. Gewiss – man kann die zischenden Geräusche, denen das Tier im zweiten Teil der Geschichte nachgeht, als existenzielle Bedrohung deuten und nach Gründen suchen, warum Kafka gerade jetzt davon erzählt. Man kann aber auch einen spannenden, ja unterhaltenden Verlauf der ganzen Geschichte erleben und sich letztlich amüsieren.

Jemand schrieb jetzt, Kafka sei auch als Strandlektüre geeignet. Das halte ich für übertrieben, aber als Gegenmittel gegen die finstere Deutung von Max Brod ist der Gedanke vielleicht erlaubt.

Montag, 11. März 2024

Zatar



Meine Bekanntschaft mit diesem orientalischen Gewürz geht auf einen Tag im Januar 1999 zurück, als Christiane und ich in der Altstadt von Jaffa erstmals Zatar bekamen, ohne allerdings den Namen des Gewürzes zu kennen. Auch ohne zu wissen, was ich aß, muss ich beim Besuch im Restaurant Aladdin auf einer Terrasse hoch über dem Meer intuitiv verstanden haben, was den Reiz dieses Gewürzes ausmacht. 

Ich habe damals geschrieben, dass Zatar „so schmeckt, als habe man im Sommer alle wundersamen Gerüche der Bäume und Büsche des Mittelmeers darin eingefangen“.

Zatar ist eine Mischung von wildem Thymian mit gerösteten Sesamkörnern. In der Bibel kommt der wilde Thymian als Ysop vor, das Gewürz hat also eine uralte Geschichte, man kann bei Wikipedia mehr darüber lesen. Und es hat tatsächlich viel von dem Charakter der Landschaften um das Mittelmeer herum in sich.

In reiner Form habe ich Zatar kennen gelernt, als ich auf meiner Wanderung durch die West Banks zum Frühstück Fladenbrot mit einem Schälchen Olivenöl bekam und beides zusammen in eine Schüssel mit Zatar tauchen konnte. Diese wundersam kernige und aromatische Speise habe ich überall bekommen, später auch in Israel. Ich habe auch alte Leute in Palästina an den Weg- und Feldrändern gesehen, wie sie wilden Thymian gesammelt haben.

Das Restaurant Aladdin in Jaffa, auch das habe ich viel später erfahren, gehört palästinensischen Israelis und kocht entsprechend Arabisch.

Mittlerweile ist Zatar auch in Deutschland angekommen. Ich fand im Internet jetzt bei REWE das Rezept eines „Lemon-Zatar-Dip“, welches ich nach mehreren vorsichtigen Eigenversuchen auch erstmals Gästen vorgesetzt habe, die es sehr gelobt haben. Der Dip besteht aus fettem Joghurt (nach griechischer Art) mit Spinat und gehackten Artischockenherzen. Dazu runden Knoblauch, Schalotten, Zitronensaft und am Ende eine gute Prise Zatar das ganze ab.

Wer nach dem Essen ein wenig Heimweh nach dem Mittelmeer empfindet, der ist in rechter Weise vom Geist des Zatar ergriffen worden.

Montag, 26. Februar 2024

Kleinmacher und Großmacher

In dem neuen Buch How to Know a Person von David Brooks geht es um Wege, einen anderen Menschen besser kennen zu lernen. Einer der wichtigsten Hilfen dazu ist der Weg der Illuminators wie Brooks diese Menschen nennt. Ich übersetze vereinfachend mit „Großmacher“.

Diese unterscheiden sich von den Diminishers (die ich hier als „Kleinmacher“ übersetze) durch eine diametral andere Art und Weise ihren Mitmenschen zu begegnen. Ein Illuminator geht im Gespräch so sehr auf sein Gegenüber ein, dass dieses sich aufgewertet weiß. Dazu unterdrückt er den allen Menschen innewohnenden Impuls, einen Gesprächsfluss vornehmlich dadurch zu erhalten, indem man von sich selbst erzählt.*

Ein Beispiel: Frau A. war in Rom und beginnt, von ihren Eindrücken zu erzählen. Herr B. wartet das Ende dieser Erzählungen nicht ab, sondern berichtet seinerseits recht unvermittelt von seiner Reise nach Florenz. Es entsteht ein konventionelles Gespräch, bei dem aber im Ergebnis nicht herauskommt, dass Frau A. in Rom etwas erlebt hat, das ihr Wissen, ihren Horizont erweitert hat, und was Herrn B. helfen könnte, einen tieferen Einblick in das zu bekommen, was Frau A. ausmacht und bewegt.

Als Illuminator hätte Herr B. es anders gemacht, Er hätte eine Frage gestellt, welche Frau A. ermutigt hätte, mehr von ihrer Reise nach Rom zu erzählen. Weil er das nicht tut, erfährt er wesentliche Dinge nicht und trägt möglicherweise dazu bei, dass Frau A sich angesichts der Berichte des Herrn B. aus Florenz eher klein gemacht fühlt. Herr B. war hier als Diminisher am Werk.

Das ganze Buch von Brooks dreht sich um Methoden, sein Gegenüber besser kennenzulernen, indem man ihm die Möglichkeit gibt, in der sich fortspinnenden Unterhaltung immer wieder von sich zu erzählen, ohne von dem anderen unterbrochen oder auf andere Themen abgelenkt zu werden.

Ich habe beim Lesen des Buches daran gedacht, dass ich in meinem Leben bei vielen Gelegenheiten gerne ein Illuminator gewesen wäre. Ich bin recht zuversichtlich, dass mir dies auch an einigen Stellen gelungen ist, möchte aber gleichzeitig alle diejenigen um Verzeihung bitten, die ich durch eigene große Reden, durch Unterbrechungen oder einfach durch Desinteresse klein gemacht habe.

Ich habe auch daran gedacht, dass meine Lebensaufgabe als Christ eigentlich immer darin bestanden hat, anderen Menschen zu dienen. Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein, sagt Jesus in Markus 10,43. Da es heute wenig Sinn macht, anderen Menschen durch einfache technische Handreichungen zu dienen (das ist durchaus notwendig aber weniger oft gefragt), rückt der Dienst des Großmachens und der Dienst des Sich-selbst-Kleinhaltens stärker in das Zentrum der Betrachtung.

Wie schön wäre es doch, wenn die Christen in dieser Welt daran erkennbar wären, dass man nach einer Begegnung mit ihnen ein paar Zentimeter größer geworden ist!




*"In every crowd there are Diminishers and there are Illuminators. Diminishers make people feel small and unseen. They see other people as things to be used, not as persons to be befriended. They stereotype and ignore. They are so involved with themselves that other people are just not on their radar screen. Illuminators, on the other hand, have a persistent curiosity about other people." (from "How To Know a Person: The Art of Seeing Others Deeply and Being Deeply Seen (English Edition)" by David Brooks)

Donnerstag, 1. Februar 2024

Heute vor 50 Jahren: Beginn meines Berufsleben

Am 1. Februar 1974 habe ich zu arbeiten begonnen – mit einem Fehlstart. Das Flugzeug, das uns von der Hochzeitsreise zurück nach Deutschland bringen sollte, war vor Beginn der Reise für einen unbestimmten Zeitraum geplant, nach meiner Erinnerung vom 29. Januar bis zum 5. Februar. Kurz vor dem Abflug wurde uns mitgeteilt, dass der Flug nunmehr am 3. Februar stattfinden sollte.

Mein Onkel Johannes Runkel, in dessen Abteilung der Firma unserer Familie - oben sieht man das Logo - ich beginnen sollte, sagte mir nach unserer Ankunft an einem Wochenende am Telefon mit tiefgefrorener Stimme, bei jeder anderen Firma würde mir jetzt wohl wegen unpünktlichem Arbeitsantritt sogleich gekündigt. Aber ich solle kommen. Ich habe dann an einem Dienstag (5. Februar) meinen ersten Arbeitstag gehabt.

Die Voraussetzungen für einen freundlichen Empfang hatten sich schon in den Monaten zuvor verschlechtert. Der Onkel, den ich sehr gerne hatte (ich habe über ihn in diesem Blog geschrieben), lehnte mein Betriebswirtschaftsstudium rundheraus als unnötigen Umweg ab und war nah daran, mich allein deshalb gar nicht erst einzustellen.

Was mir schließlich geholfen hat, seine Zuneigung nach und nach wieder zu gewinnen, habe ich Wochen später auf Umwegen erfahren. Ich hatte in der Vorbereitung auf eine Betriebsratssitzung gesehen, dass die mit dem Schmieren von unzähligen Brötchen beauftragte Mitarbeiterin es nicht rechtzeitig schaffen würde, vor der Sitzung alle Brötchen vorbereitet zu haben. So habe ich mir kurzerhand ein Messer genommen und ihr geholfen.

Das hat man meinem Onkel dann offenbar berichtet und er hat einem seiner Freunde erzählt, dass ihm mein bescheidenes Auftreten gefallen habe. Der Freund erzählte es meiner Mutter, und meine Mutter erzählte es mir. Ich war beim Onkel wieder in Gnaden.

Im Nachhinein sehe ich auch die Kehrseite dieser Geschichte: in der Firma meiner Familie konnte man mit einem bescheidenen Auftreten mehr Respekt gewinnen als mit erfolgreichen Jahresabschlüssen. Die Abteilung, in der ich recht bald Geschäftsführer wurde, hat nicht lange überlebt. Das lag nicht alleine an mir, aber wenn ich meinen Beruf heute noch einmal bei Null anfangen könnte, würde ich versuchen, mein Renommee mehr auf Erfolg und weniger auf menschliche Faktoren zu gründen.

Indem ich dies niederschreibe, kommen mir allerdings Zweifel. Im Rückblick auf 50 Jahre erkennt man einige Grundzüge des eigenen Wesens. Und vielleicht passt das Bild vom Brötchen schmierenden guten Kameraden besser zu mir als das Bild vom knallharten Strategen.

Mittwoch, 10. Januar 2024

So schönes Wetter - und ich noch dabei!

Diese schönen und lebensbejahenden Worte habe ich vor vielen Jahren zum ersten Mal in den Lebenserinnerungen des Theologen Helmut Thielicke gelesen. Sie gehen auf den Schriftsteller Wilhelm Raabe (1831-1910) zurück. 

Neben dem ganz allgemeinen Lebensglück, das aus diesen Worten spricht, haben sie nach meinem Eindruck außerdem den tieferen Sinn, einen Blick auf die menschliche Existenz zu geben, indem sie diese für einen Moment lang anhalten.

Wir werden ja häufig aufgefordert, im „Hier und Jetzt" zu leben. Das ist aber nur schwer möglich, weil das "Jetzt", der Augenblick, ja nur eine dünne Linie zwischen Vergangenheit und Zukunft ist. Diese dünne Linie wird mit dem Blick auf das schöne Wetter nun allerdings ausgedehnt – schönes Wetter ist ja ein längerer Zustand, an dem man sich eine ganze Zeit erfreuen kann. Mit dem schönen Wetter im Blick hat man eine Vergrößerung der Linie des „Hier und Jetzt" und kann auf diese Weise schließlich doch mit einiger Klarheit auf sein eigenes Leben blicken.

Mir ging es gestern Morgen so, als ein strahlender Wintertag anbrach, der nach langen Wochen des Regens endlich noch einmal einen blauen Himmel ausspannte und eine schöne Sonne aufgehen ließ. Die Sonne färbte die Wand gegenüber von meinem Bett morgendlich rot - siehe Foto - und malte mir ein verheißungsvolles Bild zu meinem 75. Geburtstag. 

Ja, der Augenblick und später der ganze Tag waren schön - und ich war dabei!

Danke an alle, die mir gratuliert haben!

Sonntag, 7. Januar 2024

Peter van Woerden - heute vor 100 Jahren geboren

Peter van Woerden wurde am 7. Januar 1924 in Haarlem / NL geboren. Er entwickelte früh eine musikalische Begabung und spielte bereits mit 17 Jahren auf der Orgel seiner Kirche. Zum Verhängnis wurde ihm, dass er während der deutschen Besatzungszeit dort die holländische Nationalhymne, den „Wilhelmus" spielte und prompt in deutscher Haft landete. Dort fand er zum Glauben, besuchte eine Schweizer Bibelschule und war bis zum Ende seines Lebens als Musiker und Kinderevangelist in der ganzen Welt unterwegs.

Ich lernte ihn während meiner Grundschulzeit kennen, weil er mit meinem Onkel Johannes Runkel befreundet war und diesen häufiger besuchte. Zu meinen schönsten Erinnerungen gehört eine Woche in einem Ferienhaus in der Nähe von Remscheid, in der Peter mit seiner Familie eine Zeit lang wohnte. Von seinem warmen Orgel- und Klavierspiel habe ich viel übernommen, so viel sogar, dass ich bei einem späteren Besuch, den er meinem Onkel machte, sein Orgelspiel auf einem daneben stehenden Klavier in seinem Stil begleiten konnte.

Einmal hat er mir, da war ich noch keine 14 Jahre alt, auf meine Bitten hin die komplizierten Harmonien der dritten Strophe* von „The Holy City (Jerusalem, Jerusalem)" aufgeschrieben, nachdem er es auf einer Schallplatte sehr schön eingespielt hatte. 

Eine weitere Erinnerung geht an unsere erste Begegnung zurück, da war ich noch ein kleiner Knirps und lauschte andächtig seinen Fingerübungen vor einem Auftritt in der großen Remscheider Martin-Luther-Kirche. Er hat mich in der zweiten Reihe sitzen gesehen und mir freundlich zugezwinkert. Ich war der glücklichste Mensch von der Welt.

Bis heute bewahre ich eine handgeschriebene Karte von ihm auf, in der er mir – etwa um das Jahr 1959 herum, da war ich zehn Jahre alt – die folgenden Worte schrieb:

Lieber Christian, ganz herzlich, danke ich dir noch für die schöne Weihnachtskarte. Wir haben ein sehr wunderbares Lager gehabt und ein nächstes Mal hoffen wir, dass du auch dabei sein kannst. Der Herr war uns sehr nahe. Wir waren wie eine große Familie (30) zu seinen Füßen!
Ich weiß, dass Seine Pläne mit deinem Leben ganz wunderbar sind. Darum rufe ich dir zu: „gib acht auf dich selbst" (1. Timotheus 4,16) und: „erhalte dich selbst rein!" (1. Timotheus 5,22).
dein Bruder Peter

Auf der Rückseite war das Bild, das ich oben in die Ecke hinein kopiert habe. Da sitzt er in einem Missionszelt auf seiner Hammondorgel, die er virtuos spielte.

Bekannt geworden, sind viele seiner Vertonungen von Bibelversen. Eine Reihe davon habe ich in so guter Erinnerung, dass ich mir den Bibelvers nicht ohne die Melodie von Peter vorstellen kann.

Mit seinem ältesten Sohn Danilo van Woerden bin ich noch in losem Kontakt. Er betreibt in der Schweiz ein Reisebüro und baut nach meinem Eindruck auf den Erfahrungen auf, die er auf zahlreichen Reisen mit seinem Vater und der Familie gemacht hat.


* Der Text der Strophe kann mich heute noch zu Tränen rühren:
The light of God was on its streets,
The gates were open wide,
And all who would might enter,
And no one was denied.