Donnerstag, 24. Juni 2021

Unter Frommen

 

Leseprobe aus meinem Buch "Unter Menschen".

Ich bin vom ersten Tag meines Lebens an für ein Leben in einer strengen, wenn auch nicht immer in letzter Konsequenz zu lebenden Frömmigkeit erzogen worden. Es wurden mir, das machte die Sache einfach, nicht viele Alternativen dazu angeboten. Alle Menschen in meinem frühen Gesichtsfeld waren im weiten Sinn fromm. Das betraf zumindest den engeren Kreis der Familie ein. Unter den Eltern und Großeltern und aus meiner kindlichen Perspektive gesehen wohl auch unter den Onkeln und Tanten gab es niemanden, der sein Leben so führte, dass es dabei auf die Existenz Gottes nicht angekommen wäre.  Alles, was diese mir nahen Menschen zu den tieferen Fragen des Lebens zu sagen hatten, schloss ganz selbstverständlich das Vorhandensein Gottes ein, daran war kein Zweifel.

Sonntag, 13. Juni 2021

Ein Goldstück

 


Jeremia
Nachdem ich mich beim Durchlesen der gesamten Bibel durch das Buch Jeremia gearbeitet hatte, erwartete ich angesichts des Titels „Klagelieder“ im nächsten Buch eine Fortsetzung, ja Steigerung der düsteren Prophetenworte. 

Aber ich fand ein Goldstück. Zwar musste ich mich zunächst noch einmal mit der finsteren Wirklichkeit eines unsäglich gestraften Volkes unter der Geißel fremder Völker beschäftigen. Die ersten zwei Kapitel der Klagelieder steigern hier sogar noch einmal die Schilderung der Strafen, indem sie eine Art von epischem Gedicht einfügen: 22 Gruppen von je drei Versen, jeweils mit einem der 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets beginnend. 

Dienstag, 20. April 2021

Shtisel

Die Netflix-Serie hat manche frommen Christen und frommen Muslime an ihre eigene Jugend erinnert. Der eine oder andere ist mit ähnlich strengen Auflagen, was das äußere Erscheinungsbild betraf, aufgewachsen wie die frommen Orthodoxen der Serie..

"Shtisel" spielt im Milieu der "Haredim", die ihr Leben nach frommen Vorschriften führen und aussehen und auftreten, als wäre Ihnen eine höhere Macht jederzeit präsent. Die Männer sind an ihren Bärten, Schläfenlocken und steifen Hüten zu erkennen. Die Frauen hüllen ihre Körper ganz ähnlich wie die Muslime in weite Gewänder und verstecken ihr natürliches Haar. Während die Muslime hierfür ein Kopftuch benutzen, setzen die Orthodoxen eine Perücke auf oder tragen eine Art von weiter Baskenmütze.

Freitag, 2. April 2021

Nachtgedanken

Bei dem Schriftsteller Walter Kempowski fand ich die witzige Bemerkung, dass er zwar an Gott glaube, „aber nicht den ganzen Tag“. Sein schreibender Kollege John Updike hat die Idee vom sich verändernden Glauben etwas ausführlicher dargelegt. Für ihn ist der Glaube an den Bereich des hellen Tages gebunden, an den Lebensoptimismus und die Freude am Schreiben. Das alles verliert sich im Dunkel der Nacht.

Samstag, 13. März 2021

Jerusalem, April 33


45 Minuten Vorlesen: ein Bericht über die letzten Tage vor der Kreuzigung Jesu. Ich habe ihn vor über 20 Jahren als Buch herausgebracht und lese am Dienstag, 16. März ab 21 Uhr über ZOOM daraus vor. Die Einwahl teile ich per PN mit.



Samstag, 6. März 2021

Einmal durch die ganze Bibel

Als ich noch jünger war, gehörte es in frommen Kreisen fast zur Pflicht, wenigstens einmal im Leben die ganze Bibel von vorne  bis hinten gelesen zu haben. Ich habe mich damals davor gedrückt und habe mich stattdessen an Lesepläne gehalten, die einem die Bibel in Stücken, wenn auch nicht geordnet, näher brachten. Gelesen habe ich sie immer, aber eben nie von vorne bis hinten.

Das habe ich vor etwa einem Jahr geändert und habe das Abenteuer begonnen, fortlaufend jeden Morgen einen Bibelabschnitt zu lesen, meist ein oder zwei Kapitel oder zwei bis drei Seiten. Mittlerweile habe ich das Buch Hiob (vor dem ich mich gefürchtet habe, grundlos, wie ich beim Lesen merkte) beendet und lese die Psalmen. Nachdem ich als erstes das mir im Verständnis leichter erscheinende Neue Testament abgeschlossen hatte, liegen jetzt im wesentlichen nur noch die Sprüche und die Propheten vor mir. Dann bin ich durch.  

Samstag, 9. Januar 2021

… die mir heute zum Geburtstag gratuliert haben


Ein Gedicht über „Das Alter“

 

Hoch mit den Wolken geht der Vögel Reise,

Die Erde schläfert, kaum noch Astern prangen,

Verstummt die Lieder, die so fröhlich klangen,

Und trüber Winter deckt die weiten Kreise.

 

Die Wanduhr tickt, im Zimmer singet leise

Waldvöglein noch, so du im Herbst gefangen.

Ein Bilderbuch scheint alles, was vergangen,

Du blätterst drin, geschützt vor Sturm und Eise.

 

So mild ist oft das Alter mir erschienen:

Wart nur, bald taut es von den Dächern wieder

Und über Nacht hat sich die Luft gewendet.

 

Ans Fenster klopft ein Bot' mit frohen Mienen,

Du trittst erstaunt heraus – und kehrst nicht wieder,

Denn endlich kommt der Lenz, der nimmer endet.

 

„Das Alter“, Joseph von Eichendorff (1788 - 1857)