Dem Heidedichter Hermann Löns (1866-1914) verzeiht man nicht, dass er nationalistisches Gedankengut vertreten hat und deshalb von den Nazis verehrt wurde. Auch seine Liebe zur Natur und seine frühen Überlegungen zu einer Art von Umweltschutz retten ihn nicht. Ein Kritiker sagt in Wikipedia über Löns, dass "sein Engagement für den Naturschutz keine ökologischen Motive im heutigen Sinne" hatte, sondern durch Vaterlandsliebe geprägt war. "Natur war für ihn Rassenschutz, Kraftressource für das deutsche Volk und Volksgesundheitsbrunnen."
Ich las dies, kurz nachdem ich zwei kluge Artikel des Kirchenhistorikers Karl Kupisch über den Pietismus im 19. Jahrhundert gelesen hatte, von denen mich der eine, über den Pietismus im frommen Wuppertal der Jugendzeit von Friedrich Engels, besonders angesprochen hat. Was mir hier neu begegnete, ist eine besondere Verbindung zwischen Frömmigkeit auf der einen und einem massiven Nationalismus auf der anderen Seite, der mir nun mit den Gedanken von Hermann Löns auf eine eigenartige Weise verwandt zu sein scheint. Ein Nationalist war der fromme und auf besondere Weise rednerisch begabte Elberfelder Pastor Krummacher, der konsequenterweise später nach Berlin berufen wurde und als Hofprediger den Berliner Dom ebenso mit begeistertem Publikum füllte wie die Wuppertaler Kirchen zuvor. Auch einer seiner Nachfolger als Hofprediger, der aus armen Verhältnissen im Harz stammende Adolf Stöcker (1835 - 1909) verfügte über diese eigenartige Kombination von pietistischer Frömmigkeit, großer Redebegabung und einem Herzen für die deutsche Nation. Beiden erschien sie als vom Schicksal ausgewählt, um weltbewegende Dinge hervorzubringen, wozu beide offenbar die Reformation, den Pietismus und dann aber als Drittes, beidem gleichwertig, auch die Freiheitskriege gegen Napoleon zählten.
Krummacher hat sich in einer Rede vor dem das Wuppertal besuchenden Kronprinzen Friedrich Wilhelm zu der Behauptung hinreißen lassen, der seiner Meinung nach theologisch alles entscheidende, weil die Rechtfertigungslehre begründende Galaterbrief sei an frühe Vorfahren der Deutschen geschrieben worden. Richtig an dieser Theorie ist die Herkunft der Galater aus den Kelten (beide Worte sind sprachlich verwandt) und ihre Umsiedlung aus Mitteleuropa nach Kleinasien. Aber die Brücke von ihnen zu uns wirkt wie aus vergoldetem Pappmaschee gebaut.
Das 19. Jahrhundert muss von dem Gedanken einer im Kern gesunden Nation durchdrungen gewesen sein, deren Kräfte man nur sammeln und fördern musste, um etwas ganz Großes hervorzubringen. Diese Gedanken sind in den "Stahlgewittern" des Ersten Weltkrieges untergegangen, danach noch einmal auf perverse Weise von Hitler hervorgeholt und missbraucht worden, um dann in der nüchternen Zweckmäßigkeit der Bundesrepublik ganz zu sterben.
Als Kind dieser Bundesrepublik vermisse ich sie nicht, aber ich lese mit Interesse davon, wie die Menschen des 19. Jahrhunderts von dem Leitbild einer gesunden Nation nach vorne getrieben wurden. Dase es ein falsches Leitbild war, hat der 48jährige Hermann Löns vermutlich erst dann jäh erkannt, als die Kugel seinen Körper zerriss, die ihn, den Kriegfreiwilligen wenige Wochen nach Kriegsbeginn an der Marne bei Reims traf. Man hat seine Leiche eilig begraben und zusammen mit anderen Toten mehrfach umgebettet. Ob es seine Knochen sind, die seit 1934 unter dem Gedenkstein bei Walsrode liegen, ist sehr fraglich.
Gibt es etwas, was seine nationalistischen Gedanken heute ersetzen könnte, zum Wohle eines besseren Verhältnisses zu der ja auch von Löns überaus geliebten Natur? Mich erschreckt etwas, dass man bei "Rassenschutz, Kraftressource für das deutsche Volk und Volksgesundheitsbrunnen" das Wort Rassenschutz nur durch Schutz der individuellen Persönlichkeit ersetzen und die anderen Worte kaum abgewandelt stehen lassen kann. Der Einzelne, nicht die Nation - ob das allerdings der Natur hilft?
1 Kommentar:
Ja, das ist, ganz im Sinne des alten Briest, ein sehr weites Feld.
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