Freitag, 31. August 2012

Vom Glück der Verwahrlosung


 
 
Jabel, bei Waren / Müritz,
31. August 2012


Stefan Knüppel hat mir über Facebook ein Motto zukommen lassen, nach dem Camping die Form des Reisens ist, wo man seine eigene Verwahrlosung als Glück wahrnimmt. Ich glaube, dass die Camper heimlich alle diesem Glück nachstreben. Das stimmt selbst dann, wenn Camper wie ich Wert auf die morgendliche Dusche legen und auf das frische Hemd, wenn es zum Einkaufen in die Stadt geht. Aber auch dann, wenn man nicht den Jogging-Anzug und den Drei-Tage-Bart als äußeres Zeichen der neuen Welt annimmt, zu der man als Camper gehört, ist man doch bestrebt, einen Teil der bürgerlichen Konventionen und Sicherheiten hinter sich zu lassen und einfach so zu leben, wie es uns die Natur vorgegeben hat.




Wie das allerdings aussieht, ist nicht ohne Weiteres zu klären. Zurück zur Natur ist ja eine Grundforderung der Aufklärung und in deren Folge der französischen Revolution und aller dann weiter folgenden demokratischen Bewegungen. Da allerdings immer der Generalverdacht lauert, dass jeder gerne, wie es in einem schönen Witz heißt*, für das kämpft, was er nicht hat, ist die Formulierung des Wunsches möglicherweise gleich auch schon das Eingeständnis seiner Unerfüllbarkeit.
Was uns bleibt, sind Annäherungen, allerdings sehr angenehme. Schön für mich ist etwa die Erkenntnis, mit wie wenig Raum man auskommen kann, wenn man in seinen reduzierten vier Wänden auf alles verzichtet, was über das Essen und Schlafen (und Lesen) hinausgeht, und sich für den Rest der freien Welt Gottes bei Sonnenschein und Regen anvertraut. Man beginnt, die Dinge um sich herum besser zu organisieren, man „verstaut“ statt dass man etwas beiseite legt, man nutzt Dinge mehrfach, lässt unwesentliches weg und hofft, so dem Wesen der Dinge näher zu kommen.
Schön ist auch der Gang zur Wasserstelle. Im Wohnwagen, im Zelt ist immer nur ein begrenzter Vorrat an Wasser, der muss aufgefüllt werden. Unser ziviles System von Wasserzuleitungen in jeder Wohnung hat uns vergessen lassen, dass es eigentlich der tiefere Sinn unseres Lebens ist, nach Wasser zu suchen, Brunnen zu graben, zur Quelle zu gehen und dabei die Bäume rauschen zu hören und mit dem Nachbarn ein Schwätzchen zu halten.
Gäbe es die zentralen Wasch- und Toilettenhäuschen nicht, Erinnerungen an unser früheres, kultiviertes Leben, so wäre der Schritt in die Vorzivilisation noch radikaler. So bleibt alles ein Spiel – und man wird am Ende der Reise nur wenig Probleme damit haben, aus der Unordnung der Verwahrlosung wieder in die Ordnung des Lebens als städtischer Bürger zurückzufinden.
Ob wir uns dann gelegentlich noch im Büro an das Rauschen der Bäume erinnern, wenn wir zur Teeküche hinüber gehen, um uns etwas zu trinken zu holen?
*Französischer Soldat zum Schweizer: "Ihr Schweizer seid keine wirklichen Soldaten. Ihr kämpft ja nur für Geld!" Schweizer: "Und ihr, wofür kämpft ihr?" Franzose: "Na, für was wohl? Für die Ehre!" Schweizer: "Ja, jeder kämpft für das, was er nicht hat."

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